# taz.de -- Anarchist Gustav Landauer: Für ein Leben ohne Joch
       
       > Eine Initiative will ein Denkmal für den von Freikorps ermordeten
       > Publizisten schaffen. Ein Ort in Kreuzberg ist gefunden, nur mangelt es
       > an Geld.
       
 (IMG) Bild: „Niemals vergessen“ geht am einfachsten mit einem Denkmal: Erik Natter wirbt auf einem Rundgang für das Vorhaben
       
       Berlin taz | Ein gelbes, von Efeu bewachsenes Haus in einem Kreuzberger
       Hinterhof – ganz in Schwarz steht der Theaterschauspieler Helmut Mooshammer
       vor der Fassade und liest: „Ein Geist kommt über die Menschen.“ Und
       tatsächlich – das gute Dutzend, das sich zur Stadtführung versammelt hat,
       hört zu wie gebannt.
       
       Was durch die Geistbetonung ganz religiös anklingt, ist eigentlich ein
       Auszug aus dem „Aufruf zum Sozialismus“ (1911), geschrieben von [1][dem
       Anarchosozialisten Gustav Landauer]. Ihm soll ganz in der Nähe, am
       Mariannenplatz 28, Ecke Wrangelstraße, ein Denkmal errichtet werden. Heute
       sieht man nicht mehr als eine von Unkraut bewachsene Grünfläche, früher
       arbeitete Landauer in der angrenzenden Wrangelstraße als Chefredakteur der
       Arbeiterzeitung Der Sozialist.
       
       „Der Sozialist war die im Kaiserreich am häufigsten verbotene Zeitung“,
       sagt Erik Natter von der Gustav-Landauer-Initiative. Trotzdem hatte der
       1909 gegründete Sozialist eine Auflage von 14.000 Exemplaren. Im Schnitt
       sei jede vierte Ausgabe der Zeitung verboten worden. Auch Landauer selbst
       musste im Laufe seines Lebens mehrfach ins Gefängnis. Natter erzählt, die
       preußische Polizei habe vor der Druckerei – dem efeubewachsenen, gelben
       Hinterhofhaus – auf die Beschlagnahmung der Zeitungsexemplare regelrecht
       gelauert. „Der Drucker kam dem bei, indem er mehrere Droschken losschickte,
       um die Polizei zu verwirren“, sagt Natter. Die echte Zeitung habe er dann
       durch die Hintertür geschmuggelt.
       
       Um diese und weitere Informationen über Landauer einem breiteren Publikum
       bekannt zu machen, hat sich 2019 die [2][Gustav-Landauer-Initiative]
       gegründet – und im selben Jahr eine Wanderausstellung kuratiert. „Die
       Anarchie ist das Leben der Menschen, die dem Joche entronnen sind“ wird ab
       dem 6. Mai dienstags, donnerstags und samstags von 16 bis 20 Uhr in der
       Aula der Nürtingen-Grundschule gezeigt. Besonderer Fokus liegt auf dem
       Leben und Wirken Gustav Landauers in Berlin zwischen 1889 und 1917.
       
       ## Crowdfunding für toten Anarchisten
       
       „Ein weiterer Meilenstein auf unserem Weg wäre das Denkmal“, sagt Natter.
       Um ein geeignetes Design zu finden, braucht es aber erst mal einen
       künstlerischen Entwurfswettbewerb. Ganze 12.000 Euro will die Initiative
       über [3][Crowdfunding] dafür zusammenbekommen.
       
       „Um das Geld für die Realisierung des Denkmals selbst müssen wir uns noch
       kümmern“, sagt Jan Rolletschek von der Gustav-Landauer-Initiative. Er hat
       schon viele Ideen für eine mögliche Gestaltung: Eine Skulptur könne es
       geben, kombiniert mit Online-Elementen, die Teil einer Stadtführung sind.
       Auch eine Sitzgelegenheit kann sich Rolletschek vorstellen. Aber: „Die
       Ausschreibung wird offen formuliert“, schließlich solle den
       Künstler*innen ihre Freiheit zugestanden werden.
       
       Wie auch immer: Bis Geld da ist, bleibt die für das Denkmal vorgesehene
       Grünfläche vor der Nürtingen-Grundschule wohl unbebaut. Markus Schega, der
       Schuldirektor, hat seine Aula für die Crowdfunding-Auftaktveranstaltung zur
       Verfügung gestellt. Er freut sich trotz mangelndem Zeitrahmen: „Vielleicht
       wird in zehn Jahren unsere Schule nach Landauer benannt“, sagt er. Und
       äußert einen Wunsch: „Es wäre schön, wenn auch unsere Schüler*innen an
       der Jury mitwirken könnten.“ So könnten sie den historischen Nachbarn
       besser kennenlernen.
       
       Der Grüne Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksverordnete Werner Heck hat 2018
       die Errichtung des Landauer-Denkmals in die Bezirksverordnetenversammlung
       eingebracht und mit beschlossen. Er erklärt, dass der Bezirk sich nicht an
       der Finanzierung des Denkmals beteiligen werde. Der Grund:
       Friedrichshain-Kreuzberg ist, wie alle Berliner Bezirke, chronisch
       unterfinanziert. „Wir haben schon Probleme, die Instandhaltung der
       bestehenden Denkmäler zu bezahlen“, sagt Heck. Die Menschenlandschaft am
       May-Ayim-Ufer in Kreuzberg beispielsweise werde regelmäßig besprüht und
       müsse gereinigt werden.
       
       ## Kein Geld für Denkmäler
       
       Zudem würden immer wieder Gedenktafeln gestohlen, die an Menschen im
       Widerstand gegen die Nazis erinnern, führt der Bezirksverordnete fort. Die
       Kreuzberger Zivilgesellschaft sei sehr aktiv, „aber auch hier ist die Neue
       Rechte auf dem Vormarsch“. Ob das Landauer-Denkmal zur Zielscheibe werde,
       könne er nicht einschätzen.
       
       Laut dem Bezirksamt gibt es in Friedrichshain-Kreuzberg derzeit 139
       Skulpturen und Denkmäler. Neue Gedenkorte sind schon seit mehr als einem
       Jahrzehnt nicht hinzugekommen. Der Bezirk gedenkt zwar an mehreren Orten
       Karl Marx, aber nur einer einzigen Frau. Es handelt sich um Mathilde Jacob.
       Die enge Vertraute von Rosa Luxemburg wurde 1943 im KZ Theresienstadt
       ermordet.
       
       Nun also wieder ein Mann: Landauer wurde 1870 in Karlsruhe geboren und zog
       mit 19 Jahren zum Studium nach Berlin. Schnell schloss er sich politischen
       Gruppen an. Außerdem begann er, für verschiedene Zeitungen zu schreiben,
       sowie einige Novellen und einen Roman zu verfassen. Das machte er auch für
       die Neue Freie Volksbühne und im Kontext des Friedrichshagener
       Dichterkreises. Bekannt geworden sind seine Übersetzungen von dem
       russischen Anarchisten Pjotr Kropotkin. Diesen lernte er in London kennen.
       
       ## Kapitalismus bleibt Scheiße
       
       Dorthin war Landauer mit seiner Geliebten, der Übersetzerin und Dichterin
       Hedwig Lachmann, gezogen. Bei ihrer Rückkehr fanden sie dank des
       anarchistischen Schriftstellers [4][Erich Mühsam] eine Wohnung in
       Hermsdorf. Dort hängt seit 1991 eine Tafel, die an Landauer erinnert. Einen
       weiteren Gedenkort gibt es in Berlin nicht.
       
       Jan Rolletschek promoviert über Landauers intellektuelle Beziehung zu einem
       bis heute einflussreichen Philosophen aus dem 17. Jahrhundert: Baruch de
       Spinoza. „Die Philosophie Spinozas findet man in praktischer Gestalt in
       Landauers Werk“, sagt Rolletschek. So spiele etwa die Freude in Landauers
       Schriften eine große Rolle, was er in der Affektenlehre Spinozas begründet
       sieht. „Aufgrund seiner Geldsorgen und seiner Ermordung konnte Landauer
       kein philosophisches Spätwerk schreiben“, erklärt Rolletschek. Deshalb
       versuche er in seiner Dissertation, „die Philosophie aus Landauers Werk
       herauszuziehen“.
       
       Getrieben ist die Landauer-Initiative, so scheint es zumindest im Gespräch
       mit Rolletschek, von einer tiefen Bewunderung der anarchistischen Ideen
       Landauers. „Die kapitalistische Produktionsweise treibt die Welt in den
       Abgrund“, sagt er. Dies sehe man ja an der Weltlage. Deshalb halte er
       persönlich den „freiheitlichen Sozialismus“ für eine „wünschbare
       Alternative“.
       
       ## Von Freikorps ermordet
       
       Auch Prominenz zeigte sich bei der Crowdfunding-Auftaktveranstaltung in der
       Nürtingen-Grundschule: Der Musiker und Autor Konstantin Wecker war mit
       einer 13-minütigen Grußbotschaft präsent. „Landauer warnte vor autoritären
       Tendenzen im sozialistischen Lager – schon vor dem Stalinismus“, sagt er
       darin.
       
       In Berlin hat Landauer den Großteil seines Lebens verbracht, trotzdem wird
       er meist mit [5][der Münchner Räterepublik 1919] verbunden. Damals übte er
       das Amt des Volksbeauftragten für Volksaufklärung, Unterricht, Wissenschaft
       und Künste aus und schaffte beispielsweise die Prügelstrafe ab. Kurz nach
       der blutigen Niederschlagung der Räterepublik wurde Landauer am 2. Mai von
       Freikorps ermordet.
       
       Sein fünf Meter hohes Grabdenkmal in München zerstörten die Nazis wenige
       Monate nach der Machtergreifung 1933. Die Urne schafften sie zum jüdischen
       Friedhof, denn Landauer war Jude. „Das Auslöschen und Vernichten der
       Erinnerung darf den Nazis niemals gelingen“, sagt Konstantin Wecker. Auch
       deshalb habe er mit Freude und aus tiefster Überzeugung die
       Schirmherrschaft für das neue Denkmal übernommen.
       
       Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde am 5. Mai an mehreren Stellen
       konkretisiert.
       
       2 May 2025
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Fund-von-Gerichtsakten-im-Fall-Landauer/!5588911
 (DIR) [2] https://gustav-landauer.org/
 (DIR) [3] https://www.startnext.com/landauer-denkmal?utm_source=startnext&utm_medium=extwidget&utm_campaign=projectwidget&utm_term=projectpromo
 (DIR) [4] /Notizbuecher-Erich-Muehsams-von-19261933/!5937309
 (DIR) [5] /100-Jahre-Freistaat-Bayern/!5544530
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klarissa Krause
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Anarchismus
 (DIR) Denkmal
 (DIR) Friedrichshain-Kreuzberg
 (DIR) Anarchie
 (DIR) Novemberrevolution 1918
 (DIR) Rosa Luxemburg
       
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 (DIR) Notizbücher Erich Mühsams von 1926–1933: Mühsams entzifferte Notizen
       
       Die Notizbücher Erich Mühsams von 1926–1933 liegen jetzt vor. Sie zeigen
       die politische Arbeit des Dichters und Anarchisten nach der Haftentlassung.
       
 (DIR) Fund von Gerichtsakten im Fall Landauer: „Schlagt ihn tot“
       
       Vor 100 Jahren wurde Gustav Landauer, Anarchist in der Räterepublik,
       erschlagen. Gerichtsakten beleuchten, wie die Justiz mit politischem Mord
       umging.
       
 (DIR) Gedenken: Wenn das also der Anarchismus ist …
       
       Eine Initiative will Gustav Landauer in Berlin ein Denkmal setzen.
       Erinnerungskult wie etwa bei der jährlichen Demo für Rosa Luxemburg und
       Karl Liebknecht stand der Anarchist skeptisch gegenüber.