# taz.de -- Tanzen in Iran: „Tanz ist wie Atmen“
       
       > Das Festival Tanzpol bietet Künstler:innen mit Repressions- und
       > Migrationserfahrungen eine Bühne. Der Fokus liegt auf der iranischen
       > Diaspora.
       
 (IMG) Bild: Die Performance „Keeping up with the Iranians“ von Afrang Nordlöf Malekian ist am 1. Juni in den Sophiensaelen zu sehen
       
       taz: Ashkan Afsharian, Johanna Kasperowitsch, Sie haben ein Festival für
       Tanz- und Performanceschaffende mit vorwiegend iranisch geprägter
       Sozialisierung ins Leben gerufen. Unmittelbar vor Festivalbeginn wurde in
       Teheran [1][der tödlich verunglückten iranische Präsident] von großen
       Massen, darunter offenbar der Hamas-Auslandschef, der türkische
       Vize-Präsident und Taliban-Vertreter, betrauert. Was bedeutet das für Ihr
       Festival?
       
       Ashkan Afsharian: Zunächst stellen wir fest: Es gibt einen Diktator weniger
       in dieser Welt. In Iran muss man sich jedoch ständig den Bedingungen
       anpassen und sieht sich permanent von massiver Propaganda umgeben. Vor dem
       Tod von Jina Mahsa Amini gab es ein wenig Hoffnung, dass Veränderungen
       innerhalb des politischen Systems möglich sind. Seit dem Tod ist das
       vorbei. Es gibt keinerlei Beziehung zwischen progressiven Kräften und dem
       Regime. Daran wird sich vermutlich auch jetzt nicht viel ändern.
       
       [2][Tanz ist in Iran] starken Repressalien ausgesetzt. Trotzdem gab es eine
       sehr spannende Untergrundszene, von der auch in Berlin immer wieder etwas
       zu sehen war. Ist das der Grund, warum das Festival sich hauptsächlich
       [3][iranischstämmigen Kunstschaffenden] widmet? 
       
       Ashkan Afsharian: Ich war Teil dieser Untergrundszene. Wir haben
       Gastspiele, Workshops und Universitätsprofessor:innen eingeladen.
       Aber 2020 wurden maßgebliche Protagonist:innen, deren Namen wir derzeit
       lieber nicht in der Presse lesen möchten, verhaftet. Sie sind nun in
       Deutschland.
       
       Etwa 80 Prozent der ehemaligen Szene haben in den letzten fünf Jahren den
       Iran verlassen, die meisten durch ein Studierendenvisum, andere als
       Asylsuchende. Aber nicht alle haben diese Möglichkeit. Unser Festival
       möchte sowohl eine Plattform für die Diaspora sein, als auch weiterhin den
       Kontakt zu den [4][in Iran] verbliebenen Künstler:innen halten und sie,
       wo es geht, unterstützen. Tanz ist für sie wie Atmen.
       
       Johanna Kasperowitsch: Ohne die extrem gute Vernetzung von Ashkan wäre ein
       solches Festival nicht möglich. Ein anderer Grund, warum wir uns auf die
       iranische Diaspora konzentrieren, ist, dass sie mehr Sichtbarkeit braucht,
       um weiter zu bestehen. Wir wollen uns auch für andere Communities
       einsetzen, nur kann das, aufgrund unseres Wissensstandes und der
       politischen Situation, noch schwieriger sein.
       
       So ist es leider unmöglich, für [5][afghanische Künstler:innen] ein
       Visum zu bekommen, geschweige denn für afghanische Menschen, die etwa ohne
       Pass und ohne die Möglichkeit, einen zu erhalten, in der Türkei leben. In
       Bezug auf Iran ist es ein klein wenig leichter, aber auch unfassbar schwer.
       
       Kürzlich wurden bei den Potsdamer Tanztagen die mindestens 55.000 durch
       NGOs registrierten Toten thematisiert, die beim Versuch starben, Europa zu
       erreichen. Handelt es sich bei der künstlerischen iranischen Diaspora um
       eine vergleichsweise privilegierte Gruppe? 
       
       Johanna Kasperowitsch: Mein Eindruck ist, dass die Künstler:innen, die hier
       studieren, eher aus mittelständig bis finanziell gehobenem Bürgertum
       kommen. Diese Menschen sprechen Englisch und haben die finanziellen Mittel,
       anders würden sie es nicht schaffen.
       
       Ashkan Afsharian: Wer als Studierender nach Deutschland kommen will, muss
       mindestens 10.000 Euro auf dem Konto haben. Das hat auch in Deutschland
       längst nicht jede:r. Und auch eine Tanzkarriere können sich Menschen aus
       der Arbeiterklasse hier kaum leisten.
       
       Welche formalen Probleme ergeben sich bei der Festivalkonzeption und was
       müsste sich ändern, um Kunstschaffende aus sanktionierten Ländern zu
       unterstützen? 
       
       Johanna Kasperowitsch: Es braucht von deutschen Förderinstitutionen
       Flexibilität. Es ist unmöglich, mit iranischen Künstler:innen zu
       kollaborieren, wenn das formal nur über in Euro ausgestellte Rechnungen
       passieren kann. Das ist absurd. Es gibt keinen Geldfluss nach Iran, nur die
       Bezahlung über Kryptowährung oder über Mittelspersonen.
       
       Das andere Problem ist die deutsche Bürokratie. Visa-Anträge, aber auch
       solche für Wohngeld, Krankenkasse etc., sind teilweise so komplex, dass sie
       sogar eine retraumatisierende Wirkung haben kann, da die Menschen, die es
       betrifft, ja ohnehin mit sehr vielen Hürden zu kämpfen haben und durch jene
       der deutschen Bürokratie unter Umständen in eine Art Negativschleife
       hineingeraten.
       
       Leider scheint das Interesse deutscher Fördergeber, sich in dieser
       Beziehung für einen Barrierenabbau einzusetzen, eher gering. Wir hoffen,
       durch die Thematisierung auf unseren Festival-Panels diese Komponente nicht
       aus den Augen zu verlieren.
       
       Ashkan Afsharian: Parallel zum Festival haben wir noch ein Mentoring
       Programm beantragt, aber das wurde nicht bewilligt. Dabei ging es darum,
       junge Künstler:innen für einige Monate einzuladen, sodass sie sich
       weiterentwickeln können. Wenn es wirklich darum geht, Arbeitsbedingungen zu
       verbessern, dann gibt es wenig Unterstützung, auch was unsere eigenen
       Strukturen angeht. Unterstützung, die eine Grundlage für Veränderungen
       schaffen möchte, braucht Kontinuität und Zeit.
       
       26 May 2024
       
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