# taz.de -- Aussteigerprogramm: Hotline für Islamisten
       
       > Das Bundesamt für Verfassungsschutz richtet ein Aussteigerprogramm für
       > Extremisten ein. Von Experten kommt Kritik. Sie sind sich uneins, wie
       > effektiv die Maßnahme ist.
       
 (IMG) Bild: Beim Zentralrat der Muslime trifft das neue Programm auf Zustimmung.
       
       Der Verfassungsschutz hat ein Aussteigerprogramm für gewaltbereite
       Islamisten gestartet. Sie können sich telefonisch oder per E-Mail an den
       Verfassungsschutz wenden, ebenso Freunde und Angehörige. Im Gegenzug
       erhalten sie Hilfe bei Ortswechsel, Behördenkontakten und Unterstützung,
       falls sich die Aussteiger schulisch oder beruflich qualifizieren möchten.
       Sollten sie bedroht werden, will das Amt für ihre Sicherheit sorgen.
       
       Beim Zentralrat der Muslime trifft das neue Programm auf Zustimmung. Nach
       Rasterfahndung, verdachtsunabhängigen Kontrollen in Moscheen und abgehörten
       Imamen sei dies nun eine zielgenaue Maßnahme. "Es ist effektiver, als eine
       ganze Glaubensgemeinschaft zu dämonisieren und zu kriminalisieren", sagte
       der Generalsekretär Aiman Mazyek der taz. Das Aussteigerprogramm müsse nun
       ergänzt werden durch politische Bildungsarbeit, zudem könne man "Scouts"
       ausbilden, die in Moscheen über Extremismus informieren.
       
       Es gehe darum, die "Ausreißer" zurück in die Mitte der Gesellschaft zu
       bekommen. Das sei nur möglich, indem man den Mainstream stärke: Etwa hätten
       die Terroranschläge von Madrid im März 2004 verhindert werden können, wenn
       das unmittelbare Umfeld anders auf die jungen Männer reagiert hätte. So
       hätten sie wegen ihrer extremistischen Tendenzen irgendwann "Moscheeverbot"
       bekommen, beschäftigt habe sich mit ihnen jedoch niemand.
       
       Der Islamwissenschaftler Götz Nordbruch, der das Internetportal
       [1][ufuq.de] über islamische Jugendkulturen betreibt, warnt davor, sich zu
       viel von einem Aussteigerprogramm zu versprechen. "Sicherlich kann man
       vieles von den Programmen gegen Rechtsextremismus lernen, aber nicht alles
       lässt sich übertragen", sagt Nordbruch.
       
       Während Rechtsextremisten durchaus versuchen würden, die Gesamtgesellschaft
       zu erreichen, um sich dort zu "popularisieren", würden sich Islamisten eher
       von ihr abwenden. In England gibt es ein ähnliches Programm, das von einer
       Stiftung getragen wird, in Deutschland ist jedoch das Bundesamt für
       Verfassungsschutz direkter Ansprechpartner für die Aussteiger. "Ein
       staatliches Programm ist keine Instanz, an die man sich wendet, wenn man
       diese Gesellschaft vorher abgelehnt hat", sagt Nordbruch.
       
       Der migrationspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Memet
       Kilic, stellt die Effektivität des Programms infrage. "Zu den
       Aussteigerprogrammen für Rechtsextremisten sind bis heute keine Bilanzen
       veröffentlicht", sagt Kilic. Ein neues Projekt zu starten, bevor diese
       Zahlen vorliegen, halte er für unglaubwürdig. Es bringe aus seiner Sicht
       auch nur etwas, wenn führende Mitglieder zum Ausstieg aus der Szene bewegt
       werden könnten. "Bonbons an das Fußvolk zu verteilen, davon halte ich
       nichts", sagt Kilic.
       
       Schätzungen über die Zahl der gewaltbereiten Islamisten in Deutschland
       möchte das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht nennen. Veröffentlicht ist
       lediglich eine ungefähre Anzahl aller Islamisten, deren Zahl sich im Jahr
       2009 auf 36.270 belaufen haben soll. Auf Anfrage heißt es, gewaltbereit sei
       hiervon ein Bruchteil.
       
       Bereits seit dem Jahr 2001 gibt es beim Verfassungsschutz ein Programm für
       ausstiegswillige Rechtsextremisten. Spezielle Aussteigerprogramme für
       gewaltbereite Islamisten gab es in Deutschland bislang nicht.
       
       20 Jul 2010
       
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