# taz.de -- Die Wahrheit: Yin und Yang der Langeweile
> Was macht eigentlich der offenbar vergessene öde Ort Erlangen?
> Spektakuläres suchen Besucher vergebens.
(IMG) Bild: Allerletzter Halt: Die Siemens-Zentrale in Erlangen
Nach Erlangen hineinzukommen, ist nicht leicht. Rechts und links ist die
Bahnstrecke gesäumt von Lärmschutzwänden. Bis hinein ins Zentrum der
fränkischen Kleinmetropole, wo die Lärmschutzwand eine Lücke aufweist,
sodass man einen kurzen Blick auf die „Erlangen Arcaden“ erhaschen kann.
Die so penetrant nach Erlangen aussehen, dass es auch Bielefeld,
Delmenhorst, Kiel oder Zwickau sein könnte.
Dabei braucht es weder zum Sicht- noch zum Geräuschschutz Wände oder gar
Wälle. Denn die in Erlangen lebenden Menschen sind angenehm leise – und
das, obwohl wir es mit Erlangen seit 1743 mit einer Uni-Stadt zu tun haben
und ergo mit Studierenden, die ja bekanntlich oft und gern Radau machen.
Jedoch nicht so im ruhigen Erlangen, von dem schon der Dichter T. Gsella
reimte: „Ganz selten lacht ein kleines Kind / Mit einem andern kleinen. /
Und wenn sie wüssten, wo sie sind, / Sie würden beide weinen.“
Doch halt! Kaum hat man ganz friedlich diese Gedanken ins Smartphone
eingegeben, da ramentert auch schon eine Demo durch die Apfelstraße gen
Schlossplatz heran, rund dreißig Menschen, begleitet von drei Polizisten
auf Fahrrädern. Die Demonstrierenden klären die interessiert herumstehenden
Passanten laut rufend dahingehend auf, dass es viele gute Alternativen zur
schädlichen Kuhmilch gibt und dass man Tiere nicht schlachten sollte.
Das aber heißt hier ja wohl Vegetarier nach Erlangen bringen, denn in
dieser Stadt gibt es keine Fleisch mögenden Bewohner. Ganz anders als im
Welten entfernten Nürnberg, wo man kaum atmen kann, weil die Luft so derart
gesättigt ist vom Duft nach Geselchtem, Gesottenem, Gebratenem, Gegrilltem
– Würste, Rindsrouladen, Sauerbraten wohin man sieht, riecht und schmeckt.
## In Erlangen ist die Luft sowas von rein
In Erlangen dagegen isst man gern im „Restaurant Herzstück“, wo es
Ortstypisches zu verputzen gibt: „Mediterranes Sharefood“ und „Urban
kreativen Brunch“. Oder ins „Muskat“, das sich nicht nur als
„Biorestaurant“ ausweist, sondern auch durch „Bipolare Ionisierung“ seiner
Räume weithin bekannt und angesagt ist. Wenn es mit dem Slogan wirbt: „Hier
ist die Luft rein“, dann könnte das prima als Stadtmotto herhalten.
Glücklich und gesund, nachhaltig, acht- und aufmerksam lässt es sich in
Erlangen leben. Die gelebte Langeweile mit Wohlfühlfaktor. Sogar die FDP,
die es in Erlangen noch gibt, wirbt auf Ständern ganz öffentlich gleich
vier mal: „Let’s Talk“. Und zwar mit-, nicht übereinander bis zur
Gänsehaut!
Apropos brüderlich und schwesterlich: Es soll angeblich Forderungen gegeben
haben, den Ortsnamen zu gendern. Wie klug. Wissen doch die Insassen, dass
dem maskulinen ER in Erlangen das feminine SIE in SIEmens geschickt
gegenübersteht und eine Harmonie erzeugt, die sich mit Yin und Yang
vergleichen lässt. Denn Erlangen und Siemens, das ist eins wie Fisch und
Wasser. Siemens ist der größte Arbeitgeber – von den rund 20.000 Erlanger
Bürgern arbeiten 115.000 am Großstandort, entsprechend prägt das
erfolgreiche Unternehmen auch den Geist von Stadt und Uni.
Kein Zufall, dass es dort bei schlagenden Verbindungen zu ersten
Siemensuren kam und die hungrigen Studis ihren Bauch in der Siemensa füllen
– nein, auch der Spruch „siemens sana in corpore sana“ ist in Erlangen
behaglich zu Hause. Man kümmert sich, um sich und umeinander. Wie sonst
ließe sich die erstaunliche Dichte an seelischem Fachpersonal erklären, das
flächendeckend angesiedelt wurde: Jedes zweite Klingelschild weist auf
„Psychol. Psychotherapeutin“ oder knapp „Dipl.-Psych.“ hin. Hier eine
Praxis für Psychotherapie, dort die „Naturheilpraxis Salutogena“, zudem
eine „zertifizierte Lash- und Browstylistin“ sowie die Firma „Glow’in“
einer vermutlich ebenfalls zertifizierten „Kosmetikerin und Haut-Expertin“
– das alles in einem einzigen Haus!
All das kann entdecken, wer durch die Straßen der Stadt flaniert. Und wer
mehr sehen will: Bis zum 6. Januar 2026 läuft im Stadtmuseum Erlangen noch
die Ausstellung „Sachen gibt’s! Frag-Würdiges zur Erlanger Geschichte“, mit
erstaunlichen Detailinformationen über den Ort. Wobei ja das berühmte Lied
„Wissenswertes über Erlangen“ von Foyer des Arts aus dem Jahr 1982 bereits
alles zusammenfasst: „Alle jungen Leute in Erlangen sind auch sehr adrett
und grüßen im Treppenhaus, wenn man sie trifft.“
Und wem das nicht reicht, sollte wissen, dass Erlangen die Rheumastadt ist.
Im Comicmuseum gab es kürzlich eine Ausstellung zum Thema „Comic meets
Rheuma“. Wer weiß, welche ihr folgt: „Comic meets Bipolare Ionisierung“?
„Glow’in meets Erlangen“? Wir wissen es nicht, denn wir sind wieder am
Bahnhof angelangt und werden gleich gen Nürnberg gleiten, durch die Flucht
der blickdichten Lärmschutzwände. „Flucht“ steht hier übrigens ganz ohne
Hintergedanken.
19 Nov 2025
## AUTOREN
(DIR) Thomas Schaefer
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