# taz.de -- „Psychoserisiko erhöht sich um Faktor zwei“
> RAUSCH Erwachsene sollten Vorbilder sein und Kindern zuliebe die Finger
> von illegalen Substanzen lassen, findet der Suchtexperte Rainer
> Thomasius. Ein Gespräch über Moral in der Drogenpolitik
Interview Lena Kaiser
taz: Herr Thomasius, die Debatte um Volker Beck zeigt, wie moralisierend
Drogenkonsum verhandelt wird. Bleibt es nicht jedem selbst überlassen, was
man mit seinem Körper veranstaltet?
Rainer Thomasius: Zu Volker Beck kann ich mich nicht äußern, weil wir keine
validen Informationen darüber haben, welche illegale Substanz er bei dem
Händler bezogen hat. Er hat seine Ämter niedergelegt und damit deutlich
gemacht, dass er sich offenbar strafbar gemacht hat und Drogen einnimmt.
Ich halte die Fahne für die Suchtgefahren bei Kindern und Jugendlichen hoch
und bin der Meinung, dass so öffentlich exponierte Personen wegen ihrer
Vorbildfunktion keine Drogen konsumieren sollten. Unsere präventiven
Bemühungen, Kinder und Jugendliche von ausgesprochen
gesundheitsgefährdenden Substanzen fernzuhalten, werden mit einem solchen
Verhalten konterkariert.
Aber ist es nicht ein Beispiel für die moralisierende Debatte, zu sagen,
jemand muss immer Vorbild sein?
Ich denke, eine Gesellschaft braucht, um funktionieren zu können, eine gute
Moral. Wenn wir derzeit riesengroße Probleme mit dem Rauschtrinken bei
Kindern und Jugendlichen haben, dann deshalb, weil uns die Moral im Umgang
mit alkoholischen Getränken ziemlich verlorengegangen ist. Und zwar in
erster Linie bei den Erwachsenen, das überträgt sich ganz schnell auf die
Einstellungen, Werthaltungen und das Konsumverhalten von Kindern. Um nur
eine Zahl zu nennen: Beim Komasaufen haben wir bundesweit Jahr für Jahr
26.000 Alkoholvergiftungen bei den unter 20-Jährigen.
Ein Verbot mindert den Reiz aber nicht. Ist das Argument der
Legalisierungsgegner, dass das Verbot einen präventiven Charakter habe,
nicht scheinheilig?
Es geht ja nicht nur darum, zu verbieten. Neben der Angebotsreduzierung,
indem eine Substanz beispielsweise dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt
wird, und der Staat die Möglichkeit hat, die Herstellung, das Angebot und
den Handel zu begrenzen, hat das Gesetz auch einen generalpräventiven
Charakter, der der Gesellschaft das Signal setzt: Diese Substanz ist
gesundheitsschädigend und der Staat sieht sich in einer Fürsorgepflicht,
die Bevölkerung vor diesen Schäden zu bewahren. Das steht aber in
Verbindung mit Maßnahmen für Bevölkerungsgruppen wie Kinder und
Jugendliche.
Welche?
Das können Prävention und frühe Hilfestellungen, Beratungen oder
Entwöhnungstherapien sein. Schließlich gibt es auch noch die
Schadensminimierungskonzepte für Konsumenten, die bereits riskante
Konsummuster aufweisen.
Wirkt das?
Die europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht in Lissabon
stellt komplexe Datensätze zur Verfügung, in denen das Konsumverhalten in
den verschiedenen Ländern beschrieben wird. Hier wird Deutschland eine
Bestnote ausgesprochen, da sehen wir, dass der regelmäßige Cannabis-Konsum
im europäischen Vergleich niedrig ist. Nirgendwo werden so viele
Cannabis-Abhängige in Hilfemaßnahmen gebracht wie hier. Das bestätigt
einfach unseren erfolgreichen Kurs.
Wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Ergebnisse?
In manchen Ländern gibt es einen laxen Umgang mit dem Betäubungsmittelrecht
sowie mit Prävention und Hilfen. Da sind an vorderster Stelle Spanien,
Tschechien, Italien und Portugal zu nennen.
Was haben Sie gegen das Kiffen?
Das Problem ist, dass es vor allem im Jugendalter zu ernsthaften
Gesundheitsschäden, sehr rascher Suchtentwicklung und sozialer
Desintegration der Betroffenen führt und dass es die altersgerechte
Entwicklung stört. Die Forschungen der letzten zehn Jahre belegen, dass
kognitive Störungen, also Hirnschädigungen, bei pubertärem, regelmäßigem
Cannabis-Gebrauch auftreten können. Die Folge sind Lern-, Gedächtnis- und
Hirnentwicklungsstörungen. Das Psychoserisiko erhöht sich um den Faktor
zwei. Außerdem kommt es bei regelmäßigem Cannabis-Gebrauch zu
Entwicklungsstörungen in der altersgerechten psychischen Entwicklung,
sodass sich etwa 17-Jährige wie 12-Jährige verhalten mit einer ganz
weichen, fragilen Persönlichkeit. Das Suchtgedächtnis spricht auf frühen
Cannabis-Gebrauch sehr empfindlich an. An die 20 Prozent derjenigen, die im
Jugendalter kiffen, entwickeln eine Abhängigkeit.
Nun haben Sie als Arzt vor allem mit den problematischen und pathologischen
Fällen zu tun. Ist der medizinische Blick dadurch nicht getrübt?
Als Kliniker bin ich natürlich immer mit den Jugendlichen konfrontiert, die
unter ungünstigen Entwicklungsbedingungen groß werden und die in ungünstige
Konsumverläufe hineingeraten. Hier sehe ich einen Ausschnitt der insgesamt
Kiffenden. Gleichzeitig bin ich aber auch Wissenschaftler. Als solcher
versuche ich stärker zu objektivieren. Da gibt es mitunter Widersprüche,
weil sich aus wissenschaftlicher Sicht die Schädigungspotenziale anders
darstellen als aus klinischer Sicht. Im Gegensatz zu Jugendlichen schaffen
es Erwachsene etwa, über lange Zeit moderate Konsummuster aufrecht zu
halten.
Die Folgen der Prohibition sind vielleicht fataler als die Folgen der Droge
selbst. Was spricht gegen eine Legalisierung?
Wir haben keine Cannabis-Prohibition, weil Paragraf 31a des
Betäubungsmittelgesetzes besagt, dass bei Eigengebrauch bei einer
bestimmten Menge von einer Strafverfolgung abgesehen werden kann. Das ist
ein gutes Prinzip, das gerade in Norddeutschland sehr gut umgesetzt wird.
Wenn unsere Patienten hier mit 17 Jahren in Behandlung kommen, haben sie in
aller Regel drei Jahre täglich gekifft. Sie sind der Polizei aber meist
nicht als Konsument bekannt. Es ist gut, dass wir die Jugendlichen nicht
kriminalisieren.
Was spricht denn dagegen, es gleich ganz zu legalisieren?
Dass Cannabis gesundheitsschädigend ist.
Aber schlecht für die Gesundheit sind viele Dinge. Was ist mit Alkohol und
Zigaretten?
Alkohol und Tabak gehören im Grunde genommen auch in das
Betäubungsmittelgesetz. Da hat es die Gesellschaft anders entschieden, und
da wird man das Rad der Geschichte auch nicht zurückdrehen können.
Das heißt, Sie würden auch Alkohol und Tabak verbieten?
Wir haben die größten Suchtprobleme mit diesen beiden Substanzen, mal
abgesehen von der Medikamenten-Abhängigkeit. Die Entscheidung ist nicht
allein eine medizinische, sondern auch eine gesundheitspolitische Frage.
Vom rein toxischen Potenzial her würde ein Verbot der Gesellschaft enorme
soziale Schäden ersparen. Diese Forderung zu stellen, würde ich aber nicht
wagen. Prävention und Hilfen müssen weiter gestärkt werden.
Mit einer Legalisierung gehen aber vor allem juristische und soziale
Probleme einher. Ist es nicht schwierig, aus medizinischer Sicht ein
Cannabis-Verbot zu fordern?
In der Suchtbehandlung bewegt man sich immer zwischen den Disziplinen. Für
alle Maßnahmen braucht man den Sachverstand unterschiedlicher
Berufsgruppen.
12 Mar 2016
## AUTOREN
(DIR) Lena Kaiser
## ARTIKEL ZUM THEMA