# taz.de -- Die Kleinstadt und ihr großer Philosoph
       
       > Am heutigen Samstag jährt sich der Geburtstag des Existenzialphilosophen
       > Karl Jaspers zum 125. Mal. Die Universität seiner Heimatstadt Oldenburg
       > sieht darin den Anlass, gleich ein ganzes „Jaspers-Jahr“ auszurufen. Was
       > soll man davon halten?
       
       Was ist ein Philosoph? Ein Mensch, von dem zu hören die meisten schon mal
       die Ehre, den zu lesen aber die wenigsten das Vergnügen gehabt haben. Als
       Ausnahme, die diese Regel bestätigt, konnte einige Zeit Karl Jaspers
       gelten. Mit seiner erstmals 1932 erschienenen Schrift „Die geistige
       Situation der Zeit“ gelang ihm das seltene Kunststück eines philosophischen
       Bestsellers: Schwungvoll, klar und verständlich schildert Jaspers die
       Grundzüge der Existenzphilosophie vor dem Hintergrund der Technisierung der
       Welt und der von ihr ins Werk gesetzten Massengesellschaft.
       
       Noch größer war nach dem Krieg Jaspers’ Erfolg als politischer Denker. 1966
       veröffentlichte Der Spiegel Vorabdrucke aus seinem Buch „Wohin treibt die
       Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen“. Wenig später bringt es der
       Piper Verlag auf den Markt und nach 11 Monaten liegt die Auflage bei 90.000
       Exemplaren. Aber: Jaspers ist auf diesem Gipfel seiner Bekanntheit bereits
       über 80 Jahre alt und stirbt drei Jahre später, 1969. Schon bald darauf
       wird er vergessen, und wer sich für Existenzphilosophie interessiert, liest
       Heidegger, mit dem Jaspers bis zu dessen NS-Engagement befreundet war; wer
       sich fürs politische Denken interessiert, liest Hannah Arendt, Jaspers’
       Schülerin.
       
       Erst in den 1990er Jahren beginnt man, sich auf Jaspers zu besinnen. Etwa
       in Oldenburg, seiner Geburtsstadt, mit den „Karl Jaspers Vorlesungen zu
       Fragen der Zeit“. Um die Vorlesungsreihe ins rechte Licht zu rücken, legt
       die dortige Universität jetzt nach: 2008 hat sie zum Jaspers-Jahr erklärt
       und will den Philosophen mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen ehren.
       Den Auftakt macht am heutigen Samstag, Jaspers’ 125. Geburtstag, Hans
       Sahner, sein letzter Assistent. Im Mai und Juni werden dann Rolf Hochhuth,
       Hermann Lübbe und Robert Spaemann referieren. Eine begleitende Kunst- und
       Biographieausstellung ist mit Peter Weibel und Olafur Eliasson besetzt.
       Viel Aufregung also, ein geringer Anlass – und die Frage: Was soll man
       davon halten?
       
       Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass Jaspers mehr Aufmerksamkeit zuteil
       wird. Denn der Philosoph hat nicht an Aktualität verloren. Bereits in
       seinen frühen Schriften findet sich ein klares Bewusstsein des epochalen
       Wandels, den wir heute als „Globalisierung“ bezeichnen: Die Welt schrumpft
       zum Dorf, in dem alles mit allem verbunden und von jedem Punkt jederzeit
       verfügbar ist. So erstaunlich der Weitblick ist, mit dem Jaspers vor mehr
       als 75 Jahren ein Phänomen beschreibt, das erst heute für alle erkennbar
       wird, so bemerkenswert sind auch die Schlüsse, die er aus der kritischen
       Umbruchssituation zieht. Statt wie Heidegger Halt und Heil im Heimatboden
       zu suchen, oder im Umkehrschluss sich an die hohle Internationalität der
       klassenlosen Gesellschaft zu klammern, begreift Japsers den Menschen als
       ein Wesen, das die singuläre Wahrheit seiner Herkunft erst realisiere, wenn
       es sich in den pluralen Raum einer schrankenlosen Kommunikation einbringe.
       Erst als Weltbürger ergibt es demnach Sinn, Deutscher, Franzose oder
       Tscheche zu sein.
       
       Immens ist auch Jaspers’ Verdienst in der Auseinandersetzung mit der Zeit
       des Nationalsozialismus, die er und seine jüdische Frau in „innerer
       Emigration“ nur mit Not überlebten. 1946, die Zeichen standen auf
       Verdrängung, publizierte er „Die Schuldfrage“. Oder man lese, was er zur so
       genannten Vergangenheitsbewältigung schrieb: „Dieses Wort schätze ich gar
       nicht; es handelt sich nicht um etwas, was bewältigt, ausgeräumt und dann
       erledigt wird, sondern es handelt sich heute darum ... dass wir alle, mit
       voller Klarheit sehen, was geschehen ist und dass wir aus diesem Wissen die
       Konsequenzen ziehen.“ Zu diesem Wissen gehört zu allererst die Erkenntnis,
       „dass mit der Ausrottung der Juden etwas geschehen ist, wofür es in der
       Geschichte keine Vokabel gibt“. Daran zu erinnern ist in Zeiten der
       konkurrierenden Opfergedächtnisse – und der damit einhergehenden Gefahr
       einer Verwirrung der historischen Urteilskraft – wichtiger denn je.
       
       Ein Jaspers-Jahr wird der Größe und Bedeutung des Philosophen gerecht.
       Sollten wir deshalb hinwegsehen über den Verdacht, dass die Hochschule
       Jaspers zum Anlass nimmt, sich selbst groß in Szene zu setzen? Hinwegsehen
       über den Gedanken, dass Jaspers, ein glühender Verfechter des
       Humboldt’schen Ideals, in der Oldenburger Carl von Ossietzky Universität
       mit Schrecken eine banale, an den Arbeitsmarkt angepasste Ausbildungsstätte
       gewahrt hätte? Am schwierigsten aber: hinwegsehen über die Tatsache, dass
       in der Würdigung Jaspers’ als „großer Oldenburger“ eine Herabwürdigung des
       Weltbürgers steckt, der 1948 in die Schweiz übersiedelte und 1967,
       enttäuscht von der Bundesrepublik, an deren Spitze mit Kiesinger ein
       ehemaliges NSDAP-Mitglied stand, seinen alten Pass zurücksandte – nicht ins
       Land der Denker, sondern, wie ihm scheinen musste, in das der
       unverbesserlichen Henker. MAXIMILIAN PROBST
       
       23 Feb 2008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) MAXIMILIAN PROBST
       
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