# taz.de -- Die Wahrheit: Rurales Treiben
       
       > Auf dem Land ist es ein Kommen und ein Gehen, allerdings nur durch die
       > Hintertür. Und die Balz der Jugend? Sie läuft mittlerweile weiträumiger
       > ab.
       
       Auf dem Land gelten andere Regeln als in der Stadt. Zum Beispiel betritt
       man in irischen Dörfern sein Haus immer durch die Hintertür. Und das tun
       alle anderen auch. Die Vordertür ist nur zur Zierde da, vermutlich lässt
       sie sich gar nicht mehr öffnen. Anklopfen ist verpönt, ebenso wie ein
       Anruf, um sicherzugehen, dass es passt, wenn man vorbeikommt. Die Nachbarn
       kommen und gehen, wie sie wollen. Eine Dorfbewohnerin erzählte einmal, dass
       sie in die Küche gegangen sei, um sich eine Tasse Tee zu machen, und ihre
       Nachbarin, Frau McNamara, war bereits da und hatte den Kessel aufgesetzt.
       
       Auf dem Dorf erfahren die Kinder die Wahrheit über den Weihnachtsmann erst,
       wenn sie auf die Oberschule in der Stadt kommen. Das führt mitunter zu
       Demütigungen, wenn die frischgebackenen Oberschüler den Banknachbar fragen,
       ob er den Weihnachtsmann jemals gesehen habe. Andererseits lernen die
       Dorfkinder auf den Feldern schon früh das Autofahren, damit sie an ihrem
       17. Geburtstag in die Stadt fahren können, um etwas zu erleben, was
       aufgrund mangelnder öffentlicher Verkehrsmittel sonst nicht möglich wäre.
       Früher hat man die Honda 50 dafür benutzt. Sie kam 1958 nach Irland und
       wurde umgehend zum beliebtesten Fahrzeug aller Zeiten.
       
       Irlands Folklegende Christy Moore hat dem Moped mit dem Lied „My Little
       Honda 50“ ein Denkmal gesetzt. Er gehört zu der ersten irischen Generation,
       die durch die Honda 50 befreit wurde. Fortan konnte man zum Balzen in die
       Nachbardörfer fahren, wodurch der Inzest auf dem Land stark zurückging.
       
       Der alte Ben aus unserem Dorf besaß eine klapprige blaue Honda 50, mit der
       er uns jahrelang heimsuchte und behauptete, unser Haus gehöre eigentlich
       ihm, weil er dem Briefträger stets die Grundsteuer gegeben habe. Doch der
       habe sie unterschlagen, statt sie ans Finanzamt abzuführen. Sein Bruder war
       ebenfalls recht skurril. Er ließ seine Kühe auf dem Gemeindeland oben auf
       dem Hügel am Ortsrand grasen, aber eines Tages stürzte eine Kuh ab und
       landete neben der Küstenstraße, die zum touristischen Wild Atlantic Way
       gehört.
       
       ## Tourismusfeindliches Treiben
       
       Weil der Bauer geizig war, wollte er das Geld für den Abtransport der toten
       Kuh sparen. So deckte er sie mit einer Plane ab und kam jeden Tag mit einem
       Messer, um sich ein Stück von der Kuh für sein Dinner abzuschneiden, bis
       die Gemeindeverwaltung dem gruseligen und tourismusfeindlichen Treiben ein
       Ende bereitete.
       
       Unser Briefträger ist übrigens ein ehrenwerter Mann. Er unterschlägt kein
       Geld. Die alte Mary aus unserem Dorf, die jüngst gestorben ist, konnte
       nicht lesen oder schreiben. Bekam sie Post, bat sie den Briefträger auf
       eine Tasse Tee herein, und während er den Trunk zu sich nahm, las er ihr
       die Briefe vor. Vorher musste er sich aber Watte in die Ohren stopfen,
       damit er nicht hörte, was er vorlas. Das war Marys Art des Datenschutzes.
       
       14 Apr 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Irland
 (DIR) Provinz
 (DIR) Nachbarschaft
 (DIR) Senioren
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
 (DIR) Irland
 (DIR) Kolumne Die Wahrheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Die Wahrheit: Bob Prevost ist ein guter Kerl
       
       Fürchtet der neue Papst, dass Trump herausbekommt, dass er nicht nur Ami
       sondern auch Peruaner ist? Nennt er sich darob Leo XIV? Fragen über Fragen.
       
 (DIR) Ralf Sotscheck: Lärmbolzen im Schatten
       
       Mitunter bereitet der grassierende Wohnraummangel auf der Grünen Insel
       sogar angejahrten irischen Rockstars grässliche Luxusprobleme.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Ein Fläschchen Monsterpisse
       
       Irischen Whiskey – früher schrieb man ihn öfters wie den schottischen
       Whisky ohne e – gibt es seit mehr als tausend Jahren. Die Schotten üben
       noch …
       
 (DIR) Die Wahrheit: Das mit dem Alter ist irgendwie komisch
       
       Mit 66 Jahren fängt das Leben an? Wirst du mich noch füttern, wenn ich 64
       bin? Oder ist 81 3/4 das neue 64?
       
 (DIR) Die Wahrheit: Ängstliche Engländer
       
       Fußballländerspiele zwischen Irland und England waren immer schon heikle
       Begegnungen. Nach der letzten Partie in Dublin schmollte ein englischer
       Fan.
       
 (DIR) Die Wahrheit: Man kann den Iren nicht trauen
       
       Auf der grünen Insel vermischen sich Realität und Fiktion leichter als
       anderswo, mitunter werden aber auch faustdicke Lügen aufgetischt.