# taz.de -- das wird: „Man tut so, als würde hier niemand Macht haben“
       
       > Erste Sondierungen zum missbrauchsanfälligen Verhältnis von Kirche und
       > Macht unternimmt am Wochenende eine Werkstatttagung in der evangelischen
       > Akademie zu Loccum
       
       Interview Marta Ahmedov
       
       taz: Herr Brouwer, was verstehen Sie unter Macht? 
       
       Christian Brouwer: Das ist eine schwierige Frage, weil der Machtbegriff
       gerade in der Kirche total ambivalent ist. Im Kontext der Tagung verstehe
       ich Macht als bestimmten Gestaltungs- und Deutungsraum, der Menschen durch
       eine Position zukommt, die sie objektiv innehaben oder die ihnen
       zugeschrieben wird. Macht haben heißt: Dinge verändern können, Menschen
       beeinflussen, Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen.
       
       taz: Das klingt eigentlich ziemlich eindeutig. Warum ist der Begriff
       ambivalent? 
       
       Brouwer: Weil Macht innerhalb der Kirche in erster Linie als Gottesmacht
       verstanden wird. Darüber reden wir gerne und viel, aber säkulare Macht
       unter Menschen wird nicht thematisiert. Man möchte die Kirche als einen
       machtfreien Raum verstehen, also tut man einfach so, als würde hier niemand
       Macht innehaben und setzt sich nicht damit auseinander.
       
       taz: Ist das ein Problem? 
       
       Brouwer: Ja, und das ist der zentrale Anlass für diese Tagung: Wir
       vermuten, dass das Schweigen über Macht innerhalb der Kirche dazu führt,
       dass die trotzdem vorhandene Macht leichter missbraucht werden kann. Anfang
       des Jahres ist die Forum-Studie erschienen, die deutlich gezeigt hat, dass
       auch die evangelische Kirche ein großes Problem mit Machtmissbrauch und
       sexueller Gewalt hat.
       
       taz: Welche Momente sind das, in denen Macht missbraucht wird? 
       
       Brouwer: Macht wird missbraucht, wenn sie bewusst verschleiert und
       manipulativ eingesetzt wird. Sie ist schon überall da ein Problem, wo nicht
       klar ist, dass es sie gibt. In der Kirche sind intime Kontexte wie die
       Seelsorge anfällig für Machtmissbrauch. Und besonders auch die
       Jugendarbeit, wo Macht mit einer Altersdifferenz einhergeht. Die
       Forum-Studie hat gezeigt, dass es am häufigsten zu Missbrauch von
       männlichen Pfarrpersonen gegenüber Jugendlichen kommt.
       
       taz: Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat den Verdacht
       nahegelegt, dass gerade Tabus und Verbote zu Machtmissbrauch führen. Was
       ist da dran? 
       
       Brouwer: Zunächst möchte ich mahnen, dass man die katholische Kirche und
       die evangelische Kirche an dieser Stelle nicht in eine Opposition
       zueinander bringen sollte. Machtmissbrauch findet ganz klar auch in der
       evangelischen Kirche statt. Die Forum-Studie zeigt übrigens, dass die
       häufigsten Täter bei uns verheiratete Männer sind – es ändert also nichts,
       ob Männer im Zölibat leben oder verheiratet sind.
       
       taz: Ob katholisch oder evangelisch: Die Kirche gilt nicht gerade als ein
       Raum, in dem besonders offen über Sexualität gesprochen wird. Ist das kein
       Problem? 
       
       Brouwer: Der Verdacht liegt natürlich nahe. Man muss ihm aber eine zweite
       Beobachtung aus der Forum-Studie zur Seite stellen: Es gibt in der Kirche
       auch Gemeinden, die sehr von der Bewegung der 68er-Jahre erfasst wurden und
       ein offenes Klima kultivierten, gerade auch in der Jugendarbeit. Diese
       Gemeinden waren und sind genauso anfällig für Machtmissbrauch, gerade in
       den 70er-Jahren sind dort schlimme Dinge passiert. Das soll nicht heißen,
       dass wir in der Kirche nicht viel offener über Sexualität reden müssen. Es
       ist aber auch zu leicht, es damit als getan zu betrachten.
       
       30 Aug 2024
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Marta Ahmedov
       
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