# taz.de -- Tschüss, werktäglich gedruckte taz: Meine schönste Zeitung
       
       > Nachts an der Schreibmaschine getippt, morgens gefaxt, abends in der
       > Berliner Kneipe gekauft: Eine Hommage an die gedruckte tageszeitung.
       
 (IMG) Bild: Am Kiosk gibt es weiterhin die wochentaz, auch wenn immer mehr Kioske ganz auf Zeitungsauslagen zu verzichten scheinen
       
       [1][taz FUTURZWEI] | Eines Morgens trat ich in einen [2][Kreuzberger]
       Zeitungskiosk und die Zeitungen waren weg. Da hing doch immer eine halbe
       Wand voll mit einer sehr ordentlichen Auswahl.
       
       Jedenfalls bildete ich mir das sein. Jetzt war an der Stelle ein riesiges
       Kühlregal mit einem großen Sortiment [3][Bier] aus aller Welt.
       
       „Wo sind denn die Zeitungen und Zeitschriften?“, fragte ich aufrichtig
       perplex. Die Späti-Frau schaute mich an, als sei ich gerade mit einer
       Zeitmaschine in der Gegenwart gelandet und zeigte auf eine dunkle
       Schmuddelecke ihres Ladens.
       
       Da waren sie oder was übriggeblieben war, soweit ich mich erinnere, BZ,
       Bild, MoPo. Over.
       
       „Ja, aber …“, stammelte ich.
       
       „Lohnt sich nicht mehr“, sagte die Späti-Frau nüchtern.
       
       Ich begann bitterlich zu weinen und hörte erst wieder auf, als ich an den
       28. März 1991 dachte. Am Abend davor war ich in [4][Frankfurt/Main] im
       Waldstadion gewesen, beim Länderspiel Deutschland – [5][Sowjetunion]. Die
       Deutschen mit ihren Weltmeistern plus unseren DDR-Neuzugängen Sammer und
       Doll. Es war das letzte Spiel der Sowjetunion.
       
       Danach fuhr ich zu meiner Frau fürs Leben nach Heilbronn und schrieb den
       „Nachdreher“ für die taz. Das nannten wir Sportjournalisten so und ist – in
       der Theorie – ein einordnender, analytischer, intelligent unterhaltender
       Text über das Spiel.
       
       Am nächsten Morgen faxte ich die mit Schreibmaschine beschriebenen Seiten
       zu Michaela und Matti in die Leibesübungen-Redaktion, und dann fuhren wir
       nach Berlin. Abends saßen wir in einer Kreuzberger Kneipe, und dann kam die
       Zeitungsverkäuferin, und ich kaufte die frisch gedruckte taz.
       
       Und jetzt kommt’s: Keine 24 Stunden nach Spielende war da der Text drin und
       für alle zu lesen! What a feeling. Nachgeborene werden das kaum
       nachvollziehen können, aber das war der schönste Tag meines beruflichen
       Lebens.
       
       Es war damals selbstverständlich, dass man nachts in der Berliner Kneipe
       minimal eine Zeitung kaufte und zumindest gleich mal durchblätterte. Das
       gehörte zum aufgeklärten Lifestyle. In [6][Tübingen] oder sonst wo gab es
       das ja nicht, das war Berlin!
       
       Irgendwann hörte das auf, dass man neugierig war, was wohl drinstehen würde
       und was den Tag über so passiert war. Man weiß es ja, weil man ständig
       digital Nachrichten zu sich nimmt und nicht mehr nur morgens und abends.
       Mediennutzungsgewohnheiten radikal verändert.
       
       Der legendäre taz-Verkäufer [7][Olaf Forner] wird heute in manchen Kneipen
       in Berlin-Mitte ignoriert wie ein Bettler. Nicht mal mehr: „Nein, danke.“
       Schon gar nicht: „Hab ich doch im Abo.“ Die schauen einfach weg. Die
       Briefkästen in den Mietshäusern sind morgens so leer, dass man nicht mal
       mehr eine Zeitung klauen kann. Mitlesen in der U-Bahn geht auch nicht, weil
       keiner Zeitung liest, außer am Telefon, aber da ist die Schrift zum
       Mitlesen zu klein. Die Zeitungen in Cafés werden immer weniger und die
       Cafés mit Zeitungen auch.
       
       Echte Zeitungskioske gibt es nicht mehr. Normal ist heute, dass man
       jenseits vom Bahnhof und wenigen Läden kein Philosophie Magazin oder was in
       der Richtung mehr kriegt. Vor ein paar Wochen brauchte ich einen kicker und
       rannte dafür auch schon von Pontius zu Pilatus.
       
       Das erzähle ich nicht, weil ich Kulturpessimist bin und die Entwicklung
       schön bequem als Niedergang und Verfall einsortieren will. Ich erzähle es,
       weil ich jahrelang zusah, wie die Welt sich veränderte, aber es
       gleichzeitig auch nicht sah. Ich sah es, und ich sah es nicht. Oder erst an
       diesem Tag, von dem ich eingangs berichte.
       
       Das scheint mir eine mitteilungswerte Erkenntnis zu sein, die weit über
       Zeitungen hinausgeht. Außerdem wollte ich unbedingt vom 28. März 1991
       erzählen. Vermutlich geht es mir hauptsächlich darum.
       
       Als erste überregionale Zeitung erscheint die taz ab dem 20. Oktober 2025
       wochentags als e-paper, aber nicht mehr als Print-Ausgabe. Gedruckt
       erscheinen im taz-Verlag die Wochenzeitung wochentaz, Le Monde diplomatique
       und [8][taz FUTURZWEI], Magazin für Zukunft und Politik. 
       
       🐾 Lesen Sie weiter: Die neue Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI N°34
       mit dem Titelthema „Zahlen des Grauens“ [9][gibt es jetzt im taz Shop].
       
       14 Oct 2025
       
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