# taz.de -- Pierre de Coubertins Notizen: Olympia und der Oligarch
       
       > Ein Milliardär aus Russland schenkt dem IOC ein historisches Dokument. Es
       > sind die handgeschriebenen Visionen von Pierre de Coubertin.
       
 (IMG) Bild: Olympisches Denkmal: der demokratische Utopist Pierre de Coubertin in Bronze
       
       Es ging um 14 Seiten vergilbtes Papier, auf das [1][Pierre de Coubertin]
       seine olympischen Visionen geschrieben hatte, damals im Jahre 1892 vor
       seinem Auftritt in der Pariser Sorbonne. Der Baron mit dem eindrucksvollen
       Schnauzer zeigte sich innerlich aufgewühlt von den Möglichkeiten der neuen
       Zeit. „Es ist klar“, schrieb er in schwungvollen Lettern, „dass der
       Telegraf, die Eisenbahnen, das Telefon, die leidenschaftliche Forschung in
       der Wissenschaft, Kongresse und Ausstellungen mehr für den Frieden getan
       haben als jeder Vertrag oder jede diplomatische Konvention.“
       
       Der Utopist glaubte wohl in tiefer Überzeugung an die Demokratisierung und
       Befriedung der Welt durch den reinen, interesselosen Amateursport, an das
       unbestreitbar Gute. Da wusste er freilich noch nichts von den Dystopien des
       20. Jahrhunderts.
       
       Das historische Dokument wurde nun für 8,8 Millionen US-Dollar im
       Auktionshaus Sotheby’s versteigert. Zuerst wusste man nicht, wer
       zugeschlagen und den Schätzwert, etwa 630.000 bis 900.000 Euro, derart weit
       übertroffen hatte. Es stellte sich heraus, dass Alischer Usmanow die
       Papiere gekauft hatte. Der russische Milliardär übergab sie dem
       Internationalen Olympischen Komitee, und IOC-Chef Thomas Bach freute sich
       außerordentlich über das Geschenk, das alsbald im Olympischen Museum im
       schweizerischen Lausanne ausgestellt werden soll.
       
       ## Der üble Ruf des edlen Spenders
       
       Bach sprach verzückt davon, dass Usmanows Großzügigkeit diesen
       einzigartigen Moment möglich gemacht habe, das IOC könne jetzt eine direkte
       Verbindung zu seinem „Gründungsvater“ herstellen. Usmanow und Bach scheinen
       sich gut zu verstehen, was vielleicht daran liegt, dass der eine Chef des
       internationalen Fecht-Verbandes ist und der andere ein ehemaliger Fechter.
       
       Usmanow hat sich einen gewissen Ruf als Wohltäter erworben, was ihm relativ
       leicht fällt, denn er ist Milliardär, und zwar einer von jener Sorte, die
       in den wilden 90er Jahren den richtigen Riecher hatten, die richtigen Leute
       kannten und Skrupel für einen Makel intellektueller Schwächlinge hielten.
       Er gehört zur Riege der russischen Superoligarchen mit einem Vermögen,
       das, je nach Quelle, zwischen 14 und 19 Milliarden US-Dollar schwanken
       soll.
       
       Der 66-Jährige mit usbekischen Wurzeln war bis 2014 Generaldirektor des
       Gazprom-Tochterunternehmens Gazprominvestholding, Miteigentümer von
       Metalloinvest, er besitzt Zugriff auf Zeitungen und
       Social-Media-Plattformen in Russland, er hängt beim chinesischen Giganten
       Alibaba mit drin, kurzum: Usmanow ist ein Big Player, aber sicherlich kein
       Utopist im Coubertin’schen Sinne. Mit dem Idealismus des Franzosen hat der
       Russe so viel gemein wie Alexei Nawalny mit Wladimir Putin.
       
       In den 80er Jahren saß Usmanow eine sechsjährige Haftstrafe wegen
       Erpressung ab. Später wurden alle Vorwürfe gegen ihn fallengelassen und er
       wurde vor dem Obersten Gerichtshof Usbekistans vollständig rehabilitiert.
       Was der ehemalige britische Botschafter in Usbekistan, Craig Murray, einmal
       über den Unternehmer gesagt hat, zitieren wir hier dennoch lieber nicht. Es
       sei nur so viel verraten, dass Murray Usmanow für einen Menschen hält, mit
       dem man eher keine Geschäfte machen sollte.
       
       Und was tut der Geldadel üblicherweise, der so große Imageproblem hat? Er
       begibt sich in die Welt der Wohltäter und des Sports. Steigt beim
       [2][Fußballklub FC Arsenal London] ein, wird Sportfunktionär, erkauft sich
       Wohlwollen und Ansehen. Kümmert sich auch um gefallene Männer wie den
       Nobelpreisträger James Watson, dem er augenscheinlich für 4,8 Millionen
       Dollar seine Nobelpreismedaille zurückkauft und dem DNA-Entdecker, der auf
       seine alten Tage zum Rassisten mutierte, ein gutes Gefühl verschafft.
       
       Und dieser Alischer Usmanow lässt sich nun mit Thomas Bach in Lausanne
       ablichten. Der Russe trägt einen leuchtend hellblauen Anzug, sein
       fleischiges Gesicht zeugt von einem üppigen Lebenswandel, Bach steht
       lächelnd daneben, wie ein Juniorpartner. In die Kamera halten sie die
       Schriften Coubertins, der, sähe er diese Inszenierung, sich wohl mit
       Grausen abwenden würde. „Alles, was nicht demokratisch ist, ist heute nicht
       mehr lebensfähig“, hat Pierre de Coubertin 1892 geschrieben. Könnte er auch
       das IOC und seine Wohltäter gemeint haben?
       
       Anm. d. Red. In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Usmanow sei
       noch Generaldirektor der Gazprominvestholding, dies ist er aber seit 2014
       nicht mehr. Zudem saß er nur sechs Jahre wegen Erpessung in Haft, nicht
       acht. Auch seine spätere vollständige Rehabilitierung fehlte in der ersten
       Version.
       
       13 Feb 2020
       
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