# taz.de -- Bildung in Berlin: Plattmachen ohne Plan
       
       > Ende September muss das „Klassenzimmer der Zukunft“ in Hellersdorf
       > schließen. Es soll einem Schulneubau weichen, dessen Baubeginn noch in
       > weiter Ferne liegt.
       
 (IMG) Bild: Das „Klassenzimmer der Zukunft“ in Hellersdorf
       
       Berlin taz | Trampelpfade führen vom U-Bahnhof Cottbusser Platz in
       Hellersdorf über eine weite Brache zu einem Messepavillon aus den 70er
       Jahren, dem [1][„Klassenzimmer der Zukunft“]. Es ist das Herzstück des seit
       2020 von der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst (ngbk) am Auerbacher
       Ring betriebene Projekt Place Internationale.
       
       Inmitten der sechsgeschossigen Ost-Plattenbauten wirkt der ursprünglich für
       eine Bank gebaute West-Pavillon wie ein Ufo. Gelandet ist der Ausstellungs-
       und Veranstaltungsraum auch erst vor wenigen Monaten. Geht es nach dem
       Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf, wird er demnächst aber auch schon wieder
       abheben und verschwinden.
       
       Zum 30. September soll das Klassenzimmer der Zukunft dichtgemacht werden.
       Auch ein benachbarter Gemeinschaftsgarten, der beliebte Wandergarten
       Hellwichstorp, muss das Gelände räumen. Begründung des Bezirks: Die Flächen
       werden für einen Schulneubau gebraucht.
       
       Dabei liegt nach Angaben der [2][Senatsbildungsverwaltung] bislang noch
       nicht einmal ein „entsprechender Bauablaufplan“ vor. Derzeit läuft
       lediglich eine artenschutzrechtliche Untersuchung. Aber auch die werde erst
       im 1. Halbjahr 2025 abgeschlossen sein, heißt es.
       
       ## Bezirksamt bleibt hart
       
       Trotzdem müssen die Projekte schon jetzt weg. Und Ausweichflächen will der
       Bezirk nicht zur Verfügung stellen. Dementsprechend tief sitzt der Frust
       bei den Betroffenen. „Niemand hört uns zu“, sagt Rohit Arora vom
       Anwohner:innenbeirat Zwischenräume. Zusammen mit dem Quartiersrat
       Boulevard Kastanienallee hatte der an die Alice-Salomon-Hochschule
       angebundene Anwohner:innenbeirat Mitte Juli eine Petition
       veröffentlicht. Geändert hat auch das nichts.
       
       Das Bezirksamt bleibt hart: Für den im günstigsten Fall in einem Jahr
       beginnenden Bau einer Gemeinschaftsschule mit 625 Plätzen müsse das
       künftige Baufeld umgehend „freigemacht“ werden. Rückendeckung erhält der
       Bezirk von der Senatsbildungsverwaltung. „Diese Vorbereitungen sind
       notwendig, um den planmäßigen Beginn der Bauarbeiten im Jahr 2025 zu
       gewährleisten und die langfristige Umsetzung moderner und nachhaltiger
       Bildungsinfrastruktur sicherzustellen“, teilt Schulbaustaatssekretär
       Torsten Kühne (CDU) auf Nachfrage der taz mit.
       
       Die Maßnahme ist Teil der Schulbauoffensive des Senats, mit der berlinweit
       dringend benötigte Schulplätze geschaffen werden sollen. Auch der
       Anwohner:innenbeirat und der Quartiersrat begrüßen das, zumal in der
       Gegend insbesondere Grundschulplätze Mangelware sind. Gleichwohl
       kritisieren sie, dass hier eine Baufeldfreimachung durchgeführt wird,
       obwohl man nach Auskunft des zuständigen Bezirksstadtrats Stephan Bley
       (CDU) mit der Planung des Schulneubaus bei diesem Standort erst „ganz am
       Anfang“ steht. Ähnliches habe es andernorts in Marzahn-Hellersdorf auch
       gegeben – und nichts sei passiert nach der Baufeldfreimachung.
       
       Dass das Klassenzimmer der Zukunft und der Wandergarten Hellwichstorp wenig
       Chancen haben zu bleiben, ist klar. Beide dürfen das Gelände nach einer
       Vereinbarung mit dem Schulamt nur temporär nutzen. Und der Bezirk macht
       keinerlei Anstalten, die temporäre Nutzung über den 30. September hinaus zu
       dulden.
       
       ## Bedeutung für den Kiez
       
       Der Anwohner:innenbeirat und der Quartiersrat wollen das nicht
       hinnehmen und verweisen auf die Bedeutung der Orte für den Kiez. So bieten
       die beiden Projekte einen Raum für Diskussionen und Ausstellungen aller
       Art.
       
       Aktuell läuft die ngbk-Ausstellung „Laborschule Berlin“, die „zu einem
       Nachdenken über eine Schule der Zukunft anregen“ soll. Auf dem Boden liegt
       ein Plan des Geländes, Kinder durften ihre Wünsche darauf malen. Viele
       wünschen sich ganz offenkundig Unterricht in und mit der Natur. „Wir haben
       hier eine Verflechtung der Zivilgesellschaft geschaffen, wobei die
       Prinzipien der Gemeinschaft, Nachhaltigkeit und Bildung im Vordergrund
       stehen“, sagt Adam Page von der ngbk.
       
       So gab es ein Projekt mit der nahen Grundschule am Schleipfuhl, bei dem die
       Kinder über alle Jahreszeiten hinweg die Veränderungen der Natur beobachten
       und dokumentieren wollten. Das wurde nun aufgrund der bevorstehenden
       Räumung abgebrochen. Die Schüler:innen seien enttäuscht, sagt Page.
       
       Die Viertel rund um den U-Bahnhof Cottbusser Platz gehören zu den
       [3][Hochburgen der AfD in Berlin]. Bei der Europawahl kamen die
       Rechtsextremen hier auf 35 Prozent und mehr, gleichzeitig ist aber auch
       nicht mal jede:r Zweite:r überhaupt zur Wahl gegangen. Ungeachtet dessen,
       heißt es vom Quartiersrat und Anwohner:innenbeirat, gebe es in dem
       Wohngebiet anders als in vielen anderen Plattenbaugegenden
       Marzahn-Hellersdorfs ein reges bürgerschaftliches Engagement.
       
       ## Kampf um Mitsprache
       
       So kämpften die Menschen vor Ort selbstverständlich dafür, die zukünftige
       Nutzung der Riesenfreifläche mitgestalten zu können. Für sie heißt das,
       dass das vorhandene Bildungsangebot Klassenzimmer der Zukunft und der
       Gemeinschaftsgarten nicht plattgemacht, sondern in die Planung einer
       irgendwann vielleicht tatsächlich fertiggestellten Neubauschule
       miteinbezogen werden.
       
       Staatssekretär Kühne schließt das aus: „Wie auch bereits mehrfach gegenüber
       den Projektverantwortlichen erläutert, handelt es sich bei dem Schulneubau
       um einen Typenbau. Insofern ist eine Anpassung an die örtliche Gegebenheit
       nur sehr eingeschränkt und höchstens im Bereich der Außenanlagen denkbar.“
       Ein Unding, findet Siegfried Nord vom Quartiersrat: „Man hat den
       einfacheren Weg gewählt, ohne darauf zu achten, was das Umfeld wirklich
       braucht“, ärgert er sich.
       
       „Die bestehenden Projekte und Bildungsangebote am Standort sind wertvoll
       und werden geschätzt“, beteuert Kühne. Und doch gibt es kaum einen
       Austausch zwischen Senat und engagierten Anwohner:innen. „Dabei ist es doch
       genau das, was die Politik von uns erwartet“, sagt Nord.
       
       Und: Wenn man schon einen besonderen Ort für einen Austausch zwischen
       Anwohner:innen, Künstler:innen, Schüler:innen und Studierenden der
       Hochschule geschaffen hat, warum ihn dann abreißen? „Wir sind nicht gegen
       den Schulneubau, aber schaut genauer hin und macht es mit einem
       Beteiligungsformat besser“, appelliert Nord an die politisch
       Verantwortlichen.
       
       ## Bürgerbeteiligung nicht vorgesehen
       
       Eben diese Besserung ist zumindest am Auerbacher Ring nicht in Sicht. So
       lässt das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf in einer Antwort der
       Bildungsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion im
       Abgeordnetenhaus zu dem Bauvorhaben wissen: „Gesonderte
       Beteiligungsverfahren hinsichtlich Art und Weise beziehungsweise Errichtung
       dieses Typenbaus für Bürgerinnen und Bürger beziehungsweise Anwohnende sind
       im Rahmen dieses Schnellbauprogramms nicht vorgesehen.“
       
       Man werde die Anwohner:innen „per Schreiben“ informieren, sobald „die
       standortbezogenen Planungsergebnisse“ der hier federführenden
       Senatsbauverwaltung vorliegen, heißt es vom Bezirksamt. Das Klassenzimmer
       der Zukunft und der Wandergarten Hellwichstorp werden dann schon lange
       Geschichte sein.
       
       13 Sep 2024
       
       ## LINKS
       
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