# taz.de -- Evakuierung in Libanon: Eine Stadt muss fliehen
       
       > In der libanesischen Stadt Baalbek sind 80.000 Menschen von israelischen
       > Angriffen bedroht. Die Luftangriffe verschärfen die humanitäre Krise.
       
 (IMG) Bild: Durch tägliche israelische Bombardierungen im Libanon wurden mehr als 2.800 Menschen getötet
       
       Berlin taz | Im libanesischen Baalbek sind 80.000 Einwohnende von
       israelischen Angriffen bedroht. Das israelische Militär hatte am Mittwoch
       eine Evakuierungswarnung für die gesamte Stadt geteilt, die Menschen dazu
       zwang, in Panik ihr Zuhause zu verlassen. Zehntausende flohen, auf den
       Hauptverkehrsstraßen bildeten sich lange Staus. Vier Stunden später dann
       begann das israelische Militär mit Luftangriffen.
       
       Lokale Medien berichten, dass die Einschläge in [1][Baalbek heftiger zu
       sein schienen als in der Vergangenheit]. Auf geteilten Videos sind noch aus
       der Ferne Rauchwolken und Flammen zu sehen, die nach den Einschlägen
       mehrere Meter in die Luft steigen. Mindestens 19 Menschen wurden laut
       libanesischen Behörden getötet.
       
       „Wir hatten schon vor einem Monat zur Sicherheit eine Unterkunft außerhalb
       gemietet“, erzählt Charbel Saliba aus Baalbek der taz. „Dann haben wir
       unser Haus in Baalbek verlassen, als wir gehört haben, dass sie die Stadt
       bombardieren werden.“ Es habe zwei Stunden gedauert bis, seine Familie im
       Libanongebirge angekommen sei. „Die meisten haben die Stadt verlassen,
       einige sind aber auch geblieben. Manche hatten Probleme, ein Auto zu
       finden. Deshalb sind sie zu Fuß rausgelaufen“, erzählt Saliba weiter.
       
       Baalbek liegt in Ost-Libanon, 100 Kilometer von der Grenze zu Israel
       entfernt, und die Partei der Hisbollah ist die stärkste politische Kraft.
       Dort steht einer der größten noch gut erhaltenen antiken römischen Tempel,
       die zum UNESCO-Welterbe gehören. Nun fürchten Anwohnende, dass die
       historische Stätte durch israelische Angriffe zerstört werden könnte.
       
       ## Baalbek liegt 100 Kilometer von der Grenze zu Israel
       
       „Es ist alles möglich. Sie haben schon ein Haus zerstört, das ganz in der
       Nähe der römischen Stadtmauer war. Die Mauer ist teilweise kaputtgegangen.
       Das ist nur ein Kilometer von den Tempeln entfernt. Die Tempel selbst sind
       bis jetzt intakt, aber die Bomben reichten bis rund 500 Meter an die
       Tempelanlage heran.“
       
       [2][Zuvor behauptete die israelische Armee, sie könne Angriffe auf Baalbek
       nicht bestätigen]. Die Luftwaffe habe in Ausläufern der Stadt aber
       „Kommandozentralen der Hisbollah“ bombardiert. Dafür legte das Militär
       keine Beweise vor. Am Donnerstag rief Israel nun auch Einwohnende in
       umliegenden Gebieten zur Flucht auf. Der Sprecher der israelischen Armee
       warnte zudem, dass neun Dörfer sowie ein Geflüchtetenlager von
       Palästinenser*innen im Südlibanon Ziel israelischer Angriffe sein
       würden. Es ist das erste Mal, dass die israelische Armee zur Räumung eines
       palästinensischen Lagers im Libanon aufruft. Der libanesische
       Übergangsregierungschef Najib Mikati verurteilte die Drohungen gegen die
       libanesische Zivilbevölkerung als „weiteres Kriegsverbrechen“.
       
       Durch tägliche israelische Bombardierungen im Libanon wurden mehr als 2.800
       Menschen getötet und rund 1,2 Millionen Menschen mussten entweder in andere
       Teile des Landes oder ins Ausland fliehen. Die Notunterkünfte sind bislang
       alle überfüllt. Über 30 Menschen suchten in nur einer Wohnung Schutz,
       erklärte eine Helferin im Ost-Libanon der taz noch bevor Baalbek geräumt
       wurde.
       
       ## Noch kein formelles Angebot für Waffenruhe
       
       Die Hisbollah hatte am Mittwoch laut israelischen Angaben etwa 60 Geschosse
       abgefeuert. Die meisten landeten auf offenem Gelände. Bei einem Einschlag
       auf einem Feld nahe der Grenzstadt Metulla sind fünf Menschen getötet
       worden, berichtet der israelische Sender Kan: ein israelischer Landwirt und
       vier ausländische Arbeiter. Nach israelischen Angaben sind seit
       Kriegsbeginn 69 Menschen im Norden Israels und in den besetzten Golanhöhen
       durch Beschuss aus dem Libanon getötet worden: 33 Zivilist*innen, sechs
       Ausländer*innen und 30 Soldaten.
       
       [3][Der neue Hisbollah-Chef Naim Kassim] hat am Mittwoch Einlenken
       signalisiert. Die Miliz werde nicht um eine Waffenruhe „betteln“, sei aber
       bereit dazu, wenn Israel die Angriffe auf den Libanon einstelle. Kassims
       Vorgänger Hassan Nasrallah hatte noch gesagt, er stelle die Kämpfe erst bei
       einem Deal für Gaza ein.
       
       Aus der Hamas hieß es am Mittwoch, man habe noch kein formelles Angebot für
       einen umfassenden Waffenstillstand erhalten, würde aber jeden Vorschlag in
       Betracht ziehen, der einen israelischen Abzug aus Gaza beinhalte. Zumindest
       eine Waffenruhe zwischen Libanon und Israel scheint nahe. „Vorsichtig
       optimistisch“, äußerte sich Libanons Regierungschef am Mittwoch. In einem
       Telefonat habe der US-Gesandte Amos Hochstein ein Abkommen vor den
       US-Wahlen angedeutet. Hochstein und der Nahost-Koordinator des Weißen
       Hauses reisten am Donnerstag für Gespräche nach Israel.
       
       Ein Entwurf sehe vor, dass Israel seine Soldaten in sieben Tagen abziehe,
       berichtet der Sender Kan. Die libanesische Armee solle dann im Südlibanon
       stationiert werden. Der Plan solle innerhalb von 60 Tagen abgeschlossen
       sein. Zudem solle Israels „Recht zur Selbstverteidigung“ gegen Bedrohungen
       festgeschrieben sein.
       
       ## Vorsichtige Verhandlungsbereitschaft aus Israel
       
       Der schiitische Parlamentssprecher Nabih Berri ist Verbündeter der
       Hisbollah und Ansprechpartner für indirekte Verhandlungen. Er sagte, die
       UN-Resolution 1559, die die Entwaffnung aller Milizen im Libanon fordert,
       sei nicht im Gespräch. Abgemacht seien die Umsetzungen der UN-Resolution
       1701, die Waffenruhe und der Einsatz der libanesischen Armee. „Wir warten
       darauf, dass Hochstein mit Netanjahu eine Einigung über das Erreichte
       erzielt.“
       
       Aus Israel gibt es auch vorsichtige Verhandlungsbereitschaft.
       Medienberichten zufolge hat der israelische Generalstab dem Premierminister
       Benjamin Netanjahu empfohlen, jetzt eine diplomatische Lösung
       auszuarbeiten. Das Weiße Haus erklärte, Berichte über Entwürfe spiegelten
       „nicht den aktuellen Stand der Verhandlungen wider.“
       
       Unterdessen sagen Arabische Menschenrechtsverteidiger*innen, es brauche
       dringend ein Waffenembargo gegen Israel, um „ein Massensterben unter der
       Zivilbevölkerung zu verhindern.“ In einem offenen Brief an den Deutschen
       Botschafter im Libanon haben 17 NGOs die deutsche Außenpolitik kritisiert.
       Die Rhetorik, dass zivile Orte ihren Schutzstatus verlieren würden, weil
       angeblich Terroristen darin seien, rechtfertige Kriegsverbrechen.
       
       31 Oct 2024
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julia Neumann
       
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