# taz.de -- Nachrichten aus dem falschen Leben: Dummheit und Milde
       
       > Die KI ist in aller Munde, vor allem aber nervt sie unseren Autor. Er
       > versucht, ihrer mit einem rätselhaften Satz habhaft zu werden.
       
 (IMG) Bild: KI auf Kollisionskurs: Die implementierte KI bringt mitunter in Nöte, wo keine sind
       
       [1][taz FUTURZWEI] | „Dummheit und Milde trennt nur eine sehr feine
       Grenze“, sagte mir einmal der große Schriftsteller [2][Eckhard Henscheid]:
       „Ich würde dieser Grenze nicht trauen.“ Mit einem Bleistiftstummel
       kritzelte ich diesen Satz auf einen kleinen Zettel, um ihn mir zu gegebener
       Zeit wieder vor Augen zu halten.
       
       Vor einem Monat steuerte ich einen modernen Mietwagen von La Rochelle nach
       Bordeaux. Ich fühlte mich angenehm französisch. Es war früher Morgen, meine
       Beifahrer suchten Schlaf.
       
       Woran leider nicht zu denken war, weil das Auto sicherheitshalber permanent
       piepste. Immer dann, wenn ich nur eine Hand am Lenkrad hatte oder beide
       Hände an der falschen Stelle. Oder wenn ich nach Meinung des modernen
       [3][Citroën] in einem endlosen Baustellenbereich nur 30 km/h fahren sollte,
       wo ausweislich der Beschilderung eindeutig 60 km/h erlaubt waren, auf deren
       Ausreizung der Fahrer des unmittelbar an meinem Kofferraum klebenden
       Sattelschleppers offensichtlich pochte.
       
       Als ich einem toten Fuchs ausweichen wollte, korrigierte der Wagen meinen
       Kurs und steuerte mich mitten hinein in den Kadaver. Der Lkw-Fahrer hupte.
       Es war „La Cucaracha“ als fröhliche Fanfare.
       
       An diesem Tag hätte mich die [4][künstliche Intelligenz], das miese Stück,
       sicherheitshalber beinahe umgebracht.
       
       Vergangene Woche bekam ich eine geharnischte Mail von meinem Arbeitgeber.
       Die Assistentin der Chefredaktion verlangte zu wissen, warum ich auf die
       letzte Mail noch nicht reagiert hätte. Ich fand sie bald im Papierkorb,
       wohin ich sie nach Lektüre des Anfangs („Liebe Kollegin, lieber Kollege, KI
       ist derzeit in aller Munde …“) befördert hatte, weil dieser Satz eindeutig
       von einer KI geschrieben worden war.
       
       Im Anhang der Mail fand ich nun den Vertrag, auf dessen Unterschrift die
       Assistentin der Chefredaktion pochte, als wäre sie ein französischer
       Fernfahrer. Ich sollte an Eides statt versichern, mich beim Schreiben
       meiner Texte in der Vergangenheit noch nie einer KI bedient zu haben, diese
       Technologie in der Gegenwart links liegen zu lassen und auch in Zukunft
       unbedingt zu schmähen.
       
       An diesem Tag ging mir die künstliche Intelligenz, die Idiotin,
       einigermaßen auf die Nerven.
       
       Gestern erzählte eine Kollegin in kleinerer Runde, sie habe kürzlich eine
       „wirklich beschissene Nacht gehabt“. Meine besorgte Frage, was ihr denn so
       bleischwer auf dem Herzen gelegen habe, wischte sie sanft beiseite: „Darum
       geht es nicht. Es geht darum, dass ich das Handy rausgeholt und
       [5][ChatGPT] um Rat gefragt habe“, ganz leise, nur schriftlich, um den
       neben ihr schnarchenden Mann nicht zu wecken.
       
       Zwar habe sie zunächst alles löschen müssen, was die künstliche Intelligenz
       über sie bereits an Informationen gesammelt hatte: „Aber dann war es ganz
       wunderbar. Ich wurde selten so sanft, einfühlsam und hilfreich behandelt.
       ChatGPT hat irgendwie die richtigen Fragen gestellt, im richtigen Ton, ohne
       mich für meine Gedanken zu verurteilen oder so … und bald ging’s mir wieder
       besser.“ Am Ende habe die KI noch darauf bestanden, ihr eine Geschichte
       über eine Frau in ähnlicher Lage vorzulesen: „Verrückt, oder?“
       
       Worauf ein Kollege, dessen Intelligenz und Urteil ich sehr schätze,
       abfällig mit der Zunge schnalzte: „Willkommen in der Dystopie!“ Eine
       Einschätzung, der ich als Digitalskeptiker normalerweise ohne Zögern
       zugestimmt hätte. Zu meiner eigenen Überraschung aber hegte ich diesmal
       einen gegenteiligen Gedanken: „So what? Whatever get’s you through the
       night!“
       
       Ein menschlicher Ansprechpartner am Sorgentelefon, führte ich weiter aus,
       rede schließlich auch nicht frei, sondern blättere je nach Problem der
       Anruferin zur entsprechenden Seite in seinem Sorgentelefonhandbuch. An
       diesem Tag empfand ich für die künstliche Intelligenz erstmals eine gewisse
       Milde.
       
       Ein Gefühl, das mir aus diffusen Gründen verdächtig vorkam. Da erinnerte
       ich mich wieder des kleinen Zettels. Seitdem frage ich mich, was genau
       Eckhard mit diesem rätselhaften Satz gemeint, warum genau ich ihn mir
       aufgeschrieben haben könnte. Vergeblich.
       
       Ich werde wohl eine künstliche Intelligenz um Rat fragen müssen.
       
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       6 Oct 2025
       
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