# taz.de -- Die Wahrheit: In der Besenkammer des Ruhms
       
       > Das vergessene Leben des Erwin H.: Zu Besuch bei Erling Haalands
       > Halbbruder, der es trotz vieler Versuche nie zum Weltstar geschafft hat.
       
 (IMG) Bild: Stand immer im Schatten seines Bruders
       
       Es gibt diesen Moment, da bricht alles aus Erwin Hamann heraus. Da verliert
       er sich. Hamann, 32, schütteres Haar und Whisky-Stimme, sitzt in der Ecke
       eines holzvertäfelten Speiselokals in Bryne, einer Kleinstadt im Südwesten
       Norwegens. Im Fernsehen läuft die Fußball-Champions-League, Manchester City
       gegen Borussia Dortmund. Für einen der Spieler scheint die Großaufnahme
       reserviert: Erling Haaland, der Hüne mit den blonden Haaren, norwegischer
       Weltstar. Immer wieder ist er im Bild, wie er Vorlagen herausdribbelt und
       Tore schießt.
       
       Für Hamann ist Haaland ein rotes Tuch. Und das hat Gründe.
       
       Als die Stimme des Kommentators zum vierten Mal „Tooor, Erling Haaland,
       Toooor“ brüllt, springt Hamann auf. „Ich hasse dich“, schreit er in
       Richtung Fernseher, wirft sein Glas und verfehlt das Gerät nur knapp. „Ich
       hasse dich und deine schmalzigen Schmierlocken.“
       
       Hamann war selbst Profi-Fußballer, später Ernährungscoach und Influencer.
       Heute lebt er zurückgezogen. Es war nicht einfach, ihn für ein Interview zu
       gewinnen. Nur über einen Lokalreporter aus Bryne, der sich noch an Hamann
       erinnerte, kommt der Kontakt zustande. Zwar ist es schon ein paar Jahr her,
       aber ja, Hamann war mal Thema für die Lokalzeitung. Nie allerdings wegen
       seiner eigenen Erfolge, sondern immer wegen der des blonden Hünen. Denn
       Erwin Hamann ist der Halbbruder von Erling Haaland. Und das Verhältnis ist
       zerrüttet. So sehr, dass Hamann vor drei Jahren seinen Namen änderte. Mit
       Erling wollte Erwin auch auf dem Papier nichts mehr zu tun haben.
       
       Dass Erling und Erwin nur Halbbrüder sind, erfuhren sie durch einen Zufall.
       Ein Preisausschreiben versprach dem Gewinner eine genetische
       Abstammungsanalyse. Erwin dachte an Inuit, Wikinger oder Sami, aber bekam
       Boris Becker. Dessen DNA war wegen der Kontroverse um seine uneheliche
       Tochter Anna Ermakova noch in der Datenbank und ergab einen Treffer.
       Becker, so stellte sich heraus, hatte sich nicht nur von Angela Ermakova in
       einer Besenkammer den Samen rauben lassen, sondern auch von Erlings und
       Erwins Mutter, ebenfalls Profi-Sportlerin.
       
       ## Konkurrenz in der Jugend
       
       Das Konkurrenzverhältnis der beiden Halbbrüder begann schon früh, in der
       Jugendmannschaft des Bryne Fotballklubb. Beide strebten eine Profi-Karriere
       an, waren gut, Erling aber besser. 2019 glaubte Erwin an den Durchbruch.
       Ein Anruf des FC Red Bull Salzburg verhieß einen Wechsel in die Profi-Liga.
       Doch als Erwin sich mit Schienbeinschonern und Stollenschuhen im Stadion
       vorstellte, schaute er in verdatterte Gesichter. In Österreich hatten sie
       Erling erwartet. Wegen des breiten Dialekts des Salzburger Sportdirektors
       war es am Telefon zur Verwechslung gekommen.
       
       Erwin gab nicht auf. Ein Jahr später kam wieder ein Anruf, diesmal aus
       Großbritannien! Vom kleinen, aber traditionsreichen Klub der Manchester
       Suburbs. Erwin sagte zu. Während er gegen die „Stone Old Alleynians“ und
       die „Wolverhampton Casuals“ verlor, startete sein Halbbruder richtig durch.
       Als Erling dann auch nach England wechselte und bei Manchester City unter
       Vertrag kam, war das für Erwin Hamann zu viel.
       
       Hamann schmiss hin und eröffnete in Leeds eine Ernährungsberatung. Im Land
       der frittierten Mars-Riegel lief das nur schleppend. Nach fünf Monaten zog
       es ihn zurück in seine Heimat.
       
       All das erzählt er in der Kaschemme in Bryne vor einem Teller mit
       norwegischem Graved Lachs und schwedischen Köttbullar. Er mischt das gern.
       „Ein Protein-Cocktail“, sagt Hamann, als er den Blick des Reporters
       bemerkt.
       
       Hamann, der Sportler, der Ernährungscoach – dieses Bild von sich läse er
       gern in der Zeitung. Nach dem siebten Aquavit, den er als Digestif
       bestellt, kommt Hamann ins Reden, erzählt von Karriereknicken und dem Tag,
       an dem er Erling in einem Nobelrestaurant in Manchester um Geld für
       Sportwetten bat und dieser so tat, als kenne er ihn nicht. Seinen eigenen
       Halbbruder.
       
       Dann war da diese Sache mit dem gebrochenen Rücken. 2023 hatte Hamann sich
       bei Instagram angemeldet. Auf die Idee, sein Wissen aus dem Sport mit
       anderen zu teilen, kam er, als seine Nachbarin Gertrud mal wieder über
       Kniegelenkschmerzen klagte. Statt ihr wie üblich die Post zu holen, legte
       Hamann selbst Hand an. Mit einem Lkw-Spanngurt und dem Garagentor verhalf
       er der Nachbarin zu mehr Beweglichkeit. Das Video erreichte binnen zwei
       Tagen knapp 2.900.000 Zuschauer. Ein Knaller.
       
       ## Vorfall mit Postboten
       
       Hamanns Livestreams über „Amateur-Chiropraktik“ erreichten fortan
       Hunderttausende. Bis er Olav Jakobson, den Postboten, per Bootskran und
       Schmiedehammer von einem Bandscheibenvorfall befreien wollte. Jakobson ist
       seitdem halbseitig gelähmt, Hamann muss ihm jeden Monat Schmerzensgeld
       zahlen. „Eine vierstellige Summe“, sagt er und schiebt hinterher, dass es
       Jakobsons Idee war, den Schmiedehammer aus vier Meter Höhe fallen zu
       lassen.
       
       Der Kunstfehler gab Hamann den Rest. Immer öfter griff er zum
       Selbstgebrannten. Schmerzensgeld und Ratenzahlungen für die Bootskranmiete
       wurden zu viel. „Glauben Sie ja nicht, dass Erling sich mal gemeldet oder
       mich gar mit Geld unterstützt hätte“, sagt Hamann. „Der sitzt schön in
       Manchester und lässt sich feiern. Und wenn ich feiern sage, dann meine ich
       so richtig feiern.“ Was das genau heißen soll, will der Journalist wissen.
       „Ich sage nur: Es hat viel geschneit in England in letzter Zeit. Und
       Syphilis ist keine Autoimmunerkankung.“
       
       Hamann redet über Erlings Schwarzhandel mit Robbenfellen und Wettschulden
       aus Hahnenkämpfen. Nicht alles, was er über seinen Halbbruder erzählt,
       lässt sich unabhängig überprüfen. Erling Haaland wollte sich auf Anfrage
       der Wahrheit nicht zu den Vorwürfen äußern.
       
       Heute gehe es ihm gut, sagt Hamann. Er betreibt einen Verleih für
       Akku-Staubsauger. Klar, ein Werbevertrag für Adidas oder Nike wäre schön
       gewesen. Einmal habe das Modelabel „Gudrun Sjödén“ angefragt, damals noch
       vor seiner Namensänderung. Sjödén vermarktet skandinavische Naturmode für
       Damen. Die Frau aus der Marketingabteilung dachte, Erwin sei der Name von
       Erlings Spielerfrau. Es war eine Verwechslung. Schon wieder.
       
       Das, so erzählt es Hamann heute, sei wohl der Moment gewesen, in dem er
       sich endgültig für die Namensänderung entschloss. Für ein neues Leben. Und
       endlich ein Stück Selbstbestimmung.
       
       10 Oct 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ludwig Gammelgönna
       
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