# taz.de -- American Pie: Das große Experiment
       
       > ■ Vor 50 Jahren: Jackie Robinson durchbricht die Rassenschranken
       
       But the levee was dry 
       
       Am 15. April 1947 brach, wie es ein Radioreporter später beschrieb, „die
       Hölle los“. Jackie Robinson lief für die Brooklyn Dodgers aufs Feld und hob
       die seit 1890 ebenso stillschweigend wie selbstverständlich verfügte
       Rassentrennung im Baseball auf.
       
       Der Legende nach war Branch Rickey, Präsident der Dodgers, auf der Suche
       nach billigen Talenten. Als Manager der St. Louis Cardinals hatte Rickey
       das Farmsystem erfunden, kleine Klubs aufgekauft und dort Spieler für die
       große Show ausbilden lassen. Als die Konkurrenten das Prinzip kopierten,
       war sein Vorteil dahin, also kam er auf die Idee, schwarze Spieler aus den
       sogenannten „Negro Leagues“ abzuwerben. Doch er brauchte für sein „Great
       Experiment“, wie es noch heute genannt wird, jemanden, der nicht nur
       sportlich in der Lage war mitzuhalten, sondern vor allem einen Mann, der
       den Druck, die Beleidigungen und die Morddrohungen ertragen konnte. Es gab
       bessere Spieler in den „Negro Leagues“ als Robinson, der im College eher
       als Basketballer, Footballer und Weitspringer geglänzt hatte. Aber Rickey
       entschied sich für den gebildeten Nichtraucher und Antialkoholiker.
       
       Robinson mußte Rickey versprechen, drei Jahre lang stillzuhalten und zu
       erdulden, daß es gegnerische Spieler darauf anlegten, ihn zu verletzen,
       Pitcher versuchten, ihn am Kopf zu treffen, und die Schiedsrichter ihn
       benachteiligten. Wenn ein Zuschauer „Komm rüber und putz meine Schuhe!“
       rief, war das noch eine der harmlosen Beschimpfungen. Selbst Kollegen aus
       der eigenen Mannschaft wollten nicht mit ihm zusammen spielen, bis Rickey
       drohte, sie kurzerhand zu entlassen. Bei Auswärtsspielen im Süden durfte
       Robinson oft nicht mit seinen Teamkollegen im gleichen Hotel übernachten
       oder im gleichen Restaurant essen.
       
       Drei Jahre lang spielte Robinson den netten Onkel Tom, ohne jemals aus der
       Rolle zu fallen. Trotz des unglaublichen Drucks war er auch sportlich
       erfolgreich und wurde in seiner ersten Saison zum „Rookie of the Year“
       gewählt – inzwischen trägt diese Auszeichnung seinen Namen. Er wurde der
       erste Afroamerikaner, der für ein All-Star-Spiel nominiert, der erste der
       zum „Most Valuable Player“ und in die „Hall of Fame“ gewählt wurde. Und er
       führte die Brooklyn Dodgers zu ihrem ersten und letzten World- Series-Sieg,
       bevor sie nach Los Angeles umzogen.
       
       Nach drei Jahren, als sein Schweigegelübde abgelaufen war, begann Robinson
       auf Beleidigungen zu reagieren und sich wie jeder andere Spieler auch mit
       Schiedsrichtern anzulegen. Rickey wiederum hatte sein Ziel erreicht: Die
       Dodgers hatten ein gutes Image bei afroamerikanischen Spielern, für die sie
       niemals eine Ablösesumme zahlen mußten. Die „Negro Leagues“ verloren ihre
       besten Akteure, mit ihnen die Zuschauer und gingen schließlich ein.
       Andererseits ebnete Robinson den Weg für Willie Mays oder Hank Aaron, ganz
       zu schweigen von den Stars im Football und Basketball.
       
       Robinson engagierte sich nach seiner aktiven Zeit in der
       Bürgerrechtsbewegung, Martin Luther King und Jesse Jackson fragten ihn um
       Rat. Im Wahlkampf 1960 warb er für Richard Nixon, was er später als „nicht
       gerade meine großartigste Entscheidung“ bezeichnete. In der letzten seiner
       vier Autobiographien, die kurz vor seinem Tod 1972 erschien, ließ er
       erstmals durchblicken, wie bitter ihn seine historische Tat gemacht hatte:
       „Solange ich die Beleidigungen und Angriffe ignorierte, war ich ein
       Märtyrer. In der Minute, in der ich begann zu antworten, zu protestieren,
       zu widersprechen, wurde ich zum Großkotz, zum Angeber, zum hochnäsigen
       Nigger.“ Thomas Winkler
       
       16 Apr 1997
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Winkler
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA