# taz.de -- Özgür Özel: Türkischem Oppositionschef droht Absetzung
       
       > Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel steht am Montag in Ankara vor Gericht.
       > Beobachter warnen vor dem Ende einer unabhängigen Opposition in der
       > Türkei.
       
 (IMG) Bild: Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel bei einer Veranstaltung am Sonntag
       
       Ankara dpa | Die türkische Opposition kämpft angesichts einer
       Verhaftungswelle und zahlreicher Prozesse um ihr politisches Überleben. Am
       Montag richten sich alle Augen auf ein Verfahren in Ankara, das die
       Absetzung des Chefs der größten Oppositionspartei CHP, Özgür Özel, zur
       Folge haben könnte.
       
       Es geht laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu dabei um die
       Annullierung der Entscheidungen des Parteitags im Jahr 2023. Delegierte
       sollen bestochen worden sein, damit sie ihre Stimme für Özel abgeben.
       
       Die CHP-Parteiführung weist die Vorwürfe zurück. Sie argumentiert zudem,
       dass eigentlich die Wahlbehörde und nicht ein Gericht darüber entscheiden
       müsste, ob Abstimmungen bei Parteitagen rechtmäßig waren.
       
       Sollte das Gericht den Parteitag für ungültig erklären und Özel abgesetzt
       werden, würde das Beobachtern zufolge das Ende einer unabhängigen
       Opposition in der Türkei einleiten. Ob am Montag eine Entscheidung fällt,
       war zunächst unklar. Tausende CHP-Unterstützer gingen am Sonntagabend in
       Ankara auf die Straße.
       
       ## Erdoğan-Rivale İmamoğlu in Haft
       
       Die säkular ausgerichtete CHP steht seit Monaten unter Druck und sieht sich
       als Opfer einer politisch motivierten Kampagne der Regierung. Die weist
       Einflussnahme auf die Justiz zurück. Präsident Recep Tayyip Erdoğan war vor
       zwei Jahren wiedergewählt worden und gewann gegen den als farblos geltenden
       ehemaligen CHP-Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu.
       
       Özel löste Kılıçdaroğlu an der Spitze ab und richtete die Partei neu aus.
       Bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr zahlte sich das für die CHP aus –
       sie fuhr einen überraschenden Erfolg ein und gewann die meisten
       Bürgermeisterämter im Land.
       
       Seitdem wurden zahlreiche oppositionelle Bürgermeister im Zuge von Terror-
       und Korruptionsermittlungen verhaftet, darunter der Istanbuler
       Bürgermeister und Erdogan-Rivale Ekrem İmamoğlu. Das löste Massenproteste
       aus. Der CHP-Politiker, der seit einem halben Jahr ohne Anklage im
       Gefängnis sitzt, gilt als aussichtsreicher Herausforderer von Erdogan bei
       zukünftigen Wahlen.
       
       Die Verhaftung İmamoğlus sei ein „Wendepunkt“ gewesen, sagte die
       Türkei-Expertin Gönül Tol im politischen Podcast „Turkey Recap“. Erdoğan
       wolle die Türkei in eine Autokratie nach russischem Vorbild umbauen, in der
       die Wahlurne keine Rolle mehr spiele.
       
       ## Faktische Entmachtung möglich
       
       Inzwischen geht es nicht mehr nur um einzelne Bürgermeister, sondern die
       Struktur der CHP steht im Mittelpunkt. Erst vor zwei Wochen hatte ein
       Gericht den Vorstand der CHP in Istanbul abgesetzt und einen ehemaligen
       CHP-Abgeordneten als Verwalter ernannt. Ein anderes Gericht hatte die
       Entscheidung zwar wieder aufgehoben, der Verwalter blieb aber zunächst im
       Amt.
       
       Sollte Parteichef Özel am Montag wirklich abgesetzt werden, könnte der
       ehemalige, unbeliebte Parteichef Kılıçdaroğlu reinstalliert werden – ein
       schwacher Politiker und damit bevorzugter Gegner Erdoğans. Der Präsident
       stellt die Geschehnisse als innerparteilichen Konflikt der CHP dar. Diese
       versinke im Strudel von „Streit, Chaos und Krise“, sagte Erdoğan am
       Samstag.
       
       Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Berk Esen ist die Anzahl der
       Unterstützer Kılıçdaroğlus innerhalb der Partei jedoch minimal. Am Ende
       entscheide das politische Kalkül der Regierung über den Ausgang des
       Verfahrens, sagte er der dpa. Es könnte auch vertagt werden, dann bleibe
       der Druck auf die CHP bestehen.
       
       ## Russisches Modell
       
       Sollte die CHP-Führung per Gerichtsbeschluss abgesetzt werden, könne man
       nicht mehr von einem funktionierenden Mehrparteiensystem sprechen, so Esen.
       „In diesem Fall würden wir zu einem viel hegemonialeren, autoritäreren
       Regime übergehen, in dem Wahlen keine große Rolle mehr spielen.“ Das wäre
       drastisch und hätte weitreichende Folgen für die CHP, auf politische
       Parteien im Allgemeinen und auf die türkische Politik.
       
       Auch sieht Esen Ähnlichkeiten mit Russland. Es gebe jedoch auch
       Unterschiede, etwa sei die Wirtschaft wettbewerbsfähiger und die türkische
       Gesellschaft offener und dynamischer. Nicht zuletzt sei die größte
       Oppositionspartei stark und habe populäre Führungsfiguren, neben dem
       inhaftierten İmamoğlu, auch den Bürgermeister der Hauptstadt Ankara, Mansur
       Yavas. „Erdoğan drängt zwar darauf, das Land in diese Richtung zu führen,
       aber wir sind noch weit davon entfernt“, sagte er.
       
       Erdogan ist seit mehr als 20 Jahren an der Macht. Seit der Einführung eines
       Präsidialsystem 2018 hat er weitreichende Befugnisse und unter anderem
       maßgeblich Einfluss auf die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten. Die
       nächsten regulären Wahlen stehen 2028 an. Laut Verfassung darf Erdoğan nur
       im Fall von Neuwahlen noch einmal als Kandidat antreten. Er strebt jedoch
       eine Verfassungsänderung an.
       
       15 Sep 2025
       
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