# taz.de -- Der Bockige wird Gärtner
> Als Hausbesetzer zog Freke Over (PDS) 1995 ins Abgeordnetenhaus. Die
> Koalition mit der SPD war nie sein Ding. Zur Neuwahl tritt er nicht mehr
> an. Lieber baut er sein Feriendorf in Brandenburg aus
AUS LUHME UWE RADA
Eines vom alten Leben hat der Hausbesetzer Freke Over ins neue retten
können: „Ich war schon immer der Hausmeister. Ob im besetzten Haus oder
jetzt im Feriendorf: Wenn eine Glühlampe kaputtgeht, bin ich der Erste, der
sie wechselt.“ So beginnt also dieses Porträt mit einem Zitat: „Das Leben
ist eine Baustelle.“
Als der Regisseur Wolfgang Becker im November 1995 die gleichnamige Hommage
über das Leben im Berliner Provisorium drehte, begann nicht nur die
Schauspielerkarriere einer Christiane Paul oder eines Jürgen Vogel, sondern
auch die eines Berliner Politikers. 28 Jahre alt war Freke Over, als er
kurz zuvor ins Abgeordnetenhaus gewählt wurde. Ein Hausbesetzer aus der
Stralauer Allee in Friedrichshain. Ein selbst ernannter Erzfeind des
Innensenators und Exgenerals Jörg Schönbohm (CDU) im Parlament. Das klang
bedrohlich für die einen und vielversprechend für die anderen.
Es war die Zeit der bunten Listen bei der PDS, und Freke Over war der
Bunteste von allen. Legendär bis heute ist sein Schreiben an den Berliner
Staatsschutz. „Sehr geehrte Damen und Herren“, schrieb Over an die Beamten
am Tempelhofer Damm, „ich möchte hiermit, bei Ihnen, eine Straßenschlacht
anmelden.“
Und siehe da: Die Beamten erwiesen sich als ironiesicher. Beim fast
filmreifen Aufeinandertreffen der Kreuzberger und Friedrichshainer
revolutionären Jugend zu einer Gemüseschlacht an der Oberbaumbrücke
beschränkte sich die Polizei darauf, den Verkehr umzuleiten. Und Over, dem
antiparlamentarischen Flügel der Besetzerszene noch nie ganz geheuer,
sammelte fleißig Credits bei der autonomen Spaßfraktion. Auch Politik kann
eine Baustelle sein. Erst recht, wenn sie von der Straße ins Parlament und
von dort wieder auf die Straße getragen wird.
An die Zeiten als Parlamentsneuling erinnert im brandenburgischen Luhme
heute nicht mehr viel: ein paar Plakate mit rotem Stern hier, ein paar
vergilbte Broschüren da. Im Feriendorf, das Freke Over mit Frau Anette
betreibt, ist für Vergangenheit kein Platz. Viel zu gegenwärtig ist das,
was der Hausmeister erledigen muss. In der Nacht hat ein Rauchmelder ob der
Hitze Alarm geschlagen. „Schlechte Nacht gehabt, was?“ Over grinst. Und
versichert eilig, der Rauchmelder sei keine billige Bauhausware. Dann nimmt
er das Ding und macht sich an die Arbeit. Später wird er sagen: „Wir haben
uns für 30 Jahre eine Baustelle gekauft.“ Den Rauchmelder hat er damit
nicht gemeint.
Overs Baustelle, das ist ein Wohnhaus aus der Zeit des Ersten Weltkriegs,
samt Gaststätte und Großküche. Ein grau verputztes Bettenhaus mit sechs
Zimmern und dem Charme der DDR-Inneneinrichtung. Eine top renovierte
Ferienwohnung, eine Kinderscheune, eine Werkstatt, mehrere Lagerräume sowie
sieben Bungalows. Insgesamt 60 Betten gibt es im Ferienland Luhme. Das
ehemalige Ferienheim haben Freke und Anette vor zwei Jahren aus der
Konkursmasse der Konsum-Genossenschaft gekauft. Schon lang hatten sie nach
einem passenden Objekt gesucht. „20.000 Kilometer sind wir gefahren, bis
wir die Anlage gefunden haben“, erzählt Over stolz. Dass Luhme ein
Ferienland für Kinder werden würde, war ausgemacht. Zur Kleinfamilie des
einstigen Politrebellen gehört nicht nur die Ehe mit Trauschein, mit dabei
sind auch die Kinder Jannik (15), Lena (12) und Anna (5).
Ist das Feriendorf, diese Baustelle auf 30 Jahren, sein Traum? „Ja“, sagt
Over, „zwei Jahre bin ich jetzt zwischen Abgeordnetenhaus und Luhme
gependelt, das reicht.“ Over wirkt entspannt, als er das sagt, als sei er
wirklich angekommen. Und wenn er einmal daran zweifeln sollte – 115
Kilometer von Luhme bis Berlin sind eine Distanz, die auch räumlich nicht
so leicht zu überwinden ist.
Die Ankunft in Luhme, mitten im Rheinsberger Seengebiet gelegen, hat auch
zu tun mit dem langen Abschied von der Berliner Politik. Der begann für
Freke Over schon im Januar 2002. Damals beendete die Berliner PDS ihre
Existenz als Oppositionspartei und begann eine neue als Regierungspartner
der Klaus-Wowereit-SPD. Over war einer der wenigen in seiner Fraktion, der
der rot-roten Koalition ablehnend gegenüberstand: „In der Opposition habe
ich einige Themen erfolgreich bearbeitet, zum Beispiel den Umgang in der
Stadt mit den Wagenburgen.“
Mit dem Eintritt in die Koalition spielten jedoch andere Themen eine Rolle,
zum Beispiel die von Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) geforderte
Risikoabschirmung für die Berliner Bankgesellschaft. Auch da war Over
dagegen. Die Niederlage, die er erlitt, schmerzte gleich doppelt: Nicht nur
die Risikoabschirmung passierte die Fraktion, sondern auch die zuvor
umstrittene Zustimmung zum Fraktionszwang. Over, dem der innerparteiliche
Streit wichtiger war als das geschlossene Auftreten nach außen, hatte
verloren. Fortan blieb er außen vor, abgeschnitten von den
Küchenkabinetten, die sich auch in der PDS schnell etablierten. Bunt war
unter Rot-Rot plötzlich zu farbig.
Freke Over sitzt im gelben „Revolution“-T-Shirt auf der Wiese zwischen
seinen Bungalows, die winzigen Rapsglanzkäfer haben an ihm ein gefundenes
Fressen. Ob er sich in den letzten Jahren mitunter als Pausenclown gefühlt
hat? „Manchmal ja“, sagt er, „warum soll man jemanden um seine Meinung
fragen, der nicht einmal den Koalitionsvertrag mit verhandelt hat?“
Es klingt wie eine Niederlage, auch wenn er sich dagegen gesträubt hat. Das
war einige Monate nach dem Eintritt in die Regierung. Noch einmal versuchte
Freke Over Fuß zu fassen im Parlamentsbetrieb, ging in den
Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Berliner Bankenskandals, wälzte
Akten, arbeitete sich ein in die Tricks der Buchhaltung, ging mit anderen
Themen in die Öffentlichkeit als mit drohenden Häuserräumungen oder
Strafbefehlen, deretwegen seine Immunität mehr als einmal aufgehoben wurde.
Am Ende aber bleibt die Erkenntnis, dass der Bankenskandal zwar den
Diepgen-Senat gestürzt hat, inzwischen aber vergessen ist. Overs Fazit:
„Wir waren enttäuscht von der geringen öffentlichen Resonanz.“
Enttäuscht war Over aber auch von seiner Basis. „Anfangs war es so, dass
ich im Parlament das vertreten habe, was viele andere in Friedrichshain
auch dachten. Dass wir politischen Druck auf den Senat machen wollten, auf
Spekulanten, auf politische Lösungen für die Häuser.“ Heute beklagt sich
Over hinter vorgehaltener Hand darüber, „dass die Jungen in den Häusern“
ihn, den Alten, „nur noch als Dienstleister begreifen“.
Freke Over hat begriffen. Seitdem ist er in Luhme. Als Pendelpolitiker
zwischen seiner „Hazienda“, wie er sie scherzhaft nennt, und dem
Abgeordnetenhaus. Am 17. September, mit der Wahl zum neuen Landesparlament,
ist endgültig Schluss. Am liebsten würde Over sagen: „Und das ist auch gut
so.“
Es ist Zeit zum Abendessen. Anette deckt den Tisch, in der Küche wirbelt
der Koch, auf der Basis einer „geringfügigen Beschäftigung“, wie es im
Arbeitsamtsdeutsch heißt. „Am liebsten hätten die mir 1-Euro-Jobber
geschickt“, schimpft Over. Doch das wollte er seinen Gästen nicht zumuten,
so viel Stil muss sein, auch auf einer Plunderranch, an die Luhme manchmal
erinnert. Das Essen des Kochs, ein Bernauer algerischer Herkunft, gibt ihm
recht.
Überhaupt, das Essen, die Baustellen, die Träume. Einen dieser Träume haben
sich Freke Over und Anette Klumb bereits in dieser Saison verwirklicht,
auch wenn damit die nächste Baustelle droht – einen „regelmäßigen
Gastronomiebetrieb“ mit Namen „Konsumwirtschaft“. Dass das auch bedeutet,
über den Sommer hinweg einzukaufen, Schichten zu schieben, präsent zu sein
– geschenkt. Aber so ist das mit Träumen. Die von Freke Over haben nichts
mehr mit Revolution und Widerstand zu tun, sondern mit unternehmerischem
Handeln und dem Wachstum des Familienbetriebs. Auch wenn Over das selbst so
nie nennen würde.
Dabei war der gebürtige Wolfsburger schon immer ein Selbstständiger. War
nachgerade dazu verdammt, weil er, wie er zugibt, nichts Richtiges gelernt
hat, „außer Melker natürlich“, aber auch da hielt sich die Nachfrage in
Grenzen. Also hat er sich seine Jobs selbst organisiert, hat gearbeitet als
Blumenzwiebelverkäufer, Markthändler, schließlich als Inhaber eines
Getränkebetriebs, der die besetzten Häuser mit Biobier belieferte.
Baustellen auch dies alles und viel Stoff für Anekdoten. „Als ich ins
Parlament zog, habe ich bei der Berufsbezeichnung für das
Abgeordnetenhandbuch angegeben: selbstständiger Schwarzarbeiter.“ Das
wollte der Parlamentspräsident aber nicht durchgehen lassen, also hat er
„verschiedene selbstständige Tätigkeiten“ daraus gemacht. „Wenn man so
will“, schmunzelt Over, „hat Walter Momper meine Biografie gefälscht.“
Das kann er nun nicht mehr. Aber auch Anekdoten wie diese wird es in
Zukunft weniger geben. Dafür vielleicht neue. Die drehen sich nicht mehr um
die große Politik in Berlin, sondern um die kleine auf dem Dorf oder die
zwölf Kilometer weiter in Rheinsberg. Nicht mehr um Parlamentspräsidenten
und Bankenskandale geht es dann, sondern darum, ob der Bürgermeister
genügend gegen die Nazis unternimmt. Und um den Imageschaden, den diese der
Region zufügen. „In Luhme selbst“, fügt Over schnell hinzu, „haben wir
damit kein Problem.“
Der Abend auf der Ferienranch neigt sich dem Ende zu. Die Gäste, die sich
das Essen des Kochs gegönnt haben, sitzen auf der Veranda und nippen am
Wein. Weiter drunten, vor den Bungalows, wird gegrillt. Dass die Mehrzahl
der Gäste keine Halbpension gebucht hat, kann Freke Over verstehen. „Oft
sind das Leute aus den ehemals besetzten Häusern, die mit ihren Kindern
nach Luhme kommen, die haben immer noch nicht so viel Geld.“
So folgt sie ihm doch noch, die Basis, auch wenn es diesmal nicht um linke
Politik geht, sondern einfach nur um einen schönen Sonnenuntergang.
[1][www.ferienland-luhme.de]
4 Aug 2006
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## AUTOREN
(DIR) UWE RADA
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