# taz.de -- Arno Lustiger gestorben: Der Unbeugsame
       
       > Holocaust-Überlebender, Textilhändler, Historiker – das eigene Schicksal
       > trieb Arno Lustiger zur Geschichtsforschung. Im Alter fand er hohe
       > Anerkennung. Jetzt ist Lustiger gestorben.
       
 (IMG) Bild: Der Schriftsteller und Publizist Arno Lustiger 1998 auf der Frankfurter Buchmesse mit seinem „Rotbuch: Stalin und die Juden“.
       
       BERLIN taz | Mit ihm war gelegentlich wirklich schlecht Kirschen essen.
       Bemerkte er im Dickicht des Diskurswaldes jüdische Sprecher, die sich, so
       verstand er es, mit Antisemiten und Antisemitismus gemein machten,
       bezichtigte er sie des Schlimmsten: Der tiefen Aversion gegen das eigene
       Jüdischsein. Arno Lustiger, Jahrgang 1924, geboren im polnischen Bendzin,
       schrieb über eben jene Spezies einen im September 2008 erschienenen Text in
       der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Lehrgang über den Selbsthass“. In dem
       führte er aus, dass er nichts von den Alfred Grossers und Noam Chomskys
       hielt, die partout nicht erkennen wollten, dass der Zionismus für die
       Etablierung Israels ein wichtiger, ja existentiell notwendiger Schritt war.
       
       Und zwar für alle Juden, für die Einwanderer in Palästina wie für die
       jüdische Diaspora. Israel, so liesse sich sagen, war für ihn, der die
       nationalsozialistischen Konzentrationslager nur zufällig, durch glückliche
       Fügungen, überlebte, Israel war die Antwort auch der Juden selbst auf die
       in alle jüdischen Leben eingewobene Angst, nach Belieben und Geschmack
       verfolgt werden zu können.
       
       Lustiger machte sich mit diesem Text genau die Feinde, die er nicht hatte
       haben wollen, die er aber in Kauf nahm: Allergisch pflegte er das
       politische Wischiwaschi gerade der Linken im Hinblick auf Israel und dessen
       Existenzrecht zu kommentieren. Lustiger, bekennenderweise Zionist, konnte
       harsch werden, wenn er fand, dass die Tonalität der israelischen Politik
       ungerecht und proarabisch gestimmt aus. Bildern von Flüchtlingslagern von
       Palästinensern im Libanon begegnete er bewusste blind: Wer über die
       politischen Bedrohungen gegen Israel nicht sprechen möchte, solle sich von
       Elendsbildern nicht einschüchtern lassen.
       
       Nach 1945 war Lustiger in Deutschland eine Displaced Person – und nicht
       willens, nach Israel oder in die USA auszuwandern. Wie andere überlebende
       Mitglieder seiner Familie blieb er im Land des Holocaust, baute als
       Textilfabrikant eine Firma für Frauenmoden auf. Seine Leidenschaft aber
       galt der Rezeption der Shoah selbst: Vor allem die giftige Behauptung,
       Juden hätten sich nicht gegen ihre Vernichtung durch ihre Feinde gewehrt.
       Er forschte und lehrte – unter anderem als Gastprofessor am Frankfurter
       Fritz-Bauer-Institut – zu dieser Frage.
       
       Seine publizistische Liste zu diesem Thema, eigentlich eines, das von
       jüdischer Stärke, vom Willen zum Überleben, vom Verrat durch (falsche)
       Freunde handelt, ist lang und beeindruckend: Am besten vielleicht das 1994
       erschienene „Zum Kampf auf Leben und Tod. Das Buch zum Widerstand der Juden
       1933-1945“, am bittersten in „Rotbuch: Stalin und die Juden“, 1998 bei
       Aufbau erschienen. Noch kürzlich sagte er: „Ich kann mich nicht
       zurücklehnen. Es gibt noch viele Aspekte, die noch zu erforschen sind.“
       
       2010 erhielt er das Grosse Bundesverdienstkreuz; ihm wurde vom Land der
       Professorentitel zuerkannt, die Universitaet Potsdam verlieh ihm die
       Ehrendoktorwuerde 2007. Arno Lustiger lebte ein jüdisches Leben ohne
       Opferkult. Im Alter von 88 Jahren ist er, der Unbeugsame, am Dienstag
       gestorben.
       
       16 May 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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