# taz.de -- Die Macht der Fußballfans: Kleinlaut im Büßerhemd
       
       > Wenn der Gang in die Kurve zum Gang nach Canossa wird: Fußballprofis
       > unterwerfen sich den immer mächtigeren Ultras, weil sie müssen.
       
 (IMG) Bild: Standpauke vom Capo: Spieler und Trainer des SV Darmstadt werden vom Ultra-Chef ausgeschimpft
       
       Das Wandern ist des Deutschen Lust. Und so unternehmen vor allem die
       progressiven Kräfte des Landes in jungen Jahren einen Marsch durch die
       Institutionen, später dann pilgern sie auf dem Jakobsweg. Der erste
       Fitnesstrend dient dem Kampf gegen das Konservative, der zweite dem Kampf
       gegen Kalorien.
       
       Und was die Straßenkämpfer der 60er und 70er Jahre konnten, [1][das können
       die Ultras längst]. Sie erobern sich mehr und mehr Räume im Stadion, sie
       sind von einer Truppe, die sich früher aufs Schlägern konzentrierte, dann
       auf die effektvolle Kurvenchoreografie, nun zu einer sportpolitisch
       machtvollen Gruppierung aufgestiegen, die sogar Investorengroßprojekte
       verhindern kann oder Fußballpräsidenten in Erstligaklubs schiebt.
       
       Das Selbstbewusstsein der Ultras und ihrer Anführer, die den grässlichen
       Titel Kapo tragen, steigt und steigt. Am Samstag durfte man beobachten, wie
       einer dieser Ultrachefs die Darmstädter Profis, ja was eigentlich:
       einnordete, beschimpfte, maßregelte, anblaffte? Sie mussten sich jedenfalls
       eine Standpauke anhören, die sich gewaschen hatte – weil sie so schmählich
       verloren hatten gegen die Augsburger und überhaupt.
       
       ## Ankläger und Richter in Personalunion
       
       Die Wut braucht ein Ventil, gerade im Stadion, das ja trotz diverser
       Bemühungen immer noch ein Hort der sehr direkten Ansprache ist, aber die
       Bußrituale, die an jedem Wochenende und in nahezu jedem deutschen Stadion
       wie selbstverständlich stattfinden, wirken doch sehr befremdlich.
       
       Im Büßerhemd und mit gesenkten Köpfen müssen sich die Profis, so sie denn
       verloren haben, „der Kurve stellen“, sich anhören, was sie doch für Pfeifen
       und Versager sind. Die Kicker lassen sich bekübeln mit Verbalinjurien,
       hören sich den Sermon an, wohl wissend, dass sie gar nicht anders können.
       Würden sie nicht den – immerhin sehr kurzen – Gang nach Canossa antreten,
       dann hieße es nachher: Die Millionarios haben sich gedrückt.
       
       Die Ultras sind in diesem bizarren Spiel Ankläger und Richter zugleich. Und
       wenn die Profis nicht spuren, dann wird nicht nur geschmollt in der Kurve
       (Wegdrehen oder 15 Minuten Supportpause), nein, dann wird man auch
       aggressiv. Als es bei Hertha BSC einmal nicht so gut lief, was ja dort
       öfters vorkommt, wurde das Trainingsgelände gestürmt, das Team beschimpft
       und die Mannschaft gezwungen, die Trikots vor den Ultras abzulegen – als
       Geste der Demut, der Unterwerfung und des Schuldeingeständnisses.
       
       Wenn es in diesem Stil weitergeht, ziehen bald Flagellanten durchs Land, in
       Ungnade gefallene Fußballspieler, die [2][den Lehren eines Girolamo
       Savonarola] folgen.
       
       3 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Ultra-Bewegung
 (DIR) [2] https://www.deutschlandfunk.de/savonarola-florenz-fegefeuer-der-eitelkeiten-verbrannt-100.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
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