# taz.de -- Projekt: Die Integration beginnt beim Kaffeeplausch
       
       > In Neukölln geben ausgebildete Stadtteilmütter mit Migrationshintergrund
       > anderen Frauen Hilfestellung bei der Erziehung und fördern so die
       > Integration.
       
 (IMG) Bild: In manchen türkischen Familien wird kein Wort Deutsch gesprochen
       
       Die Integration beginnt beim Kaffeeplausch
       
       In Neukölln geben ausgebildete Stadtteilmütter mit Migrationshintergrund
       anderen Frauen Hilfestellung bei der Erziehung, erklären das deutsche
       Schul- und Gesundheitssystem - und fördern so die Integration. Das
       Neuköllner Projekt findet weltweit Beachtung. Doch die Finanzierung steht
       auf der Kippe
       
       Cigdem Acik will lernen. Die schwangere 24-Jährige sitzt in ihrer
       Neuköllner Wohnung, streichelt sich über den Babybauch und wartet auf ihre
       Stadtteilmutter. Gesundheitsvorbeugung steht auf dem Stundenplan. Zum
       zweiten Mal kommt eine ausgebildete Vertreterin des Neuköllner Projekts
       vorbei, die wie Acik Türkin ist. "Ich will mich informieren", sagt die
       gelernte Arzthelferin und ordnet nervös die Kissen auf ihrem roten Sofa.
       Über den übergroßen Flachbildfernseher hat sie ein gesticktes Tuch gelegt.
       Sie zupft ihren weißen Pullover zurecht und fügt hinzu: "Auch für mein
       Baby."
       
       Neukölln im Jahr 2004. Die Verantwortlichen von sozialen Einrichtungen
       werden darauf aufmerksam, dass kaum Kinder aus Migrantenfamilien den
       Kindergarten besuchen. Es existieren zahlreiche Beratungsangebote, doch die
       Sozialarbeiter, Streetworker und Ausländerbeauftragten erreichen die
       Familien nicht. Es wird viel über "Parallelgesellschaft" geredet und das
       Diakonische Werk Neukölln beginnt ein ambitioniertes Projekt. Seitdem
       wurden 140 Mütter mit Migrationshintergrund ausgebildet, 1.200 Familien
       besucht. Die sogenannten Stadtteilmütter stammen aus demselben Kiez, oft
       aus demselben Kulturkreis wie ihre Kundschaft. Eine Sprachbarriere gibt es
       nicht. Auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die das Projekt
       bisher gefördert hat, erkennt neidlos an: "Die Stadtteilmütter kommen an
       die Frauen heran." Ein Erfolg, nach dem Politiker und Verantwortliche sich
       lange Jahre sehnten.
       
       Damit das zukünftige Kind der schwangeren Cigdem Acik nicht zu den
       Verlierern von morgen gehört, kommt Nazli Özgel zu Besuch und wuchtet als
       Erstes einen großen Stapel Broschüren auf den Wohnzimmertisch. Das
       Infomaterial ist zweisprachig und behandelt Themen wie Bildung, Erziehung
       und Gesundheit. Özgel ist selbst Mutter. "Ich habe früher viele Fehler in
       meiner Erziehung gemacht", sagt sie. Davor würde sie gerne andere bewahren.
       
       "Gehst du regelmäßig zum Arzt?", fragt Özgel und schiebt eine Liste mit
       Adressen von Hebammen über den Tisch. Cigdem Acik nickt. "Vergiss nicht,
       das Elterngeld rechtzeitig zu beantragen." Cigdem Acik nickt noch einmal.
       "Du musst für dein Kind entscheiden, es ist dein Leben", sagt die
       Stadtteilmutter freundlich. Denn verpflichten kann die Beraterin die
       werdende Mutter zu nichts. Das ist auch den Verantwortlichen des Projekts
       bewusst. Doch die Stadtteilmütter werden freiwillig eingeladen.
       
       Zehnmal bekommt die 24-jährige Cigdem Acik von der ausgebildeten
       Stadtteilmutter Besuch. 20 Stunden Gespräch insgesamt. Das Angebot ist
       kostenlos. "Wenn Sie nicht zu uns kommen, müssen wir zu ihnen kommen", sagt
       Leyla Celik, beim Diakonischen Werk Koordinatorin für den Reuter-Kiez.
       
       Die Beratung der schwangeren Cigdem Acik ist eine der leichteren. Mit elf
       Jahren zog die werdende Mutter aus der Türkei hierher. Deutsch spricht sie
       akzentfrei. Für den Unterricht muss die Stadtteilmutter also nicht die
       Sprache wechseln. Nur wenn es kompliziert wird, wenn Cigdem das Thema der
       deutsch-türkischen Broschüre nicht auf Anhieb versteht, schaltet sie auf
       Türkisch um. Zu vielen Informationen sagt die werdende Mutter: "Das kenn
       ich schon von meinen Cousinen." Einige Male erklärt sie stolz: "Das mach
       ich bereits." Wären alle Mütter in Neukölln so gut informiert wie Cigdem
       Acik, wäre ein Projekt wie dieses nicht nötig.
       
       Doch auch das gibt es im Bezirk: türkische Familien, in denen kein Wort
       Deutsch gesprochen wird. Kinder, die den Nachmittag vor dem arabischen
       Satellitenfernsehen verbringen. Und Eltern, die die Einladung zum
       Elternabend gleich in den Abfalleimer werfen. "Bildungsferne Familien"
       nennt Koordinatorin Leyla Celik diese Zielgruppe des
       Stadtteilmütter-Projekts. "Wenn die Familien ihre Kinder in die Kita
       schicken, haben wir schon viel erreicht", sagt sie. Ganz bewusst werden
       deshalb nur Mütter mit Kindern bis sechs Jahren besucht. Der Nachwuchs der
       nichtdeutschen Familien soll einmal besser integriert sein.
       
       In der Neuköllner Wohnung hakt Beraterin Nazli Özgel gerade ihre Checkliste
       ab. Als das Handy der werdenden Mutter klingelt, tönt lautstark türkische
       Popmusik durch die Wohnung. Cigdem Acik klappt ihr Handy auf und spricht
       kurz ein paar türkische Worte. An der Wand hängen Bilder von Hochzeiten.
       Über dem Wohnzimmersofa ist ein Bild von Mekka angebracht. Vor dem Fenster
       öffnet sich ein trostloser Hinterhof.
       
       "Eigentlich", sagt die Koordinatorin Celik, "haben die Familien die
       gleichen Probleme wie deutsche." Doch die Türen dieser türkischen und
       arabischen Wohnungen bleiben für die Behörden der Bezirksämter geschlossen.
       Die Sprachbarriere ist hoch, das Misstrauen groß. Und das Leben zwischen
       türkischen Hochzeiten und Arbeitslosigkeit setzt sich in der nächsten
       Generation fort. Das Stadtteilmütter-Projekt kann diesen Automatismus
       durchbrechen.
       
       Nahezu alle europäische Länder kennen das Problem. So ist es nicht
       verwunderlich, wenn der Neuköllner Ansatz auch im Ausland gefragt ist.
       Frankreich, die Türkei, sogar Japan interessieren sich für die Arbeit der
       Berliner Frauen. Aus Dänemark reiste die Integrationsministerin an, sieben
       dänische Kommunen haben das Modell kopiert. In diesen Tagen besuchen die
       dänischen Stadtteilmütter ihre deutschen Kolleginnen. Das Projekt hat sich
       zu einem Exportschlager gemausert - "Made in Neukölln".
       
       Doch wenn am 24. Oktober in Sydney auf dem 9. Metropolis World Congress das
       Projekt eine Auszeichnung bekommt, wird niemand der Initiatoren dabei sein.
       Die Staatssekretärin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Maria
       Krautzberger (SPD), wird den Preis in Empfang nehmen. Maria Macher vom
       Diakonischen Werk hat derweil andere Sorgen: die auslaufende
       Finanzierungszusage der Senatsverwaltung für das Modellprojekt. "Wir haben
       den neuen Finanzierungsplan schon vor dem Sommer abgegeben", berichtet sie.
       Eine Antwort haben sie bislang nicht bekommen.
       
       14 Oct 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Vollmuth
       
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