# taz.de -- Der Formenkreis
       
       > Manische Mittzwanziger: Zach Braffs Spielfilmdebüt „Garden State“ hat
       > ungeschützten Charme, lässt sich aber auch biblisch vereinnahmen
       
       VON DIETRICH KUHLBRODT
       
       Im Flieger, der grade abstürzt, auf dem Weg von L. A. zum Gartenstaat New
       Jersey. Die Stewardess hat schon die Schwimmweste an. Der Servierwagen,
       hoch bepackt mit Bierdosen, macht sich selbstständig und rollt in die
       Tiefe. Von oben fallen die ersten Sauerstoffmasken heraus. Die Passagiere
       sind in Panik. Da greift auch Andrew Largeman, seltsam abwesend und
       unberührt, wobei ihn freilich ein fahles Licht isoliert, nach oben und
       richtet die Frischluftdüse auf seinen Kopf, als wenn das das Normalste
       wäre. Wenn die Emotionen abhanden gekommen sind, ist gut cool sein.
       
       Der Film „Garden State“ arbeitet mit Bildern, mit Minierzählungen,
       Anekdoten ohne Pointe, fremdartiger Beleuchtung, narzisstischer
       Beobachtung. Und mit latenter Komik. Das hat ungeschützten Charme und
       linkische Glaubwürdigkeit. Zack Braff ist dieser Largeman, und er ist dazu
       auch noch Autor und Regisseur des Films. Einen wie Adam Green müssen wir
       uns vorstellen. Doch zu hören sind The Shins, und die Bilder dieses
       ichbezogenen Films haben Song-, ja Neopopqualität.
       
       Ichsein und das Drumherum als fremd und seltsam wahrnehmen, dann müssen
       Kontakte mit der Parallelwelt inszeniert werden. Der Film-Largeman spielt
       nicht nur einen TV-Seriendarsteller, Darsteller-Autor-Regisseur Zack Braff
       ist selbst ein solcher („Scrubs“), glaubwürdiger geht’s nimmer. Dass
       „Garden State“ sein Spielfilmdebüt ist, das muss man jedoch schlucken.
       
       Ob der Flugzeugabsturz real oder imaginiert sein soll, spielt für die
       Poesie keine Rolle. Jedenfalls landet Largeman in New Jersey, um nach zehn
       Jahren zum ersten Mal Familie und Kumpel wiederzusehen. Die Mutter hat
       soeben in der Badewanne erfolgreich Suizid begangen. Da trifft es sich gut,
       dass Freunde von früher Totengräber geworden sind. Der Vater, erfolgreicher
       Psychiater, schickt den Sohn zum Kollegen. Da sitzt er nun, Largeman, im
       überdimensionierten, aber leeren Wartezimmer, wie immer beobachtend,
       passiv, mit großen, traurigen Augen. Nur eine Blinde ist da mit ihrem Hund.
       Es passiert zweierlei, und Largeman lässt es einfach geschehen. Erstens
       wird er vom Blindenhund, der sein Bein umklammert, gefickt. Und zweitens
       wird er von einer tollen jungen Frau, die auf ihre eigene Art daneben ist,
       erfolgreich angemacht. Dabei handelt es sich um Natalie Portman, inzwischen
       Superstar („Hautnah“, „Star Wars“) und Titelbild (Elle: „La rivale de Julia
       Roberts“). Und in „Garden State“ sympathisch-natürlich.
       
       Klar, dass die beiden ein Paar werden. Was den Film freilich vorhersehbar
       macht und was nicht weiter schlimm ist, weil es auf die narrative
       Dramaturgie nicht ankommt. Und doch verliert der Film die Unschuld der
       ersten Stunde, denn jetzt werden die schönen Bilder mit Bedeutung beladen.
       Die Wohnung der neuen Freundin ist manisch überbordend, und wenn unseren
       Largeman große Hunde anfallen, wird das erklärt („keine Zeit fürs
       Trainieren“). Dagegen ist die väterliche Wohnung depressiv verkümmert,
       leer, ordentlich, getrimmt wie der Rasen im Gartenstaat. Der Film wird
       jetzt selbst zur Gestalt aus dem manisch-depressiven Formenkreis. Therapie
       wird benötigt. Und die wird auch geboten. Dank der festen Zweierbeziehung
       schaffen Mittzwanziger den Sprung ins emotional ausgeglichene und sozial
       verantwortliche Vollerwachsenenalter. Dazu gehört, dass das typische
       Genreklischee der Versöhnung von Sohn und Vater (nie sind es Tochter und
       Mutter) bedient wird. Vater: „Ich liebe dich doch.“ Sohn: „Ich vergebe
       dir.“
       
       Auweia, es kommt knüppeldick. Im sintflutartigen Regen besteigt das Paar im
       Schrottentsorgungslager einen Hügel, auf dem eine Arche thront, bewohnt von
       brüderlicher Gemeinschaft. Aus ist es mit der komischen Unterfütterung der
       Bilder. Es wird sehr ernst. Es wird etwas verkündet. Hilfe wird gewährt.
       Mit der Noah-Gemeinde wird der Urschrei geübt, und noch weiter oben wird er
       gnädig vernommen.
       
       Das Schlussbild ist voll biblisch vereinnahmt, und der doch so bildmächtige
       Braff reduziert jetzt seine multiplen Funktionen darauf, eine Botschaft
       rüberzubringen: „Mir gefiel immer schon die biblische Geschichte von Noahs
       Arche, die Vorstellung von einer großen Macht, mit der die Welt wieder von
       vorne beginnt. Wenn man erwachsen wird, hat man automatisch die Aufgabe,
       für sich und seine Kinder eine neue Form von Zuhause zu schaffen.“
       
       O Gott, Braff, jetzt hast du deine Bilderwelt leer geräumt, so leer, wie
       die depressive Wohnung deines eigenen voll erwachsenen Vaters. Wenn ich mir
       ein persönliches Urteil erlauben darf: Mit der tollen, manisch
       angetriebenen Nathalie Portman wird es nicht gut gehen. Will sie nicht
       ebenfalls in der Badewanne enden, sollte sie mit allfälligen Kindern sich
       lieber ins nächste Flugzeug nach Los Angeles setzen und alles andere
       imaginieren, den Absturz inklusive.
       
       Womit ich nicht gesagt haben will, dass der abstürzende Film in seiner
       unwillentlichen Verkehrung nicht etwas Anrührendes und Verzweifeltes hätte.
       Ohne doppelte Verneinung: Mit „Garden State“ ruft einer um Hilfe, der eine
       teilerwachsene Generation vertritt. – Mensch, es geht doch nicht darum, die
       Welt vor der Apokalypse oder sonstigem Bösen zu retten! Nathalie, bleib
       doch lieber da, tu doch was!
       
       „Garden State“. Regie: Zach Braff. Mit Natalie Portmann, Zach Braff u. a.
       USA 2004, 102 Min.
       
       26 May 2005
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) DIETRICH KUHLBRODT
       
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