# taz.de -- Analyse zum Krieg zwischen Iran & Israel: Drehbuch mit offenem Ende
       
       > Wie realistisch sind die Ziele von Netanjahus Regierung? Und welche
       > Möglichkeiten bleiben dem Mullah-Regime? Szenarien, wie es weitergehen
       > könnte.
       
 (IMG) Bild: Proben für die Eskalation? Eine iranische Militärübung in der Straße von Hormus im Jahr 2022
       
       Kairo taz | Mit jedem Tag, den der [1][Krieg zwischen Israel und dem Iran]
       andauert – mit jedem Schlag und Gegenschlag – wächst das Risiko einer
       regionalen Eskalation. Und die Anzeichen deuten darauf hin, dass es länger
       dauern wird. Der israelische Premier Benjamin Netanjahu spricht davon, dass
       „es so viele Tage dauern wird, wie es eben braucht“ – und das könnten auch
       Wochen sein. Die iranische Führung bezeichnet den Konflikt mit Israel als
       langfristig, spricht von einem Abnutzungskrieg und zieht Parallelen zum
       Iran-Irak-Krieg (1980–1988).
       
       Jenseits der Propaganda beider Seiten stellt sich die Frage, wie lange
       beide Länder das durchhalten können. In Israel herrschte am ersten Tag des
       Angriffs auf den Iran eine „Wir-können-alles-machen“-Euphorie. Doch mit
       jedem weiteren Tag [2][iranischer Gegenschläge] werden auch die Kosten
       dieses Krieges deutlicher.
       
       Rein militärisch ist es ein ungleiches Kräftemessen. Israel ist
       technologisch weit überlegen und scheint im Iran derzeit ohne große
       Gegenwehr Luftangriffe nach Belieben fliegen zu können. Zudem können die
       israelischen Munitionsdepots nahezu endlos durch Nachschub aus den USA
       aufgefüllt werden.
       
       Doch auch die Grenzen israelischer Militärmacht werden sichtbar: Die
       Luftangriffe schaffen es nicht, das von Netanjahu ausgerufene Ziel zu
       erreichen, das iranische Atomprogramm entscheidend zu treffen. Dazu
       bräuchte Netanjahu die direkte Hilfe der USA, die etwa über bunkerbrechende
       Bomben verfügen, um die unterirdischen Anlagen zu zerstören.
       
       ## Atomare Abschreckung
       
       Auf der anderen Seite steht der Iran. Dessen Führung ist vermutlich mehr
       denn je überzeugt, dass sie Atomwaffen braucht, um die Atommacht Israel von
       solchen Angriffen abzuschrecken. Die iranische Führung musste schwere
       Schläge einstecken: [3][Ein großer Teil ihrer militärischen und
       nuklearwissenschaftlichen Kader wurde bei den israelischen Angriffen in den
       letzten Tagen getötet.] Ihr wichtigster Stellvertreter in der Region, die
       [4][Hisbollah im Libanon], ist geschwächt und kann es sich – auch aus
       internen libanesischen Gründen – nicht leisten, einzugreifen.
       
       Angesichts der beiden Faktoren – eines möglicherweise langen Kriegs und der
       militärischen Unterlegenheit Irans – stellt sich die Frage, welche
       Möglichkeiten Teheran hat, den Konflikt so zu eskalieren, dass Netanjahu,
       der diesen Krieg begonnen hat, ihn wieder beendet.
       
       Der iranische Außenminister Abbas Araghtschi betonte am Sonntag, dass der
       Iran seine Angriffe in dem Moment einstellen würde, in dem auch Israel
       seine Angriffe einstellt. Derzeit gibt es jedoch international keine
       ernsthaften diplomatischen Initiativen, den Waffengang zu beenden. Israels
       Verbündete, allen voran die USA, beobachten die Entwicklung und sehen einer
       militärischen Schwächung Irans wohlwollend zu.
       
       Irans Möglichkeit, die Lage zu eskalieren, besteht nicht darin, mehr
       Raketen auf Israel abzufeuern – davon besitzt er keine unbegrenzte Anzahl
       –, sondern darin, den Konflikt regional und global schmerzhafter zu machen,
       um den internationalen Druck auf Netanjahu zu erhöhen. Dass die iranische
       Führung dies bisher nicht getan hat, liegt an den damit verbundenen hohen
       Risiken. Der Iran will um jeden Preis verhindern, dass die USA direkt
       militärisch eingreifen.
       
       Der Schlüssel liegt dabei bei der Achillesferse der internationalen
       Wirtschaft: dem Erdöl. Eine mögliche Maßnahme wäre die Sperrung der Straße
       von Hormus am Arabisch-Persischen Golf. Diese am schmalsten Punkt nur gut
       33 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Iran auf der einen sowie den
       Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Oman auf der anderen Seite ist das
       Nadelöhr des globalen Ölhandels.
       
       Laut US-Energiebehörde werden hier rund 20 Prozent des weltweit
       verbrauchten Öls durchgeschifft. Sie bezeichnet Hormus als den „weltweit
       gefährlichsten Engpass“. Anders als [5][bei den Angriffen der jemenitischen
       Huthis auf die Schifffahrt im Roten Meer] gibt es hier keine alternative
       Route rund um Afrika.
       
       Zwar wurden während des Iran-Irak-Krieges in den 80ern im sogenannten
       „Tankerkrieg“ rund um Hormus mehrfach Schiffe angegriffen, doch vollständig
       geschlossen wurde die Meerenge nie. Ein solcher Schritt hätte unmittelbare
       Auswirkungen auf die Ölwirtschaft und auf die Golfstaaten, die davon
       abhängen. Die iranische Führung hat in den vergangenen Tagen mehrfach
       angedeutet, dass ein solcher Schritt in Erwägung gezogen wird.
       
       Eine Regionalisierung des Konflikts hätte zur Folge, dass der Krieg
       zwischen Israel und dem Iran internationale Priorität bekäme. Staaten wie
       Saudi-Arabien, die Emirate und Katar würden massiven Druck auf Washington
       ausüben, um eine Beendigung herbeizuführen – möglicherweise sogar als
       Vermittler auftreten.
       
       ## Trumps Reaktion unklar
       
       Das Risiko für die iranische Führung besteht jedoch darin, dass sie nicht
       weiß, wie US-Präsident Donald Trump auf eine solche Eskalation reagieren
       würde. Würde er Netanjahu zurückpfeifen oder direkt in den Krieg eintreten?
       Letzteres möchte der Iran um jeden Preis vermeiden – doch genau darauf
       hofft Netanjahu seit Beginn seines Angriffs.
       
       Das gilt umso mehr für ein weiteres mögliches iranisches
       Eskalationsszenario: Der Iran oder eine seiner Stellvertreter-Milizen
       könnten US-Stützpunkte in der Region angreifen, etwa in Kuwait oder im
       Irak. Bisher hält Teheran seine schiitischen Milizen im Irak zurück, obwohl
       diese bereits ihre Einsatzbereitschaft erklärt haben.
       
       Auch damit würde der Iran den Konflikt auf die gesamte Region ausweiten.
       Trägt er den Krieg in arabische Nachbarstaaten, wächst dort das Interesse,
       den Schlagabtausch zwischen Israel und dem Iran rasch zu beenden – bevor er
       vollends außer Kontrolle gerät und sie mit hineingezogen werden.
       
       Doch auch das wäre ein Spiel mit dem Feuer. Zwar ist US-Präsident Trump für
       seine „America First“-Politik bekannt und hat wenig Appetit, erneut
       US-Truppen in die weite Welt zu entsenden. Aber ein direkter Angriff auf
       US-amerikanische Soldaten könnte die Balance zwischen diplomatischen
       Bemühungen und direkter militärischer Reaktion kippen – zugunsten
       Letzterer.
       
       Für die iranische Führung wird bei ihren Entscheidungen ausschlaggebend
       sein, inwieweit sie sich existenziell bedroht fühlt. Netanjahu begründet
       seine Offensive neben dem Ziel der Zerstörung des Atomprogramms auch damit,
       dass er hofft, die iranische Bevölkerung könnte sich gegen das
       Mullah-Regime erheben. Tatsächlich haben viele oppositionelle Iranerinnen
       und Iraner, vor allem im Exil, die israelischen Angriffe auf militärische
       Ziele begrüßt.
       
       Doch je länger der Krieg dauert, je mehr Infrastruktur zerstört und
       Zivilisten getötet werden, desto mehr könnte sich die anfängliche
       Feierstimmung in Angst und Nationalismus verwandeln. Der Hass auf das
       eigene Regime könnte vom patriotischen Schulterschluss mit ihrem Land unter
       ausländischem Beschuss verdrängt werden.
       
       Namenlose israelische Amtsträger haben in den letzten Tagen angedeutet,
       dass auch eine Tötung Ajatollah Ali Chameneis „nicht off limits“ sei.
       Offizielle israelische Statements dazu gibt es nicht. Doch die Botschaft
       ist klar: Auch die höchste Führungsebene ist nicht sicher.
       
       Was aber würde eine solche Enthauptung des Regimes für die Menschen im Iran
       bedeuten? Sicherlich nicht, dass am nächsten Tag die Opposition oder Frauen
       ohne Kopftuch die Macht übernehmen. Wahrscheinlicher wäre ein Machtvakuum –
       mit einem konservativen Lager, das nicht bereit ist, friedlich Platz zu
       machen, zumal viele – vor allem unter den Revolutionsgarden – auch massive
       wirtschaftliche Interessen haben, den Status quo beizubehalten. Ein
       Regimewechsel von außen wäre ein Rezept für Chaos.
       
       Wie schlecht solche erzwungenen Umstürze funktionieren, hat der Sturz
       Saddam Husseins 2003 im Irak gezeigt. Damals waren die USA sogar bereit,
       130.000 Soldaten zu entsenden – und trotzdem folgten Jahre des Chaos. Am
       Ende entstanden in Bagdad Regierungen, die dem Iran hörig waren – das
       Gegenteil dessen, was sich der damalige US-Präsident George W. Bush auf
       einem US-Flugzeugträger vor dem „Mission Accomplished“-Banner vorgestellt
       hatte, als er dort seine Irak-Siegesrede hielt.
       
       Ein Regimewechsel aus der Luft durch israelische Kampfjets wäre noch
       absurder – mit hoher Wahrscheinlichkeit würde er in Chaos und Bürgerkrieg
       für die Iraner enden. Netanjahu wäre das einerlei. Sein Ziel ist es, eine
       gegnerische Regionalmacht auf absehbare Zeit zu schwächen und mit sich
       selbst zu beschäftigen.
       
       Er wird seine Angriffe fortsetzen, solange ihm international – vor allem
       von den USA – freie Hand gelassen wird. Mit jedem Tag schwächt er den Iran
       militärisch mehr. Und die Iraner werden so lange zurückschießen, wie sie
       können, und sie haben Eskalationsszenarien in der Schublade, die den Krieg
       über Nacht auf die Region und international ausweiten können.
       
       Der Weg zum Ausstieg wäre internationaler Druck – und beiden Seiten die
       Möglichkeit zu geben, gesichtswahrend aus diesem Krieg herauszukommen. Wenn
       das nicht geschieht, wird das nahöstliche Drehbuch zu einem Drama in
       Überlänge, das selbst von seinen Autoren nicht mehr kontrolliert werden
       kann.
       
       16 Jun 2025
       
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       ## AUTOREN
       
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