# taz.de -- Mittel gegen Wohnungskrise in Berlin: Yeah, Vergesellschaftung!
       
       > Der Berliner Gesetzentwurf zur Vergesellschaftung macht - unbeabsichtigt
       > – die Möglichkeit eines Zusammenlebens mit bezahlbaren Mieten und
       > stabiler Daseinsfürsorge sichtbar. Das Beste: Man muss dafür nicht den
       > Kapitalismus abschaffen. Eine Kolumne.
       
 (IMG) Bild: Schmeckt nicht, muss aber irgendwie runter: Berlins Bausenator Christian Gaebler (SPD) und die Vergesellschaftungs-Kröte
       
       ## „Das Vergesellschaftungsrahmengesetz (VergRG) schafft den rechtlichen
       Rahmen für Zwecke, Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen
       und Produktionsmitteln sowie deren Überführung in Gemeineigentum oder in
       andere Formen der Gemeinwirtschaft im Land Berlin“. - „Ziel der
       Vergesellschaftung ist die unmittelbare Deckung eines öffentlichen Bedarfs
       der Daseinsfürsorge ohne Gewinnabsicht.“
       
       – aus Art 1 und 2, Entwurf des VergRG der Berliner Senatskoalition aus CDU
       und SPD. 
       
       [1][taz FUTURZWEI] | Die Grundversorgung aller Bürger soll in Berlin in
       Zukunft direkt von öffentlichen Regiebetrieben der Stadt als Teil der
       öffentlichen Daseinsfürsorge organisiert und betrieben werden. Das
       beinhaltet Wohnen, die Versorgung mit Energie, Wasser und Wärme, die
       Entsorgung von Abwasser und Abfall, dazu ÖPNV, Post, Telekommunikation und
       alle digitalen Kommunikationsdienstleistungen, sowie die Pflege und
       Gesundheitsversorgung.
       
       Dieser Gesetzentwurf steht auf sicherem verfassungsrechtlichen Grund, dem
       Sozialisierungsartikel 15 GG. Diesen Artikel haben die Sozialdemokraten im
       August 1948 in Herrenchiemsee mit viel Einsatz ins Grundgesetz eingebracht.
       Sie wollten sicherstellen, dass die Wirtschaft der Republik nicht nur auf
       Profitinteressen ausgerichtet wird, sondern mit Gemeinwirtschaft zugleich
       auf die sozialen Interessen aller Bürger.
       
       Eine sozialdemokratische Heldentat, die leider keine Rolle beim
       Wiederaufbau gespielt hat. Vergesellschaftung nach Art 15.GG hat es seit
       1948 nicht ein einziges Mal gegeben.
       
       ## Fast 60 Prozent stimmten für Vergesellschaftung
       
       Die Berliner Sozialdemokraten besinnen sich nicht von ungefähr auf ihre
       Wurzeln. Sie wurden durch das Volksbegehren vom 26. September 2021 dazu
       gedrängt, das für die Vergesellschaftung von Wohnungseigentümern votiert,
       die über mehr als 3.000 Wohnungen verfügen. 59,1 Prozent der abstimmenden
       Berliner haben für die Vergesellschaftung gestimmt.
       
       CDU und SPD haben, um das Ansinnen der Bürger abzuwehren, eine juristische
       Expertenkommission eingesetzt, die nachweisen sollte, dass eine solche
       Vergesellschaftung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Pustekuchen.
       Die Kommission hat einstimmig festgestellt, dass eine Vergesellschaftung
       großer Wohnungsbestände mit Art. 15 GG vereinbar ist, wenn der Berliner
       Gesetzgeber per Gesetz klare Gemeinschaftsziele verfolgt.
       
       Der Gesetzentwurf soll nun über das Wohnen hinaus den Weg in der Stadt für
       eine Renaissance der Gemeinwirtschaft in der öffentlichen Daseinsfürsorge
       freimachen. Er soll im Dezember ins Abgeordnetenhaus eingebracht und dort
       im Mai 2026 beschlossen werden. Die CDU schäumt pflichtgemäß mit den
       erwarteten Rhetorikstandards: „Neue Regulierungsorgie“, „Die SPD völlig auf
       Abwegen“, „Wenn es etwas gibt, was Berlin nicht braucht, dann sind das
       Enteignung und Klassenkampf“, „Wohlfühlsozialismus wird es mit uns nicht
       geben“ undsoweiter.
       
       Die SPD hat dagegen mit dem Gesetzentwurf einen potentiellen Wahlkampfhit,
       der sie vorerst nichts als leere Versprechungen kostet.
       
       ## Städtische Wohnungsbauer als Mietentreiber
       
       Es ist sehr, sehr schade, dass mit dieser Gestaltungschance des Stadtlebens
       durch Vergesellschaftung so wenig ernsthaft umgegangen wird.
       
       Wohnen ist in Berlin zum Geschäftsmodell von profitgierigen Investoren aus
       der ganzen Welt geworden, an der sich sogar die städtischen
       Wohnungsbaugesellschaften beteiligen. Die GEWOBAG, die größte von ihnen,
       bietet im Neubau Wohnungen zum Preis ab 16.50 Euro pro Quadratmeter kalt
       an, ihre Vorstände sind mit Gehältern von über 203.000 Euro Gehalt
       ausgestattet. Wo die fehlenden 40.000 bezahlbaren Wohnung herkommen sollen,
       darauf geben sie keine Antworten.
       
       Der SPD-Gesetzentwurf könnte derweil eine Antwort beinhalten. Alle
       städtischen Wohnungsbaugesellschaften könnten in einem Regiebetrieb des
       Landes zusammengeführt werden, ihr Wohnungsbestand um die
       vergesellschafteten Großbestände an Wohnungen ergänzt, eine Mietobergrenze
       für alle Mietwohnungen gesetzlich festgelegt und systematischer Neubau von
       Wohnungen auf den Weg gebracht werden, die nur zwischen 6 und 8 Euro pro
       Quadratmeter Mieter kosten dürfen.
       
       ## Auch Energie und Daten vergesellschaften
       
       Mit einem solchen Programm könnte die SPD die Bereitschaft signalisieren,
       ihren Fehler zu korrigieren, den sie vor Jahren, neoliberal verwirrt, mit
       der Privatisierung von tausenden Berliner Wohnungen begangen hat.
       
       Die Umstellung der Energie- und Wärmeversorgung der Stadt auf der Basis
       regenerativer Energien zu zumutbaren Preisen ist mit den großen privaten
       Energie- und Wärmeversorgern nicht zu erreichen. Energie und Wärme gehören
       wie Wasser zu den Grundmedien der Daseinsfürsorge. Sie sollten nicht zur
       privatwirtschaftlichen Gewinnmaximierung kostensteigernd für die Bürger
       benutzt werden dürfen. Eine gemeinwirtschaftliche Organisation dieses
       Sektors erfordert zwar hohe öffentliche Investitionen, an denen über den
       Preis die Endverbraucher beteiligt werden müssten: Aber jeder Gebrauch
       dieser Medien der öffentlichen Daseinsvorsorge für spekulative Interessen
       wäre dauerhaft ausgeschlossen.
       
       Die Neuen Medien, Internet, Daten, sind bis heute völlig unreguliert
       einigen Monopolen überlassen. Die private Verfügung über die Daten muss
       nicht nur reguliert, sie kann in die Beherrschung und Kontrolle der
       öffentlichen Hand überführt werden, was mit einer guten Begründung und dem
       Bezug auf Art. 15 GG möglich wäre.
       
       ## Zweifel an der Sozialdemokratie sind angebracht
       
       Ob die Sozialdemokraten mit ihrem Gesetzentwurf einen solchen
       grundsätzlichen Politikwechsel einleiten wollen, ist zu bezweifeln. Es ist
       aber nicht unverstellbar.
       
       Der Gesetzentwurf hat – unbeabsichtigt – neue Perspektiven der Organisation
       gesellschaftlichen Zusammenlebens sichtbar gemacht. Mittels eines Ausbaus
       der Gemeinwirtschaft könnte auch Rot-Rot-Grün als Alternative zu
       Schwarz-Grün oder CDU/AfD wieder eine sozialpolitisch-zukunftsorientierte
       Option werden. Eine Koalition, die über allein an Verteilungsgerechtigkeit
       orientierter Sozialpolitik hinaus soziale Sicherheit in stabilen Strukturen
       der Daseinsfürsorge aufbauen würde.
       
       Ob die Berliner SPD diese strategische Dimension ihres Gesetzentwurfes
       überhaupt gesehen hat, ob sie sie als programmatische Aussage ernst nimmt,
       darf allerdings bezweifelt werden. Aber immerhin zeigt der Gesetzentwurf,
       was alles an Gemeinwirtschaft möglich wäre. Man muss dazu nicht mal den
       Kapitalismus abschaffen.
       
       🐾 Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das
       politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.
       
       🐾 Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI
       N°33 mit dem Titelthema „Wer bin ich?“ [2][gibt es jetzt im taz Shop].
       
       11 Aug 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /taz-FUTURZWEI/!v=a9eb2f40-142b-4923-bb85-47d6e8b479c9/
 (DIR) [2] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245636
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Udo Knapp
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA