# taz.de -- Kessel der Kritik
       
       > Kritik am Polizeieinsatz gegen Schüler-Friedensdemo mehrt sich: SPD will
       > Videoaufnahmen der Polizei auswerten, SchülerInnenkammer ist entsetzt.
       > Auch unter Polizisten gibt es Kritik. Einige hatten gegen den Einsatz
       > Bedenken angemeldet
       
       von KAI VON APPEN, LENA GORELIK und SANDRA WILSDORF
       
       Einen Tag nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und
       Schülern bei der Friedensdemonstration am Montag mehren sich kritische
       Stimmen gegen den Polizeieinsatz. „Die Steine, die auf Polizisten geworfen
       wurden, rechtfertigen weder das massive Aufgebot der Polizei, noch ihr
       brutales Vorgehen“, erklärte Lucy Redler von „Jugend gegen Krieg“. „Wir
       haben Polizisten angeboten, die Schüler mit Megaphonen zum Gehen
       aufzufordern, aber der Vorschlag wurde abgelehnt.“ Die Organisation will
       deshalb Anfang nächster Woche zu einer Demonstration gegen Polizeigewalt
       aufrufen.
       
       Auch SchülerInnenkammer-Vorsitzende Katharina Meyn kritisierte: „Es kann
       nicht sein, dass Achtklässler mit Wasserwerfern und Schlagstöcken getrieben
       werden.“ Mehrere Schüler meldeten sich gestern bei der taz hamburg und
       berichteten von zusammengeschlagenen Freunden. Timo Meincke,
       Schülersprecher der Gewerbeschule 17, erzählt: „Ich habe gesehen, wie ein
       Mädchen von Polizisten in den Rücken geschlagen wurde und zusammenbrach.“
       
       Die über 100 in Gewahrsam genommenen Jugendlichen wurden erst Montagabend
       wieder freigelassen. „Wir wurden wie in einem Film breitbeinig an einen
       Polizeiwagen gestellt, durchsucht und mit Handfesseln in Bussen zu
       verschiedenen Revieren transportiert“, berichtete Sebastian Leber, Vorstand
       des Uni-AStA. Zusammen mit anderen Studenten hatte er versucht, Schüler auf
       den Campus zu leiten, um die Lage zu entspannen, und wurde eingekesselt.
       
       ## Zu Boden geworfen
       
       Anwohner berichten außerdem von einem Vorfall in der Bundesstraße, bei dem
       Polizisten einen dunkelhäutigen Demonstranten besonders brutal behandelt
       haben sollen. „Er wurde zu Boden geworfen, sein Gesicht scheuerte dabei
       über die Straße, er wurde an seinen hinter dem Rücken doppelt gefesselten
       Armen wie Vieh angehoben“, berichten Silke Wenzel und York Reynolds. Der
       Jugendliche sei außerdem geknebelt worden. Schüler der
       Ida-Ehre-Gesamtschule haben eine Hotline eingerichtet, bei der betroffene
       SchülerInnen sich beispielsweise über Anzeigenerstattung informieren
       können. Diese ist unter ☎ 40 18 79 03 von 16 bis 19 Uhr erreichbar.
       Schulsenator Rudolf Lange (FDP) wollte sich gestern zu den Vorgängen nicht
       äußern, sondern zunächst den Bericht der Innenbehörde abwarten.
       
       Entgegen deren Behauptungen, es seien noch keine Strafanzeigen eingegangen,
       berichtet Rechtsanwalt Manfred Getzmann, bereits vor Ort bei
       Hundertschaftsführer Wagner gegen die Verantwortlichen Strafantrag wegen
       „Freiheitsberaubung“ aufgrund des „Kinderkessels“ gestellt zu haben. „Es
       werden Strafanzeigen offensichtlich unterdrückt“, so Getzmann. „Ich erwarte
       ein Aktenzeichen vom Dezernat Interne Ermittlungen.“ Sein Kommentar: „Der
       Schlagstock funktioniert schneller als die Gehirnwindungen.“
       
       Offensichtlich ist es jedoch bei dem Einsatz zu Remonstrationen von
       Polizisten gekommen. „Mehrere Kollegen haben deutlich gemacht, dass sie
       nicht bereit sind, gegen Schüler vorzugehen“, so eine Beamtin zur taz
       hamburg. „Außerdem war ich selbst davon ausgegangen, dass womöglich meine
       Tochter unter den Demonstranten ist.“ Einige Zugführer von
       Alarmhundertschaften sollen ihre Bedenken deutlich angemeldet haben. Das
       bestreitet Polizeisprecher Reinhard Fallak: „Es ist nichts bekannt von
       Remonstrationen von Zugführern.“
       
       ## Polizeiliche Bedenken
       
       Nach Beamtenrecht dürfen Polizisten keine Befehle verweigern, sie dürfen
       nur mit dem Mittel der Remonstration ihre Vorbehalte gegen Anordnungen
       äußern. Auch in Polizeikreisen hält man den Einsatz für „unprofessionell“
       und fragwürdig. „Die Kräfte waren auf den Verlauf nicht vorbereitet“,
       gesteht ein Polizeioffizier. Das entpflichte die Beamten aber nicht vom
       Grundsatz der „Verhältnismäßigkeit“. Polizeisprecher Fallak rechtfertigt
       das Vorgehen mit „500 Schülern, die aktiv geworfen“ hätten: „Nach zwölf
       erfolglosen Warnungen Wasser einzusetzen, ist doch verständlich.“
       
       Auch in der Politik hat der Polizeieinsatz zu Diskussionen geführt. Christa
       Goetsch, Fraktionsvorsitzende der GAL, kritisiert: „Dieser Einsatz von
       Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist durch nichts zu rechtfertigen.“
       Jan-Erik Spangenberg, Vorsitzender der Jungen Liberalen Hamburg und
       Augenzeuge, kritisiert das Vorgehen der Polizei als „unverhältnismäßig“ und
       „eskalierend“. Die Polizisten hätten es vielen friedlichen Teilnehmern
       unmöglich gemacht, der Auflösungsverfügung nachzukommenen. Wer versuchte,
       sich zu entfernen, dem wurde „nachgesetzt und mit Wasserwerfern
       hinterhergeschossen“.
       
       Michael Neumann, innenpolitischer Sprecher der SPD, fordert eine
       Sondersitzung des Innenausschusses noch in dieser Woche. Zur Klärung der
       Vorfälle sollten auch Videoaufnahmen der Polizei herangezogen werden. Alle
       Seiten hätten ein Interesse an umgehender und lückenloser Aufklärung.
       Dieter Wiefelspütz, Neumanns Pendant im Bundestag, findet es „vollkommen
       unverhältnismäßig“ auf Schüler „einzuprügeln“ und hält Hamburgs
       Innensenator Ronald Schill für „ein Sicherheitsrisiko“. Der befand
       schlicht: „Wiefelspütz betreibt unverantwortliche Hetze gegen
       Polizeibeamte.“
       
       26 Mar 2003
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) KAI VON APPEN / LENA GORELIK / SANDRA WILSDORF
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA