# taz.de -- Schach-Betrug: Genial reingefunkt
       
       > Das internationale Schachturnier, die Böblinger Open, wird zum 40. Mal
       > ausgetragen. Berühmt wurde das Event 1998 durch ein Täuschungsmanöver.
       
 (IMG) Bild: Der betrogene Großmeister Sergej Kalinitschew jüngst bei den Deutschen Senioren-Meisterschaften
       
       Die historische Dimension des Moments eröffnete sich Mario Born zunächst
       nicht. An eines kann sich der Organisator des aktuell laufenden 40.
       Schach-Turniers in Böblingen aber noch sehr gut erinnern. „Ich stand in der
       letzten Runde am Brett, als Clemens Allwermann gegen Großmeister Sergej
       Kalinitschew spielte – und habe nichts gemerkt“. Selbst der Sieg des
       damaligen Memminger Kreisligaspielers machte Born zunächst nicht stutzig,
       auch wenn dieser dadurch sensationell das 15. Open in Böblingen gewann.
       Doch im Überschwang verriet sich der krasse Außenseiter selbst.
       
       Als Kalinitschew aufgab, schob Allwermann nach: „Das ist Matt in acht
       Zügen!“ Der geschlagene Großmeister musste ob der überheblichen Prognose
       grinsen. „Lachen Sie nicht, prüfen Sie es nach!“, raunzte Allwermann
       daraufhin gereizt. Der Karlsruher Hajo Vatter tat genau das zu Hause.
       
       Im Gegensatz zu Born, der „diese Aussagen nicht hörte“, gab der badische
       Rekord-Pokalsieger daheim die Partie in seinen Rechner ein. „Die Ansage
       Matt in acht Zügen hat ihn natürlich verraten“, unterstreicht Born und
       berichtet, „Hajo hatte das mitbekommen und rief mich schon am Abend an,
       dass die Partien von Allwermann identisch sind mit dem Spiel von,Fritz'.“
       Das beliebte Schachprogramm konnte mit der Version „Fritz 5.32“ im
       Gegensatz zu Menschen in der komplizierten Stellung das Matt in acht Zügen
       erkennen. Außerdem folgte Allwermann in allen neun Partien den
       „Fritz“-Zügen. „Durch den Skandal sind wir wirklich berühmt geworden!“,
       erzählt Born.
       
       Die Rechnung ging für Allwermann allerdings 1998 nicht auf: Es wurde kein
       Ruhmesblatt für den mit 55 Jahren plötzlich genial agierenden
       Kreisligaspieler. Selbst monetär war es ein Verlustgeschäft. [1][Wie
       Recherchen der taz damals aufdeckten,] hatte der Berkheimer ein
       Handsprechfunkgerät P93 sowie einen Mini-Ohrhörer unweit seines Wohnortes
       bei der Albert Klein Funktechnik GmbH erworben. Der patentierte Digitalruf
       wird üblicherweise mit ein, meist zwei Ziffern bedient; zur Überraschung
       von Firmeneigner Albert Klein hatte Allwermann jedoch,,vierstellig wählbare
       Ziffern“ benötigt – um die Züge des Gegners als vierstelligen
       Fernschach-Zahlencode für jedes Feld an einen Helfer im nahen Hotelzimmer
       zu übermitteln. Unter seinem langen Haar bekam der Betrüger in den
       Mini-Ohrhörer die Antworten aus dem Computer zurück.
       
       ## Selbst für Weltranglistenersten Carlsen gefährlich
       
       Das Equipment kostete Allwermann 4.600 Mark (rund 2.350 Euro). In Böblingen
       erhielt er jedoch nur 1.660 Mark (rund 850 Euro) Preisgeld. Weil er bei
       einem Folgeturnier, bei dem er natürlich scharf überwacht wurde, mit
       4,5:4,5 Punkten nicht mehr wie ein Spieler aus den Top 40 der Weltrangliste
       agierte, blieben weitere Einnahmen aus. Danach sperrte der Bayerische
       Schachbund sein Mitglied, das aus der Szene verschwand.
       
       Die Schachbetrüger damals mussten noch viel Aufwand betreiben, um die
       besten Computerzüge zu erfahren. Mit den Smartphones wurde es für die
       Gauner leichter: Die Programme lassen heute sogar den
       [2][Weltranglistenersten Magnus Carlsen alt aussehen.] Deshalb wurde es
       selbst für Großmeister verlockend, einen kurzen Blick zur Orientierung aufs
       Handy zu werfen. Die Toilette wurde meist zum Tatort. Manch einer wurde
       ertappt und gesperrt, weil er [3][zu oft auf das stille Örtchen
       verschwand.] Schiedsrichter rochen Lunte und blickten unter der
       Toilettentür durch – und wenn die Fußstellung falsch war, auch mal drüber,
       um zu sehen, ob alles mit rechten Dingen zugeht.
       
       Elektronische Geräte sind im Spielsaal inzwischen verboten. Der 61-jährige
       Born gibt sich daher zuversichtlich, dass unter den rund 280 Teilnehmern im
       Böblinger Rilano Hotel kein neuer Fall von „elektronischem Doping“ publik
       wird. „Ich denke, Betrug ist schwer, weil die Gegner das melden, wenn ein
       Spieler während seines Zuges öfters weg ist“, vertraut der Vereinsboss von
       Zweitligist SC Böblingen auf die Sensibilisierung aller. Zudem setzt er auf
       den „erfahrenen Schiedsrichter Jens Wolter, der sogar neuerdings
       Stichproben mit einem Detektor machen kann“.
       
       Insofern dürfte 25 Turniere nach dem ersten Computer-Skandal wohl bis zum
       Ende des aktuellen Wettbewerbs am Montag keiner ein „Matt in acht Zügen“
       ankündigen.
       
       29 Dec 2024
       
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