# taz.de -- Nominierte 2017: Gesellschaft für Freiheitsrechte: Das Grundgesetz retten!
> Was tun, wenn der Bundestag Grundrechte ignoriert? Klagen! Die
> Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. organisiert
> Verfassungsbeschwerden.
(IMG) Bild: Aktivismus im Anzug, nicht immer spektakulär, aber effektiv
von [1][MALAIKA RIVUZUMWAMI ]
Verfassungsbeschwerden, strategische Klagen, Bundesverfassungsgericht –
das, womit sich die Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. (GFF) befasst,
kennen die meisten Menschen allenfalls aus den Nachrichten. Und da tönt es
dann meist ziemlich trocken und für Nichtjuristen reichlich komplex. Dabei
geht es bei ihrer Sache um etwas, das uns alle betrifft. Denn die Macher
der GFF wollen vor allem eines: das Grundgesetz retten.
Das mag absurd klingen: das Grundgesetz retten. Wohl nur die wenigsten
fühlen sich in ihrem Alltag eingeschränkt. Doch es gibt sie, „rechtliche
Schlupflöcher“, – so nennen sie die Aktivisten der GFF – Lücken in Gesetzen
und Gesetzesvorhaben, die unsere eigentlichen unantastbaren Rechte als
Bürger*innen einschränken.
Ein Beispiel: Im Dezember 2015 trat ein neuer Strafgesetzparagraf in Kraft,
der zusammen mit dem Gesetzespaket zur Vorratsdatenspeicherung im Bundestag
verabschiedet wurde. Der sogenannte Datenhehlerei-Paragraf stellt seitdem
den Umgang mit Daten unter Strafe, die jemand rechtswidrig erworben hat.
Bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe drohen. Whistleblower werden so
zu Kriminellen gemacht.
Die neue Strafvorschrift greift aber auch direkt Artikel 5 des
Grundgesetzes an. Dort heißt es: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in
Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus
allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die
Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und
Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ Doch wenn die
Arbeit mit Informationen von Whistleblowern in Deutschland den
Straftatbestand der Datenhehlerei darstellt, wie sollen investigative
Journalisten dann noch frei agieren?
Zwar ist die Arbeit „berufsmäßiger“ Journalisten von dem Gesetz ausgenommen
– nicht jedoch die von Experten, Anwälten, externen Beratern, Bloggern oder
Informanten. Somit wären auch IT-Fachleute, die bei der Auswertung von
Daten helfen, wie etwa bei der Veröffentlichung der „Panama-Papers“, von
einer Strafe betroffen. Ein Unding.
Gegen das „Anti-Whistleblowing-Gesetz“ wurde Verfassungsbeschwerde erhoben.
Daran beteiligt war auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. Seit
2015 organisiert der Verein strategisch geplante und vorbereitete
Verfassungsbeschwerden. Ihre Arbeit findet außerhalb der Gerichtssäle
statt, denn sie sehen sich in erster Linie als Vermittler. „Wir sind
eigentlich die Spinne, die im Hintergrund die Fäden spinnt und ein Netz
zwischen den Menschen spannt“, beschreibt Ulf Buermeyer von der GFF die
Arbeit.
## Mehr Arufmerksamkeit für das Grundgesetz
Das Kern-Team des Vereins besteht momentan aus fünf Personen. Ulf
Buermeyer, der eigentlich Richter am Landgericht Berlin ist, hat die GFF
zusammen mit dem langjährigen Grünenpolitiker und Bürgerrechtler Malte
Spitz gegründet. Sie arbeiten alle ehrenamtlich unter dem Motto: „Dem Recht
zu seinem Recht verhelfen.“
Als Vorbild dienten ihnen ähnliche Projekte aus den USA. Den eigentlichen
Impuls gab die Wahrnehmung, dass die Grundrechte im Bundestag in der
Gesetzgebung immer weniger Aufmerksamkeit bekommen. „Oftmals bleibt das
Grundgesetz auf der Strecke, deswegen muss es an manchen Stellen verteidigt
werden“, erklärt Ulf Buermeyer bei einem Gespräch in einem italienischen
Restaurant in Berlin.
Zwischen Rucolasalat und warmen Brot gibt er eine Einführung in die
deutsche Rechtslage. „Sicherlich sind wir mit unseren Themen bei vielen
nicht in Mode, wenn man aber darauf aufmerksam gemacht hat, empfinden es
viele als eine sehr wichtige Arbeit.“
Die Mitglieder der GFF suchen gezielt nach Rechtsproblemen mit der
Fragestellung: Welches Gesetz muss untersucht oder gar gekippt werden? Je
nach Fall kooperiert die GFF dabei mit unterschiedlichen Einzelpersonen und
Organisationen.
## Dringend notwendige Hilfe
Beim Anti-Whistleblowing-Gesetz wurde natürlich eine Verfassungsbeschwerde
in Karlsruhe eingelegt. Die GFF hat diese koordiniert und im Namen von
Netzpolitk.org, Reporter ohne Grenzen (ROG) sowie sieben Journalisten und
Bloggern eingereicht. Ziel ist es nun, dass der Paragraf zur Datenhehlerei
vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wird. Es geht aber auch
darum, dass Journalist*innen vor Ermittlungsmaßnahmen wie
Redaktionsdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von Recherchematerialien
geschützt bleiben.
Doch wie findet der Verein seine Kooperationspartner*innen? „Hier muss
einfach das Profil stimmen. Wenn es um das Thema Pressefreiheit zum
Beispiel geht, würden wir Journalisten ansprechen“, erklärt Buermeyer. In
manchen Fällen wird dafür eine Person gesucht, in anderen Fällen tritt die
Person selbst an die GFF heran.
So wie beim Fall einer TV-Reporterin, die wegen Diskriminierung und
ungleicher Bezahlung gegen ihren Arbeitgeber, einen großen
öffentlich-rechtlichen Fernsehsender klagte. Sie erhielt jahrelang ein
geringeres Gehalt als ihre Kollegen – erheblich weniger: Ihre männlichen
Kollegen bekamen für die gleiche Arbeit teilweise mehr Nettogehalt als sie
Brutto.
Nachdem sie jahrelang versucht hatte, außergerichtlich auf die Problematik
aufmerksam zu machen, folgte im April 2015 die Klage beim Arbeitsgericht
Berlin. Vor ein paar Monaten erging das niederschmetternde, aber nicht ganz
überraschende Ergebnis: die Klage scheiterte.
Die Reporterin legte Berufung vor dem Landesarbeitsgericht
Berlin-Brandenburg ein. Hier konnte sich die GFF, dank ihres zuvor
gesponnenen Netzes einklinken und sofort die dringend notwendige
finanzielle Hilfe zusichern. Der Verein begleitet das Verfahren, übernimmt
aber nicht die juristische Vertretung der Klägerin. „In diesem Fall wird
das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz nicht garantiert! Es existiert zwar,
nur hält sich einfach niemand daran“, wie Buermeyer erläutert.
## Mut fördern
„Es erfordert Mut dagegen anzugehen, gerade gegen den Arbeitgeber. Aber
genau diesen Mut möchten wir unterstützen!“ Seiner Meinung nach gelangen
viele Gesetzesverstöße erst gar nicht an die Öffentlichkeit, weil die
Betroffenen glauben, sie hätten sowieso keine Chance. Für die GFF ist das
kein haltbarer Zustand. Sie helfen den Menschen, sich zu wehren und für
ihre Grundrechte zu kämpfen.
In vielen Fällen geschieht dies auf finanzielle Weise und dank des
Unterstützernetzwerks der GFF, welches mit Spenden und
Fördermitgliedschaften das notwendige Geld zusammenträgt, Stichwort:
Spinnennetz. Eine Rückendeckung, die kaum gering geschätzt werden kann,
denn so ein Prozess ist teuer. Meist beginnt es bei einigen 1.000 Euro,
gewöhnlich sind es eher 20.000 Euro für eine Verfassungsbeschwerde.
Viel Geld und Arbeit für den Dienst am Gemeinwohl, der trotz seiner so
wichtigen Rolle meist nicht im Rampenlicht steht. Warum also tun sich die
Aktivisten der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. das alles an? Ulf
Buermeyer erklärt es so: Neben dem konkreten Ziel, Menschen bei der
Durchsetzung ihrer Grundrechte zu helfen, versprechen sie sich von ihrer
Arbeit auch eine gewisse Nachdenklichkeit bei jenen Parlamentariern
auszulösen, die sich mit entsprechenden Gesetzen befassen. Kurz: Sie retten
das Grundgesetz vor der Politik und damit auch die Politiker vor sich
selbst.
30 Jun 2017
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## AUTOREN
(DIR) Malaika Rivuzumwami
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