# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Julian Csép: Eine Plastiktüte voll mit Schweineaugen
       
       Es ist Sonntag, die Sonne zeigt sich von ihrer besten Seite und sogar der
       Schnee in Berlin hatte diesmal die Güte liegen zu bleiben und sich nicht
       wie sonst in eine graue, rutschige Matschepampe zu verwandeln. Ein
       perfekter Tag also, um sich seinen Schlitten zu schnappen und mit den
       Kindern rodeln zu gehen.
       
       Da ich weder Kind noch Schlitten habe, entscheide ich mich für einen warmen
       Tee auf meiner Couch und einen Film des Regisseurs und Deutschpunks der
       ersten Stunde, Jörg Buttgereit. Meine Wahl fällt auf „Nekromantik 1“, jenen
       Film, welcher Ende der 80er Jahre zum einen durch seine expliziten
       Splatterszenen, aber auch aufgrund seiner Lowbudget-Produktion
       internationale Berühmtheit erlangte. Es ist ein ständiger Wechsel aus
       Schockiertheit, Belustigung und Faszination, die mich packt, während ich
       auf den Fernseher starre.
       
       Ich komme nicht umhin, mich zu fragen, was für eine Art Mensch bitte auf
       solche grotesk schönen Ideen kommt. Perfekt also, dass die Kreuzberger
       Madonna Bar am selben Abend einen Vortrag von Jörg Buttgereit mit dem Titel
       „Nicht jugendfrei – Tagebuch aus Westberlin“ veranstaltet. Manchmal ertappe
       ich mich bei dem Gedanken, wie schön es doch gewesen wäre, hätte ich meine
       Jugend im pulsierenden Kreuzberg der 80er Jahre verbracht. Eine Zeit, in
       der die Mieten noch günstig waren und die Clubs und Bars noch nicht gegen
       Konsumtempel ausgetauscht wurden. Die meisten Orte, in denen ich heute den
       größten Teil meiner Freizeit verbringe, haben genau in dieser Zeit ihren
       Ursprung und viele Künstler*innen, die ich sehr schätze, machten dort ihre
       ersten Schritte.
       
       In der Bar angekommen, werde ich vom Barbesitzer und Jörg Buttgereit
       höchstpersönlich empfangen. Die beiden stehen draußen und scannen die
       kostenlosen Tickets ab, welche lediglich zur Platzreservierung gebucht
       werden mussten. Da meine Begleitung noch nicht da ist, bestelle ich mir ein
       frisch gezapftes Guinness an der Bar und schaue mich ein wenig um.
       
       Wie Jörg Buttgereit selbst ist auch die Madonna Bar eine Westberliner
       Legende und seit den 80er Jahren ein fester Treffpunkt für die Berliner
       Punkszene. Was neben ihrer wunderbaren Dekorierung auffällt, ist der
       Altersunterschied zwischen meiner Begleitung und mir zum Rest des
       Publikums. Wir sind mit unseren 27 Jahren mit Abstand die Jüngsten.
       
       Mit den Worten „Dies ist eine Werbeveranstaltung“ beginnt Jörg Buttgereit
       den Abend und hält grinsend sein Buch in die Luft. Der „Laberabend“, wie
       ihn Buttgereit selbst bezeichnet, ist eine Zeitreise, gespickt mit lustigen
       Anekdoten über seine Filme sowie seinen ehemaligen Punk-Freundeskreis.
       Jenem Freundeskreis, zu dem unter anderem der heutige Schlagzeuger der Band
       Die Ärzte gehört und mit dem er, wie er erzählte, bereits vor den Ärzten
       und Soilent Grün in einer Band spielte. Eine Band mit dem Namen The
       Muschibärs, welche als Persiflage auf die Einstürzenden Neubauten
       verstanden werden kann, so Buttgereit.
       
       Während ich beherzt in die kostenlosen Salzstangen greife, mit der
       Buttgereit schon bei seiner ersten Filmvorführung in der Risikobar das
       Publikum lockte, erzählt er, wie er zu den Dreharbeiten für „Nekromantik 1“
       in ein Moabiter Schlachthaus fuhr, um dort eine Plastiktüte voll
       Schweineaugen einzukaufen. Eine Information, die nur schwer zu verarbeiten
       ist, wenn man weiß, was mit jenen Augen im Film geschieht.
       
       Nach seiner zweistündigen Lesung nahm sich Buttgereit sogar noch Zeit,
       einige seiner Bücher zu signieren und mit seinen Fans bei einem Getränk
       Gespräche zu führen. Was meine Begleitung und mich dazu brachte, zusammen
       mit Jörg Buttgereit eine halbe Stunde lang über die Band Kiss zu schwärmen.
       
       18 Feb 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Csép
       
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