# taz.de -- Geschlechter im Kulturkampf: Frauen sind einfach besser
       
       > Junge Frauen überholen junge Männer beim Abitur und in akademischen
       > Disziplinen. Das ist ein zentraler Grund für den Kulturkampf der
       > Reaktionären. Eine Kolumne.
       
 (IMG) Bild: In diesen düsteren Zeiten erscheint ein lange verdrängtes Wesen am Firmament: die Frau
       
       [1][taz FUTURZWEI] | Lysistrata ist bekanntlich jene Komödie von
       Aristophanes, in der die Überlegenheit weiblicher Vernunft und Macht
       gegenüber der Beschränktheit männlicher Handlungsmuster gefeiert wird.
       
       Der Kampf der Frauen aus Athen, Sparta und den anderen griechischen Poleis
       um ihre Befreiung aus der patriarchalischen Vorherrschaft findet sein
       historisches Gewicht in ihrem „Frieden jetzt und sofort oder kein Sex
       mehr“, mit ihrer Besetzung der Akropolis und der Beschlagnahme des
       Staatsschatzes der Athener. Der Dichter Aristophanes lässt die Frauen
       gewinnen, am Ende feiern sie mit den Männern ihren Sieg.
       
       Die Wirklichkeit in jenen Tagen war brutal anders. 404 vor Christus erobern
       die Spartaner mit Hilfe der Perser Athen, die große Zeit der attischen
       Demokratie in der Polis ist zu Ende. Athen wird eine Oligarchie
       aufgezwungen, für die Frauen bleibt alles beim Alten. Völlige
       Gleichstellung mit den Männern ist bis heute, 2.500 Jahre später, der
       unerfüllte Traum der Frauen geblieben.
       
       ## Aufbrechen der Vorherrschaft
       
       Die 12. Klasse der Waldorfschule am Prenzlauer Berg, Berlin, hat in diesen
       Tagen als Abschluss-Klassenspiel Lysistrata aufgeführt. Es war ein
       hinreißender Auftritt der jungen Frauen in der Turnhalle der Schule, ohne
       alle Requisiten, verstärkt noch durch das hilflose Gejaule des Chores, der
       um Sex und ihre Männerrechte bettelnden Athener.
       
       Die Komödie wurde, gut hörbar, in ihrer klassischen Metrik vorgetragen. Die
       jambischen Trimeter, die dreisilbigen Anapäste gaben ihrer Sprache Ausdruck
       und Dynamik. Schon bald war klar: Hier geht es nicht um einen Aufguss
       angeblich typisch weiblicher Friedenssehnsucht, hier geht es, hochaktuell,
       um das Aufbrechen der auch heute noch wirkenden Vorherrschaft der Männer
       über die Frauen.
       
       Diesen Anspruch haben die Schülerinnen und Schüler bekräftigt mit einer
       szenisch aufgeführten Auswahl aus einem Zeit-online-Artikel mit dem Titel
       „Die Welt wird gerade wieder männlicher“, der hundert Fragen versammelt,
       „die alle nur die eine Antwort haben: Ich glaub, 'n Mann“.
       
       Einige Beispiele: „Wer ist am Kreuz für uns gestorben? Ich glaub, 'n Mann“.
       Wer kauft jetzt Rheinmetall Aktien? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer hat Angst
       vorm Urologen? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer nimmt einen Monat Elternzeit? Ich
       glaub, 'n Mann“. „Wer zahlt keinen Unterhalt? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer
       hilft ihr im Haushalt und mit den Kindern? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer
       bekommt mehr Rente? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer findet das alles 'n bisschen
       übertrieben? Ich glaub, 'n Mann“.
       
       ## Schleichender Statusverlust
       
       Das ist alles richtig und dennoch gilt auch gleichzeitig: Im Ringen der
       Geschlechter um Macht und Einfluss hat sich in den letzten Jahrzehnten die
       Lage zugunsten der Frauen verbessert. „Frauen haben in Bildung und Beruf
       stark zugelegt, überholen Männer in vielen akademischen Disziplinen und
       gewinnen allmählich auch mehr Macht in der Arbeitswelt“, konstatieren die
       Jugendforscher Klaus Hurrelmann und Simon Schnetzer in einem Essay in der
       WamS. Bei den Abiturienten ist der Anteil der Frauen auf 56 Prozent
       angestiegen. Bei den Spitzen-Abiturergebnissen liegen heute die Frauen
       bundesweit weit vor den Männern. In den Studienfächern Medizin und Jura
       liegt der Frauenanteil heute schon über 50 Prozent, sogar bei Mathe nähert
       er sich den 50 Prozent an.
       
       „Für junge Männer fühlt sich diese Entwicklung wie ein schleichender
       Statusverlust an. Ihr historisch gefestigtes Rollenbild – Versorger,
       Stütze, Leistungsträger, gerät ins Wanken. Digitalisierung,
       Automatisierung, KI verschieben die wirtschaftlichen Machtachsen. Frauen
       werden zu ernsthafter Konkurrenz“, heißt es bei Hurrelmann/Schnetzer.
       
       Zugespitzt wird diese Entwicklung durch die Demographie. Nach jüngsten
       Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist die Geburtenrate in Deutschland
       weiter auf nun 1,35 Kinder pro Frau gesunken. Das Einbeziehen der Frauen in
       alle Bereiche der Arbeitswelt führt zum späteren Kinderkriegen und zu
       weniger Kindern.
       
       Der Grund: Mit frühen und mehreren Kinder müssen Frauen auf allen Ebenen
       des gesellschaftlichen und beruflichen Lebens zurückstecken. Es gibt keine
       soziale Infrastruktur, die es allen Frauen erlauben würde, mit Kindern und
       dennoch voller Kraft an ihren beruflichen Karrieren und ihrer
       gesellschaftlichen Stellung zu arbeiten.
       
       ## Das Trotzen der Männer
       
       Dies alles in Rechnung stellend, verwundert es nicht, dass nach neuesten
       Untersuchungen junge Frauen linke und grüne Parteien bevorzugen, während
       junge Männer konservativen Positionen rechts der Mitte und sogar
       rechtsextremem Denken zuneigen.
       
       Kulturkampf steht auf der Tagesordnung. Er zeigt sich in den Demütigungen,
       den Beleidigungen, den Verleumdungen, denen die für das
       Bundesverfassungsgericht zur Wahl stehende Juraprofessorin Frauke
       Brosius-Gersdorf seit Wochen ausgesetzt ist. Es geht dabei nicht um deren
       unbezweifelbare juristische Expertise. Es geht darum zu verhindern, dass
       die Frauenbank im Gericht erweitert wird.
       
       Ein möglicher Beschluss zur Streichung des Paragraphen 218 zur Abtreibung
       durch den Bundestag soll die Chance behalten, im Fall einer Klage als
       verfassungswidrig zurückgewiesen zu werden. Die Ausweitung der
       Frauenrechte, die umfassende Selbstbestimmung der Frauen, soll behindert
       werden.
       
       ## Nachgeborene der Lysistrata
       
       Auf die gleiche Ebene gehört die plötzlich aufkommende Diskussion darüber,
       dass es zu viele Spitzenergebnisse bei den Abiturprüfungen gäbe. Auch das
       geht gegen Frauen. Die Leistungen der jungen Frauen schlecht zu reden, soll
       die anstehende Verweiblichung aller politischen Eliten und Führungsebenen
       aufhalten. Dabei ist es simpel: Junge Frauen lernen einfach besser und
       schneller als die gleichaltrigen jungen Männer.
       
       Alle sozialen Sicherungssysteme sind heute weit von einer Gleichstellung
       von Frauen und Männer entfernt. Warum, zum Beispiel, Frauen mit niedrigeren
       Altersrenten für ihre Familienarbeit bestraft werden, ist nicht
       nachvollziehbar.
       
       Die Waldorf-Schülerinnen vom Prenzlauer Berg sehen sich zu Recht als späte
       Nachgeborene der Lysistrata. Sie führen so selbstbewusst deren Radikalität
       vor, als wollten sie alle Frauen daran erinnern, dass allein sie es in der
       Hand haben, die vollgültige Gleichstellung mit den Männern in allen
       Belangen durchzusetzen. Sie scheinen bereits früh zu wissen, dass sie auf
       diesem Weg nicht mit der Unterstützung der Männer rechnen können. Im
       Gegenteil.
       
       ■ Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe unseres Magazins taz FUTURZWEI
       N°33 mit dem Titelthema „Wer bin ich?“ [2][gibt es jetzt im taz Shop].
       
       4 Aug 2025
       
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