# taz.de -- berliner szenen: Die Welt ist eine Zumutung
       
       Mit M. betrete ich ein gemütliches Café, das ich bislang nur als Biergarten
       im Sommer kannte. Es gibt breite Sessel, Kaminfeuer, überall stehen Kerzen.
       M. und ich suchen uns einen Tisch am Kamin und ich sage, ich würde mir am
       liebsten die Schuhe ausziehen und mich auf ein Fell vor dem Kamin fläzen
       wie in einem dieser blöden romantischen Winterfilme. M. lacht und sagt: „Tu
       dir keinen Zwang an.“ Ich kann aber grad noch an mich halten.
       
       An den Nebentisch setzen sich eine Mutter und ihre erwachsene Tochter mit
       einem kleinen Hund, der eine Daunenjacke trägt. Der Hund ist dünn, zittert
       und hat riesige, aufgerissene Augen, als wäre die Welt eine einzige
       Zumutung. Das ist sie ja vielleicht auch. „Sitz, Häuptling“, sagt die
       Mutter. Die Tochter will Kuchen bestellen, aber die Mutter fasst sich an
       den Bauch und sagt: „Für mich nur Kaffee.“ Dabei sieht sie auf die muskulös
       breiten Oberschenkel der Tochter.
       
       Die Bedienung kommt, die Mutter bestellt Latte macchiato mit einem extra
       Espresso und der junge Mann tippt in das Eingabegerät und entschuldigt
       sich. „Mein erster Tag heute.“ Die Tochter überlegt, für welchen Kuchen sie
       sich entscheidet, da sagt die Mutter zum Kellner: „Heute nur ein Stück
       Torte für die junge Dame. Nach den Feiertagen muss sie mal auf ihre Linie
       achten.“
       
       Die Tochter sieht starr in die Karte. Die Bedienung ist unangenehm berührt
       und sagt: „Ich kann gleich noch mal wiederkommen, wenn Sie etwas Zeit
       brauchen.“ Die Tochter sieht die Mutter an, dann die Bedienung und sagt:
       „Schon gut. Ich nehme die Möhrentorte und den Käsekuchen. Aber mit zwei
       Gabeln bitte, weil meine Mutter immer mitisst und mir kaum etwas übrig
       lässt.“ Die Bedienung grinst und tippt in das Gerät. Mutter und Tochter
       sehen sich über den Tisch hinweg gereizt an. Und der Hund zittert dazu.
       Isobel Markus
       
       9 Jan 2025
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Isobel Markus
       
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