# taz.de -- Die alten und die neuen Kriege
       
       > KUNST Savvy Contemporary spürt im alten Neuköllner Umspannwerk mit der
       > Ausstellung „Wir sind alle Berliner: 1884–2014“ dem Echo der Berliner
       > Kongokonferenz nach und versammelt kritische Blicke auf den Kolonialismus
       
       VON TOM MUSTROPH
       
       Früher war das prächtige Backsteingebäude eines jener Prunkstücke des
       Architekten Hans Heinrich Müller, die sich zu Recht den Ehrennamen
       „Kathedralen der Elektrizität“ verdienten. Seit letztem Jahr ist im Gemäuer
       der alten Energieerzeuger ein echtes Powerhouse der zeitgenössischen Kunst
       in Betrieb. Savvy Contemporary gab jetzt dem dem Kurator Simon Njami die
       Gelegenheit, den späten Spuren der Kongokonferenz nachzugehen. Sie fand vor
       130 Jahren in Berlin auf Einladung Bismarcks statt und legte in Grundzügen
       die heute wieder umkämpften nationalstaatlichen Grenzen auf dem
       afrikanischen Kontinent fest.
       
       Savvy-Gründer Bonaventure Soh Bejeng Ndikung wartet beim
       Ausstellungsrundgang mit der starken These auf, dass ohne die
       Kongokonferenz auch die europäische Geschichte anders verlaufen sei.
       „Europa wäre nicht so, wie es ist. Ohne Leopoldville (die koloniale
       Bezeichnung des heutigen Kinshasa, Anm. TM) würde es heute kein Belgien
       geben, spielt er auf die Bedeutung der afrikanischen Kolonien für das
       kleine und selbst zerrissene europäische „Mutterland“ an. Für ihn gehen
       auch die Konfliktlinien der beiden Weltkriege auf die Ergebnisse dieser
       Konferenz zurück. Umso mehr wundert es Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, dass
       im Jahr der weltgeschichtlichen Jubiläen diesem Ereignis keine
       Aufmerksamkeit zuteil wurde. „Es wird an 100 Jahre 1. Weltkrieg gedacht, an
       75 Jahre 2. Weltkrieg und an 25 Jahre Mauerfall. Die 130 Jahre
       Kongokonferenz spielen hingegen keine Rolle“, meint er.
       
       „Wir sind alle Berliner“ füllt diese Lücke gut. Die Ausstellung besticht
       mit einzelnen künstlerischen Positionen, die sich zu einem spannenden
       Gesamtpanorama verdichten. Die stärkste Arbeit stammt Kader Attia, aktuell
       Träger des Berliner Kunstpreises. In seinem erstmals in Berlin gezeigten
       Video „Oil and Sugar#2“ verbindet er den Rohstoff, hinter dem die früheren
       Eroberer Afrikas her waren, mit dem Stoff, der heute Kriege befeuert. Auf
       einen weißen Kubus aus Zuckerwürfeln rieselt schwarzes Öl, bis die hellen
       Kristalle völlig in einer dunklen Pampe aufgelöst sind. Zucker war eines
       der Hauptgüter im kolonialen Dreieckshandel zwischen Afrika, Lateinamerika
       und Europa.
       
       Die Kolonialisierung Amerikas thematisiert eine Installation des Künstlers
       und Ethnologen Cyrill Lachauer. Ein Video zeigt einen rituellen Tanz von
       Feder geschmückten Sioux. Der Begleittext verrät, dass es sich um Aufnahmen
       einer Western Show des umtriebigen Buffalo Bill handelt. Indigene Kunst-
       und Ritualpraktiken wurden zu Entertainmentzwecken ausgebeutet, nachdem die
       ursprünglichen „Performer“ dezimiert worden waren. Eine Baumwolldecke, die
       Lachauer mit Hufabdrücken von Pferden versah, verweist auf eine grausame
       Strategie im Kampf der Europäer gegen die indigenen Völker, wurden denen
       doch bewusst pockenverseuchte Decken geschenkt.
       
       Den Bogen bis nach Japan spannt der Klangkünstler Satch Hoyt. Er verbindet
       ein Gebet der Cowboys, die das weite Land preisen, mit einer Ansammlung
       japanischer Porzellanfiguren in traditioneller Tracht. Sie stehen auf einer
       Membran, die durch Klänge zum Vibrieren gebracht wird, um einen
       indianischen Totempfahl gedrängt. Man kann sie als Hinweis auf die
       verstehen, die weichen mussten, damit Cowboys von weitem Gelände träumen
       konnten.
       
       Wieder zurück in Afrika überlagert die Filmemacherin Filipa Cesar die
       Erinnerungen portugiesischer Kolonisten an ihr Leben in Guinea-Bissau mit
       postkolonialen Erzählungen. Der Journalist Armando Lona benutzt beim
       Blättern durch ein Fotobuch der alten Herren zwar deren Sprache. Er
       schreibt den Bildern aber Episoden des Befreiungskampfes ein.
       
       Bis zum NSU reicht die Suche nach den Nachwirkungen der Kongokonferenz.
       Deren dummnationalistische Ideologie ist zumindest im Sinne eines
       Verteidigungskampfes der Nachfahren der Kolonisationsprofiteure gegenüber
       den Opfern dieser Ausbeutungspraktiken in die Narration der Ausstellung
       einzuweben. Mit bestechender Präzision zeichnet die gebürtige Zwickauerin
       Henrike Naumann in der Videoarbeit „Triangular Stories“ den Alltag zweier
       junger Burschen und einer jungen Frau im ostdeutschen Plattenbaumilieu
       nach, sodass man sich mitten ins banale Leben des Terrortrios Zschäpe,
       Mundlos & Böhnhardt hineinversetzt fühlt.
       
       Die Ausstellung soll bis zum 26. Februar 2015, dem 130. Jahrestages des
       Endes der Kongokonferenz, verlängert und von einer Konferenz begleitet
       werden. Der Titel „Wir sind alle Berliner“ bezieht sich laut Ndikung auf
       die Tatsache, dass „wir alle durch die Folgen der Kongokonferenz
       zwangsweise Berliner geworden sind“. Ein eher schändlicher weltpolitischer
       Einfluss dieser Stadt wird sichtbar.
       
       ■ Savvy Contemporary, Richardstraße 20, Sa + So 14–18 Uhr, vorläufig bis
       11. Januar/voraussichtlich bis 26. Februar 2015
       
       9 Dec 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) TOM MUSTROPH
       
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