# taz.de -- Proteste in Iran: Billiges Benzin statt Sozialstaat
       
       > Günstige Energiepreise haben in Iran eine soziale Bedeutung. Die
       > Revolutionsgarden erklären die Unruhen inzwischen für beendet.
       
 (IMG) Bild: Ziel von Attacken: eine Tankstelle in Teheran am Mittwoch
       
       Berlin taz | Zumindest aus Sicht der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC)
       sind die Unruhen und Proteste im Land gegen höhere Benzinpreise beendet.
       „Die Anführer der Unruhen sind in den Großstädten bereits identifiziert und
       verhaftet worden und das war mit ein Grund für das Ende der Unruhen“, sagte
       IRGC-Sprecher Ramesan Scharif am Donnerstag. Laut Scharif war es in 100
       Städten zu „kleineren und größeren Zwischenfällen“ gekommen, die Lage sei
       aber wieder „unter Kontrolle“. Eine unabhängige Bestätigung für das Ende
       der Unruhen gibt es indes nicht. Bei der Niederschlagung der Unruhen
       [1][waren nach Angaben von Amnesty International über 100 Menschen getötet
       worden].
       
       Wegen der Krise hatte die iranische Regierung am Wochenende zu einem
       drastischen Mittel gegriffen und das gesamte Land fast vollständig vom
       Internet abgekoppelt. Nur wenige Videos, Fotos und Berichte dringen nach
       außen, Internetzugang gibt es nur zu einigen vom Staat kontrollierten
       Webseiten. Deshalb können weder die iranischen noch ausländische Angaben
       verifiziert werden. Obwohl vom Ende der Unruhen die Rede ist, bleibt das
       Internet „bis auf weiteres“ gesperrt. Die Entscheidung der Regierung deutet
       das Ausmaß der Krise im Land an. Offenbar fühlt sich das Regime ernsthaft
       bedroht.
       
       Auslöser der jüngsten Protestwelle war die am vergangenen Freitag von
       Präsident Hassan Ruhani verkündete Erhöhung des Benzinpreises. Künftig
       sollen Iraner monatlich nur noch bis zu 60 Liter Benzin für einen Preis von
       15.000 Rial statt bisher 10.000 Rial pro Liter tanken können – das ist eine
       Preissteigerung von 50 Prozent. Jeder weitere Liter kostet nunmehr 30.000
       Rial, also das Dreifache des bisherigen Preises. Zum Vergleich: Ein Euro
       entspricht aktuell 132.000 Rial. Verzeichnet wird der Verbrauch auf der im
       Jahr 2007 eingeführten staatlichen Benzinkarte.
       
       Zwar ist Benzin – zumindest die ersten 60 Liter – [2][in Iran damit im
       weltweiten Vergleich noch immer spottbillig] – nur in Venezuela lässt sich
       günstiger tanken. Doch der Schritt fällt in eine Zeit, in der viele Iraner
       mit den Folgen der Wirtschaftskrise zu kämpfen haben. Außerdem hat die
       Regierung die Entscheidung schlecht vorbereitet und kommuniziert.
       
       Der Oberste Rat für Wirtschaftskoordination, dem neben Präsident Hassan
       Ruhani Justizchef Ebrahim Raisi und Parlamentssprecher Ali Larijani
       angehören, fällte das Votum gegen den Willen des Parlaments. Eine
       gesellschaftliche Debatte fand nicht statt – und bei einer
       nichtöffentlichen Aussprache im Parlament Anfang Oktober blieben alle
       Minister fern. Als Ausgleich sollen 18 Millionen einkommensschwache
       Haushalte Direktzahlungen bekommen. Doch das ist offenbar „too little, too
       late“.
       
       ## Ein Drittel weniger Ölproduktion
       
       Dabei kommt die Reform alles andere als unerwartet. Die Regierung war
       gezwungen zu handeln, denn die iranische Wirtschaft wird laut
       Internationalem Währungsfonds (IWF) im Jahr 2019 um 9,5 Prozent schrumpfen.
       Wegen der von Trump verhängten Sanktionen ist die Ölproduktion des Landes
       laut jüngstem OPEC-Bericht um über ein Drittel eingebrochen, die
       Landeswährung hat die Hälfte ihres Wertes verloren, und die
       Lebenshaltungskosten sind durch Inflation und die Verteuerung von
       Konsumgütern gestiegen, auch wenn sich die Werte inzwischen auf niedrigem
       Niveau leicht erholt haben. Betroffen ist vor allem die breite Masse der
       Bevölkerung, von der schätzungsweise zufolge zwischen 25 bis 50 Prozent
       unterhalb der Armutsgrenze lebt – verlässliche Daten gibt es nicht.
       
       Die Beteuerung von Regierungssprecher Ali Rabei, der Schritt wäre auf jeden
       Fall gekommen, „Sanktionen hin oder her“, ist deshalb allenfalls die halbe
       Wahrheit. Ganz abwegig ist sie dennoch nicht. Denn einerseits sieht die
       Regierung sich trotz allem wirtschaftlich vorerst stabilisiert. Erst am Tag
       vor der Erhöhung der Benzinpreise hatte Präsident Ruhani gesagt, man habe
       „die Krise durchgestanden“, also das Schlimmste hinter sich. Das Kalkül
       dahinter beschrieb der Politökonom Said Leylaz von der Teheraner
       Shahid-Beheshti-Universität in der Financial Times: „Die Stabilität der
       Wirtschaft hat der Regierung geholfen, endlich den Schritt der
       Benzinpreiserhöhung zu wagen.“
       
       Andererseits gibt es neben den Problemen, die die US-Sanktionen verursacht
       haben, grundlegendere Defizite. Wie in anderen Ländern der Region sind in
       Iran Energiesubventionen ein Ersatz für fehlende soziale Sicherungsnetze.
       Steigende Energiepreise haben praktisch automatisch sozialen Unmut zur
       Folge. Subventionen setzten aber auch falsche Anreize, da Privathaushalte
       mit hohem Energieverbrauch stärker bezuschusst werden. Außerdem fördern sie
       Wirtschaftszweige, die viel Energie verbrauchen. Besonders stark sind die
       Folgen im rohstoffreichen Iran. Laut Angaben der Internationalen
       Energieagentur fließen stolze 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in die
       Subventionierung von Öl, Gas und Strom – nur in Venezuela und Usbekistan
       ist der prozentuale Anteil höher.
       
       ## Schon Ahmadineschad erhöhte die Benzinpreise
       
       Subventionen sind älter als die Islamische Republik; sie wurden jedoch im
       Iran-Irak-Krieg der achtziger Jahre stark ausgebaut. Das hat nicht nur
       ökologische Konsequenzen, sondern lässt auch den Schmuggel florieren. Es
       gehört zum bekannten Mantra von Organisationen wie der Weltbank oder dem
       IWF, dass derartige Subventionen gestrichen gehören.
       
       Es war Mahmud Ahmadineschad, der als Präsident im Jahr 2010 eine umfassende
       Energiereform umgesetzt hatte. Anders als die Ruhani-Regierung
       kommunizierte er die Erhöhung der Kraftstoffpreise damals mit einer breit
       angelegten Kampagne. Die Botschaft an die Bürger: Benzin wird teurer, doch
       dafür gibt es Ausgleichszahlungen für arme Haushalte. Weil aber
       flankierende finanzpolitische Maßnahmen fehlten, stieg die Inflation in den
       folgenden Jahren stark an.
       
       Die Ruhani-Regierung stellte diese – wie sie es nannte – „irrationale
       Praxis“ aus höheren Benzinpreisen und Ausgleichszahlungen 2016 ein. Nun ist
       die Regierung zu ihr zurückgekehrt. Bislang ist nicht zu erkennen, dass der
       Unmut der Menschen dadurch gebändigt werden kann.
       
       21 Nov 2019
       
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