# taz.de -- Londoner Rapperin Little Simz: Der Bruder sitzt im Knast
       
       > „Grey Area“ heißt das neue Album der Rapperin Little Simz. Ihr Stil
       > changiert zwischen aggressiver Schnelligkeit und entspanntem
       > Storytelling.
       
 (IMG) Bild: Nutzt in ihren Texten keine billigen Parolen: Little Simz
       
       Die Zukunft ist am Arsch. Das könnte zumindest meinen, wer Berichte über
       politische Entwicklungen in einem globalen Zusammen verfolgt und über den
       immer dramatischer verlaufenden Klimawandel nachdenkt. In dem Stück
       „Pressure“, das die Londoner Rapperin Little Simz zusammen mit der Popband
       Little Dragon aufgenommen hat, beschreibt die 25-Jährige mit klaren Worten
       die Hilflosigkeit angesichts dieser düsteren Aussichten.
       
       Zu Pianoklängen in Moll, rumpelnden HipHop-Beats und schwelenden
       Synthesizern singt ein Backgroundchor „Caught in a lifestyle“. Pessimismus
       angesichts von Gewalt, Kriegen und Sexismus ist angebracht, aber der Track
       bleibt nicht bei Lifestyle-Kritik stehen. An einer Stelle rappt Little
       Simz, die eigentlich Simbiatu Ajikawo heißt: „Shit really got me down / But
       I’m still gonna succeed in life!“ Auch wenn sie die Lage runterziehe, sie
       wird trotzdem ihr Ding durchziehen. Es ist eben nicht alles nur schwarz
       oder weiß. Differenziert zu urteilen, das macht die britische Künstlerin
       auf ihrem [1][neuen Album „Grey Area“] zum Programm.
       
       Seit ihrem letzten Werk „Stillness in Wonderland“ sind zwei Jahre vergangen
       – für die äußerst produktive Little Simz fast eine Ewigkeit. In der
       Zwischenzeit war die Britin auf ausgedehnter Tour, trat sowohl solo als
       auch für das Pop-Projekt Gorillaz in Erscheinung. Fast schon ironisch, dass
       genau die Musik, mit der sie immer wieder Skepsis gegenüber der
       Schnelllebigkeit des Business äußert, Little Simz auf die große Bühne
       katapultiert hat. Zumal sie von Anfang an unabhängig und selbstbestimmt
       gearbeitet hat und ihre HipHop-Tracks auf ihrem eigenen Label Age 101
       veröffentlicht. Ihr konsequenter DIY-Ansatz führt für sie selbst zu mehr
       Arbeit. Vielleicht zu viel, denn irgendwann ist Little Simz in eine
       Depression geraten.
       
       ## Little Simz: „War für mich wie eine Therapie“
       
       Trotzdem begann sie die Arbeit an „Grey Area“, dem neuen Album. „Es war für
       mich wie eine Therapie“, erklärt die Künstlerin. „Manche erleben krasse
       Sachen und nehmen Drogen oder tun sonst was, um mit Druck und der
       Öffentlichkeit klarzukommen. Es ist ein Geschenk, dass mir das allein
       durchs Musikmachen gelungen ist und ich mich auf diese Weise heilen
       konnte.“
       
       Auf ihrem letzten Album hatte sie sich in Richtung Jazz und akustische
       Sounds geöffnet, was das neue Album erneut aufgreift. Little Simz und ihr
       Kollege Inflo, mit dem sie die meisten Instrumentals produziert hat,
       kanalisieren diese musikalische Vielfalt in eine Essenz, die Drumbeats als
       Kernelement hervorhebt.
       
       Das dritte Album von Little Simz wirkt wie die folgerichtige Synthese aus
       ihrem elektronisch klingenden Debüt „A Curious Tale of Trials + Persons“
       und dem beinahe luftigen „Stillness in Wonderland“. Rumpelnde Breakbeats
       sind Motor der Instrumentals, knarzige Bässe erzeugen zusätzlichen Druck.
       Zwischen den rauen Beats lockern immer wieder Gitarrenriffs und Pianotupfer
       auf.
       
       Der Albumtrack „101 FM“ erinnert mit galoppierenden Beats und quirligen
       Melodien deutlich an das britische Dancefloor-Genre Grime. Little Simz
       reflektiert damit ihre Jugend, nennt Grime-MC Dizzee Rascal und US-Rapper
       Busta Rhymes als Vorbilder. Der Titel funktioniert als Verneigung vor dem
       Piratenradio, das in Großbritannien seit jeher eine große Rolle bei der
       Durchsetzung von Grime, HipHop, Dubstep gespielt hat. „Früher war das wie
       ein Lebensstil, der bestimmte, welche Musik man hört, wie man Beats macht
       und was für Kleidung man trägt“, erinnert sich Little Simz. „Das hat mich
       stark geprägt. Wenn man sich mit Grime auskennt, merkt man an meinem Flow,
       dass ich damit aufgewachsen bin, auch wenn ich das in andere Arten von
       Musik übertrage.“
       
       Im Auftakttrack ihres Debütalbums rappte 2015 Little Simz: „Women can be
       kings“. Auf ihrem neuen Album gibt sich die Nordlondonerin als „Boss“,
       reimt auf „Venom“ in Wortkaskaden über Männer, die nicht damit klar damit
       kommen, dass die Stärke von Frauen nicht erst betont werden muss. „Ich
       denke, dass es besser geworden ist, aber es gibt immer noch Männer, die
       denken, dass sie Frauen überlegen sind. Ich werde aber bei diesem Thema
       nicht nachlassen“, betont Little Simz. „Ich habe eine Message, die ich
       weiter mit Nachdruck vertreten werde. Ich möchte meinen Teil dazu
       beitragen, die Stärke von Frauenstimmen zu zeigen.“
       
       In ihrem versatilen Rap-Stil zwischen aggressiver Schnelligkeit und
       entspanntem Storytelling reflektiert Little Simz auch persönliche
       Erfahrungen, verarbeitet ihre Depression und gescheiterte Beziehungen,
       unterstreicht ihre Position als Gesellschaftskritikerin, wenn sie Gewalt
       und Rassismus in England thematisiert. Dabei nutzt sie keine billigen
       Parolen oder abgegriffenen politischen Schlagworte. Little Simz rappt aus
       ihrer eigenen Perspektive über konkrete Erfahrungen. „Im Zentrum meines
       Albums bin sicher ich, aber meine Erfahrungen sind sicher stellvertretend
       für viele andere. Wenn ich in ‚101 FM‘ sage ‚Just another black boy in the
       system doing time in bin‘, können das viele Frauen nachvollziehen, deren
       Freund oder Bruder im Knast sitzen. Ich erzähle die Geschichten von vielen
       durch meine eigene.“
       
       Dass sie dabei auch die Zukunft im Blick hat, haben unter anderem die
       Singles „Offence“ und „Boss“ gezeigt. In Musikvideos stehen immer wieder
       Kinder im Mittelpunkt und damit nicht die Zukunft als politisches Programm
       oder abstraktes Versprechen, sondern als Menschen. „Kinder sind die nächste
       Generation, die wichtige Entscheidungen treffen wird. Ich möchte ihnen
       einfach zeigen, dass ihre Stimmen genauso wichtig sind wie die der
       Erwachsenen.“ Es gibt also noch Chancen auf eine lebenswerte Zukunft.
       
       13 Mar 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_lQifra7x7Nu7YwvSSn5Hh_sl5zGmM_4cg
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Weichenrieder
       
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