# taz.de -- Sexuelle Gewalt im Sport: Tennistrainer vor Gericht
       
       > Vor dem Bremer Landgericht muss sich ein 46-Jähriger verantworten. Er
       > soll in Bremerhaven Jungen gedrängt haben, ihm Masturbationsvideos zu
       > schicken.
       
 (IMG) Bild: „Er hat niemand angefasst“, so der Anwalt (r.) über seinen Mandanten, als er beantragte, die Öffentlichkeit auszuschließen
       
       Bremen taz | Voraussichtlich Ende dieser Woche fällt das Bremer Landgericht
       ein Urteil im Verfahren gegen einen Bremerhavener Tennistrainer. Der
       46-Jährige muss sich unter anderem wegen [1][sexuellen Missbrauchs von
       Schutzbefohlenen] verantworten. Am vergangenen Montag war er unter
       Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen worden. Er habe ein umfängliches
       Geständnis abgelegt, sagte ein Gerichtssprecher.
       
       Angeklagt ist der Mann wegen 100 Straftaten, die er in zwei Bremerhavener
       Tennisvereinen verübt haben soll. Die erste datiert auf das Jahr 2016. Der
       Angeklagte soll einen damals Elfjährigen so lange bedrängt haben, bis der
       ihm ein Video schickte, auf dem sein Geschlechtsteil zu sehen war. Er tritt
       mit einem weiteren Betroffenen als Nebenkläger auf.
       
       Namentlich bekannt seien fünf Geschädigte, sagte ein Gerichtssprecher der
       taz, die zum Tatzeitpunkt zwischen elf und 17 Jahren alt gewesen seien; es
       handelt sich ausschließlich um männliche Kinder und Jugendliche. Die Taten
       soll der Angeklagte 2016 sowie zwischen 2018 und 2023 begangen haben.
       Medienberichten zufolge wurden die Ermittlungen aufgenommen, nachdem sich
       ein Jugendlicher seinen Eltern anvertraut hatte.
       
       Es geht zum großen Teil um Masturbations-Videos, die sich der Tennistrainer
       von seinen Schützlingen aufs Handy schicken ließ. Dafür zahlte er teilweise
       Geld, laut Anklageschrift im niedrigen zweistelligen Bereich pro Video. Für
       die Aufnahmen soll er genaue Regieanweisungen erteilt haben, deren
       Einhaltung er einforderte: „Halt dich in Zukunft an die Vorgaben.“ Er soll
       auch heimlich Aufnahmen in Duschen und Umkleiden gemacht haben, oft mit
       Fokus auf das Genital.
       
       Die Ermittler:innen fanden zudem bei ihm Bildaufnahmen im dreistelligen
       Bereich, bei denen Kindern unter 14 Jahren sexuelle Gewalt angetan wird.
       Vereinzelt angeklagt sind auch Fälle, in denen er Jungen zwang, sich vor
       ihm auszuziehen und mit kreisenden Hüften zu tanzen. Einen Jungen soll er
       in der Dusche eingeschlossen und ihm gedroht haben, er komme erst wieder
       frei, wenn er tue, was von ihm verlangt werde.
       
       ## Einem „richtigen“ Jungen passiert so etwas nicht
       
       Im Gerichtssaal und [2][gegenüber Fernsehjournalist:innen] betonte
       der Anwalt des Tennistrainers, sein Mandant habe „niemand angefasst“. Der
       taz sagt dazu auf Nachfrage Volker Mörchen vom [3][Bremer Jungenbüro], das
       von Gewalt und Missbrauch betroffene Jungen berät und unterstützt: „Viele
       denken, das sei weniger schlimm, aber für Betroffene macht es das nicht
       unbedingt leichter.“ Schuld- und Schamgefühle könnten auch entstehen, wenn
       es keinen Körperkontakt gab.
       
       Allgemein sei es bei sexueller Gewalt mit digitalen Medien eine Belastung
       für Kinder und Jugendliche, dass sie oft nicht wüssten, wer die Aufnahmen
       gesehen hat, sagt der Therapeut. Sie hätten damit die Kontrolle über etwas
       sehr Intimes und Schützenswertes verloren. Gerade für Jungen wirke dieser
       Kontrollverlust besonders schwer: „Jungen lernen immer noch, dass sie stark
       und unabhängig sein sollen, ein ‚richtiger Junge‘ lässt nichts mit sich
       machen, was er nicht will.“
       
       Das sei einer der Gründe, warum es vielen Jungen schwer falle, sich
       jemandem anzuvertrauen. Noch eine Besonderheit: War ein Mann der Täter,
       befürchteten manche Jungen, als „schwul“ zu gelten, wenn die sexuelle
       Gewalt bekannt würde, sagt Mörchen. Das könne Mobbing durch Gleichaltrige
       nach sich ziehen. Dass betroffene Jungen später selbst solche Taten begehen
       würden, sei zwar nur ein Mythos – aber doch ein weiterer Grund, sich nicht
       zu offenbaren.
       
       Dabei sei das falsch, sagt Möhrchen: „Dass Opfer sexueller Gewalt diese als
       Erwachsene selbst ausüben, ist ein Narrativ, das gesellschaftlich weit
       verbreitet ist, weil einzelnen Tätern geglaubt wird, die solche Erfahrungen
       in der eigenen Kindheit als Entschuldigung für die selbst verübte Gewalt
       vorbringen.“ Wissenschaftliche Belege für diesen Kausalzusammenhang gebe es
       keine.
       
       ## Vielen wird nicht geglaubt
       
       Doch selbst wenn Kinder und Jugendliche sich trauen, über das zu sprechen,
       was ihnen geschieht, handeln Erwachsene zu selten in ihrem Sinne. Zu diesem
       Fazit kommen mehrere Studien, und darauf weist auch die Diskrepanz zwischen
       angezeigten Taten und der geschätzten Häufigkeit hin: In 16.375 Fällen
       ermittelte die Polizei im Jahr 2023 laut Polizeilicher Kriminalstatistik.
       Das Dunkelfeld soll um ein Vielfaches höher sein: Nach Befragungen hat in
       Deutschland [4][jede:r Siebte bis Achte sexuelle Gewalt] in der Kindheit
       erlebt, ein Drittel dieser Betroffenen soll männlich sein.
       
       Auch Völker Mörchen vom Jungenbüro hat oft vor sich Jungen sitzen, denen
       lange nicht geholfen wurde. „Vielen wird nicht geglaubt, was daran liegt,
       dass die Täter begnadete Manipulatoren sind.“ Selbst wenn jemand verurteilt
       worden sei, zweifelten manche an, dass er die Taten wirklich begangen hat.
       
       Die Täter seien meistens „(nach außen hin) nette, charmante Menschen mit
       hoher Reputation, die sich durch ihre Hilfsbereitschaft, fachliche
       Expertise und ihr stetiges Engagement unentbehrlich machen“: So heißt es in
       der 2022 veröffentlichten [5][Fallstudie zu sexualisierter Gewalt im
       Kontext des Sports], herausgegeben von der unabhängigen Kommission zur
       Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. Darin lässt sich nachlesen, wie
       Strukturen und Kultur des Sports sexuelle Gewalt begünstigen. Und wie
       vielen Erwachsenen jegliches Bewusstsein dafür fehle.
       
       So wurde auch der angeklagte Tennistrainer 2011 in einem Club-Magazin für
       seinen „besonders guten ‚Draht‘ zu den Kids“ gelobt. Der langjährige
       Vorsitzende des Tennisclubs Rot Weiß Bremerhaven, in dem der Angeklagte
       zuletzt tätig war, sagte 2023 zu Journalist:innen, [6][dieser habe „einen
       ausgesprochen guten Job gemacht“]. Er könne sich nicht erklären, warum
       nicht früher etwas aufgefallen sei. Und: „So etwas“ sei in seiner
       jahrzehntelangen Vereinsarbeit noch nie vorgekommen. Mit der taz wollte der
       Vereinsvorsitzende nicht reden, auch nicht darüber, wie der Tennisclub
       Kinder und Jugendliche in Zukunft besser schützen will.
       
       Nachdem der Fall bekannt wurde, haben in Bremerhaven mehrere Sportvereine
       angefangen, Schutzkonzepte zu erarbeiten, darunter der TSV Wulsdorf, bei
       dem der Angeklagte ebenfalls gearbeitet hat. Solche Konzepte können zwar
       nicht für einen lückenlosen Schutz garantieren und nicht verhindern, dass
       Täter von einem Verein zum nächsten ziehen. „Aber sie machen ihre
       Spielräume enger“, sagt Volker Mörchen. „Und sie sorgen dafür, dass mehr
       Erwachsene für das Thema sensibilisiert sind.“
       
       2 Feb 2025
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] https://www.bremer-jungenbuero.de/
 (DIR) [4] https://beauftragte-missbrauch.de/mediathek/publikationen/zahlen-und-fakten
 (DIR) [5] https://www.aufarbeitungskommission.de/wp-content/uploads/Sexueller-Kindesmissbrauch-Kontext-Sport_Studie_Aufarbeitungskommission_bf.pdf
 (DIR) [6] https://www.ndr.de/sport/mehr_sport/Missbrauch-im-Sport-Was-einem-Bremerhavener-Tennistrainer-vorgeworfen-wird,missbrauch2442.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eiken Bruhn
       
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