# taz.de -- Seelsorge für Soldaten in Deutschland: „Du musst nicht immer Sandkorn sein“
       
       > Mit dem Ukrainekrieg hätten sich die Ängste der Soldat*innen verändert,
       > sagt Militärbischof Bernhard Felmberg. Deshalb arbeitet er an einem Plan.
       
 (IMG) Bild: Bernhard Felmberg auf dem Feldgottesdiens in Hamburg im April 2024
       
       taz: Vor fast drei Jahren hielt Olaf Scholz im Bundestag seine
       „Zeitenwende“-Rede, russische Panzer standen vor Kyjiw, und
       Landesverteidigung war auf einmal nicht nur eine abstrakte Idee. Sie sind
       Seelsorger, als evangelischer Militärbischof für die Sorgen der
       Bundeswehrsoldat*innen ansprechbar. Was hat die Soldat*innen
       damals beschäftigt? 
       
       Bernhard Felmberg: In den ersten Wochen war das große Thema: Wie rede ich
       mit meinen Kindern über das, was da passiert? Wie spreche ich mit ihnen
       über Krieg? Denn die hören vielleicht in der Schule von anderen Kindern:
       „Dein Vater ist Bundeswehrsoldat, der muss jetzt in die Ukraine, der stirbt
       da.“ Wie gehe ich damit um? Da war auf einmal eine andere Dimension, eine
       andere Bedrohungslage, eine andere Angst.
       
       taz: Wie hat sich seitdem der Alltag der Soldat*innen verändert? 
       
       Felmberg: Die Ernsthaftigkeit des Übens ist völlig anders, die Wahrnehmung
       hat sich verändert. Vor einiger Zeit war ich vor Plymouth in Südengland,
       dort finden Übungsmanöver der Bundeswehr statt. Die Schiffe der Marine und
       ihre Mannschaften werden dort auf Herz und Nieren geprüft. Es werden die
       Abwehr von Drohnenangriffen geübt, Schnellbootangriffe, Feuer im Schiff,
       Wassereinbruch. Ich war den ganzen Tag auf einer Fregatte. Abends bin ich
       runter in die Kombüse. Da standen die Soldaten, nachdem sie diese ganzen
       Übungen gemacht hatten, und waren ganz bleich im Gesicht. Denn wenn sie
       wissen, das könnten sie in ein paar Wochen vielleicht wirklich erleben,
       [1][dann kommt eine andere Ernsthaftigkeit, aber auch Anspannung in die
       Übung.]
       
       taz: In Litauen baut die Bundeswehr zurzeit eine Brigade auf. Etwa 5.000
       deutsche Soldat*innen sollen dort dauerhaft stationiert sein, direkt an
       der belarussischen Grenze. Welche Sorgen haben die Leute, die dort
       hingehen? 
       
       Felmberg: Normalerweise würden viele Soldat*innen bei so einer
       dauerhaften Stationierung sicher ihre Familien mitnehmen. Aber stattdessen
       fragen einige von ihnen sich jetzt: Was passiert eigentlich, wenn wirklich
       was passiert? Sitzt dann meine Familie in Vilnius und kommt nicht raus?
       Fahre ich da lieber alleine hin?
       
       taz: Was bedeutet die Zeitenwende für die Militärseelsorge? 
       
       Felmberg: Sehen Sie, in Afghanistan haben wir in 20 Jahren 59 Soldaten
       verloren, diese Zahl wirkt erst mal überschaubar. Dort, in Masar-i-Scharif,
       stand jahrelang die Kapelle Haus Benedikt. Viele Soldat*innen haben dort
       gebetet, wurden getauft, haben geweint, weil Kameraden gestorben sind. Nach
       dem Abzug haben wir dieses Haus auf dem Gelände des
       Einsatzführungskommandos der Bundeswehr in Schwielowsee wieder aufgebaut.
       Bei der Einweihung gab es einen Glockenschlag für jeden in Afghanistan
       gefallenen Soldaten. Ich stand direkt neben der Glocke. Nach 59 Schlägen,
       da dachte ich: [2][Das ist enorm viel, das tut weh], nicht nur in den
       Ohren. Wir alle hoffen, dass wir nie in eine Landes- und
       Bündnisverteidigung geraten. Aber vorbereiten müssen wir uns darauf. Es
       gibt Berechnungen, laut derer wir in so einem Fall an der Nato-Ostflanke am
       Tag mit 500 bis 600 Gefallenen oder Verwundeten rechnen müssten. Das ist
       eine ganz andere Nummer. Mit meinen 104 evangelischen, den 78 katholischen
       und den 10 jüdischen Militärgeistlichen kommen wir da nicht weit.
       
       taz: Sie haben sich vorgenommen, einen „geistlichen Operationsplan“ zu
       erarbeiten. 
       
       Felmberg: Genau. Wenn ein Soldat mich fragt: „Wenn ich sterbe oder falle,
       können Sie mir garantieren, dass Sie meiner Familie helfen?“, dann müsste
       ich jetzt sagen, das wird schwierig. Deswegen entwerfen wir einen
       Rahmenplan, der die Notfallseelsorge, die Polizeiseelsorge, die
       Krankenhausseelsorge, die Feuerwehrseelsorge und die zivilen
       Kirchengemeinden miteinander verbindet. Wir arbeiten auch daran, in einer
       Notsituation in der Lage zu sein, Offiziere zu begleiten, die
       Todesnachricht an Familien zu überbringen, Menschen zu helfen, die
       Beerdigungen durchzuführen und Betroffene in einer existenziellen
       Ausnahmesituation zu begleiten. Wenn mich Kolleg*innen fragen, ob das
       wirklich nötig ist, dann sage ich immer: Stellt euch vor, das ist die
       Ahrtal-Katastrophe hoch fünf. Das verstehen die meisten.
       
       taz: Warum gibt es bislang keine Vorbereitung auf solche Katastrophen? 
       
       Felmberg: Wir haben in Deutschland viele Jahrzehnte entspannt vor uns hin
       gelebt. Wir haben vieles an Vorsorge – zum Beispiel Sirenen oder
       Zivilschutzräume – abgebaut, was es zu Zeiten des Kalten Krieges noch gab.
       Das ist die Friedensdividende. [3][Auch die Kirchen haben sich auf eine
       Krisenlage schon lange nicht mehr vorbereitet]. Früher gab es Pläne für den
       Ernstfall, die sind aber nicht mehr zu gebrauchen, weil das Szenario da ein
       ganz anderes war. Damals wäre ja Deutschland selbst das Schlachtfeld
       gewesen. Jetzt wäre das vielleicht Estland, Litauen oder Lettland. Und auch
       die Militärseelsorgenden wären dann dort. Aber gleichzeitig müssten in
       Deutschland in so einem Moment die Systeme – zu denen auch die
       Militärseelsorge gehört – ineinandergreifen.
       
       taz: Immer mehr Menschen treten aus den Kirchen aus, gesellschaftlich
       schrumpft ihre Rolle eher. Sind Sie sicher, dass die Leute überhaupt die
       Hilfe der Seelsorge wollen? 
       
       Felmberg: Wenn die Menschen sagen: „Herzlichen Dank, ich gehe lieber zu
       meinem Schamanen“, dann bin ich der Letzte, der findet, ich muss ihnen
       unbedingt helfen. Wir erleben aber in der Militärseelsorge sehr selten,
       dass ein Soldat, der in Not ist, sagt: „Herr Pfarrer, ich brauche das jetzt
       nicht.“ Auch Menschen, die nicht konfessionell gebunden sind, die
       Christentum kaum buchstabieren können, wissen, was ihr Pfarrer für sie wert
       ist.
       
       taz: Auch viele der Soldat*innen sind sicher nicht religiös, oder? 
       
       Felmberg: Immerhin gehören von den 180.000 Soldat*innen der Bundeswehr
       51 Prozent der evangelischen oder katholischen Kirche an, 30 Prozent sind
       evangelisch. Vor allem aber gibt es unter den Soldat*innen eine große
       Zufriedenheit mit der Militärseelsorge, konfessionsübergreifend, das wissen
       wir aus einer Studie, an der 7.000 Soldat*innen teilgenommen haben. 96
       Prozent der Soldat*innen im Auslandseinsatz sagen, die Militärseelsorge
       ist für sie wichtig. 91 Prozent sagen das über die Militärseelsorge im
       Inland.
       
       taz: Die Geschichte der Militärseelsorge ist aber nicht ganz
       unproblematisch. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg hat sie den Befehlshabern
       als Legitimationsmittel gedient, moralische Zweifel ausgeräumt und
       Kriegsverbrechen gebilligt. 
       
       Felmberg: Das stimmt, und daraus haben wir gelernt. Deswegen ist die
       Militärseelsorge heute völlig anders aufgestellt und auch anders als bei
       allen Nato-Partnern. Früher war der Militärgeistliche ein Offizier, hat
       eine Waffe getragen, konnte den Soldat*innen Dinge befehlen und war
       selbst Teil des Systems.
       
       taz: Das ist heute anders? 
       
       Felmberg: Ja. Heute kann kein General, kein Offizier, kein Oberst einem
       Pfarrer sagen, was er machen soll. Der Militärgeistliche trägt keine
       Uniform, ist nicht Teil der militärischen Hierarchie. Und die
       Seelsorger*in hat ein Beichtgeheimnis. Kein General und kein Gericht
       können das aushebeln. Zu Pfarrer oder Pfarrerin kann man auch sagen: „Ich
       glaube, dass ich eine posttraumatische Belastungsstörung habe“, und es geht
       keine Personalakte auf.
       
       taz: Militärgeistliche sind mit Soldat*innen im Auslandseinsatz,
       verbringen den ganzen Tag mit ihnen. Wie kann man da den nötigen Abstand
       bewahren?
       
       Felmberg: Der Begriff dazu ist kritische Solidarität. Wir gehen nicht im
       System auf. Wir bleiben ein Sandkorn. Aber du musst auch nicht immer
       Sandkorn sein, weil es nicht dauernd Gründe gibt, Sandkorn sein zu müssen.
       Wir reden ja über die Bundeswehr und die Bundesrepublik Deutschland und
       nicht über ein totalitäres System. Das ist ein deutlicher Unterschied.
       
       taz: Aber moralische Zweifel an einem Einsatz könnte ein Militärgeistlicher
       ja trotzdem haben. 
       
       Felmberg: Ja, das stimmt. Ich hatte heute Gespräche mit Pfarrern aus den
       Landeskirchen, die sich bei uns als Militärgeistliche bewerben. Jedem von
       ihnen stelle ich die Frage: Was machst du, lieber Pfarrer, wenn du mit
       einem Einsatz, den der Bundestag beschließt, in Gewissensnöte kommst? Was
       machst du?
       
       taz: Ja, nun, was denn? 
       
       Felmberg: Das kann jede*r natürlich unterschiedlich für sich beantworten.
       Einer sagt vielleicht, ich würde mit meinen Gewissensbissen bei einer
       Entscheidung, die der Bundestag gefällt hat, erst mal ins Gespräch gehen,
       meine Bedenken mit meinem Dienstvorgesetzten, mit meinem Bischof
       besprechen. Wenn mein Gewissen weiterhin sagt, ich kann das nicht machen,
       dann hat man das Recht zu sagen: Nein, das mache ich nicht. Andere würden
       sagen, meine Aufgabe ist es nicht, die politische Entscheidung des
       Bundestages als Grund für meine eigene Entscheidung geltend zu machen.
       Sondern wichtig ist, dass ich die Menschen begleite.
       
       taz: Die evangelische Kirche hatte immer einen starken pazifistischen Zug.
       Hat sie sich verändert? 
       
       Felmberg: Nun, Jesus von Nazareth ist jemand, der uns mit seinen
       Friedensforderungen wirklich fordert. Aber es hat sich schon etwas
       verändert. Früher hieß der Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“. Der
       Angriff Russlands auf die Ukraine hat mehr als deutlich gemacht, dass
       Freiheit und Sicherheit im Notfall auch verteidigt werden müssen. Und wenn
       es durch Abschreckung passiert. Ich sehe bei vielen Christen in dieser
       Frage inzwischen nicht nur Streit, sondern stärkeres Verständnis für die
       andere Position. Viele der pazifistischen Biografien, die sich in den 80ern
       gebildet haben, kommen ins Bröckeln. Die Sicherheiten darüber, was richtig
       oder falsch ist, sind gerade nicht mehr da. Das ist für den Diskurs gut.
       
       taz: Spüren Sie als Militärbischof manchmal einen Konflikt?
       
       Felmberg: Nein. Ich würde zwar nicht direkt sagen, dass der Militärbischof
       der Friedensbeauftragte ist. Aber fast. Weil die Bundeswehr alleine durch
       ihre Existenz Frieden und Freiheit in Deutschland gewährleistet.
       
       24 Jan 2025
       
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 (DIR) Neuer Militärrabbiner über Bundeswehr: „Antisemitismus isolieren“
       
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       Soldaten.
       
 (DIR) Geistliche Seelsorger in der Bundeswehr: Muslime warten
       
       Die Einführung von Militärimamen bei der Bundeswehr ist nicht in Sicht. Der
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       Gut 100 evangelische Pastorinnen und Pastoren sind als Seelsorger bei der
       Bundeswehr, sechs von ihnen im Ausland. Diesen Dienst bietet die Kirche
       seit 1957 den Soldaten an.