# taz.de -- Long Covid: Die Konferenz der Schwerkranken
       
       > Long-Covid- und ME/CFS-Erkrankte haben eine Konferenz organisiert, um
       > ihre Situation zu verdeutlichen. Anlass ist eine Reihe von Suiziden.
       
 (IMG) Bild: Long Covid Awareness Day am 15. März 2024 in Berlin: Protest gegen das Leiden vieler Menschen von Long Covid
       
       „Dies wird mein letzter Tweet sein“, schrieb die 28-jährige Lauren am 27.
       Januar auf der Plattform X. Kurz darauf waren viele Profile in den sozialen
       Medien voller blauer Rosen. Wie immer, wenn ein ME/CFS-Erkrankter
       verstorben ist – nicht selten durch Suizid. Laurens Fall wurde nun zum
       Anlass für eine internationale Großkonferenz – organisiert von
       [1][Long-Covid]- und ME/CFS-Erkrankten.
       
       Die Myalgische Enzephalomyelitis, auch als chronisches Fatigue-Syndrom
       bezeichnet (ME/CFS), tritt oft nach Virusinfektionen auf und gilt als
       schwerste Form von Long Covid. Erkrankte leiden unter bleierner
       Erschöpfung, Nervenschmerzen oder Konzentrationsstörungen. Schwerbetroffene
       sind mitunter bettlägerig, Überanstrengungen führen zum Crash. Die
       Niederländerin Lauren hatte all das lange Zeit in ihrem Blog beschrieben,
       auch die Vorbereitungen für ihren Abschied.
       
       Den Hamburger Long-Covid-Erkrankten Marco Wetzel verleitete der Fall dazu,
       in die Offensive zu gehen. Noch an Laurens Todestag präsentierte er der gut
       vernetzten Patientencommunity auf X seine Idee: Eine globale Konferenz
       müsste es geben, die Betroffene, Wissenschaftler und Politiker
       zusammenbringt. Diesen Mittwoch und Donnerstag fand das digitale Großevent
       statt, unter dem Namen „Unite to fight“: zusammenstehen, um zu kämpfen.
       Mehr als 8.000 Long-Covid- und ME/CFS-Betroffene, Angehörige und
       Interessierte aus allen Erdteilen hatten sich zu der Konferenz angemeldet,
       die Wetzel mit vier weiteren Betroffene organisierte. Mehr oder weniger aus
       dem Bett heraus haben sie ein Crowdfunding gestartet, namhafte Forscher und
       Politiker für Vorträge gewonnen. „Unite to fight ist Laurens Vermächtnis“,
       schrieben sie.
       
       ## „Erzählt der Welt von dieser Krankheit“
       
       „Long Covid als ein globales Problem ist gekommen, um zu bleiben“, sagte
       Karl Lauterbach (SPD) in einer Videobotschaft zur Eröffnung der Konferenz.
       Der Bundesgesundheitsminister benannte das Problem, das Betroffene wohl am
       stärksten umtreibt: Eine heilende Therapie ist bislang nicht entdeckt.
       „Die Forschung muss weitergehen“, mahnte Lauterbach.
       
       Wo sie steht, trugen Wissenschaftler aus aller Welt vor. Die US-Immunologin
       Akiko Iwasaki nannte vier mögliche Mechanismen als Ursache der
       Erkrankungen: Ein bleibendes „Virusreservoir“ nach einer akuten Infektion,
       Autoimmunprozesse, Gewebeschäden infolge der initialen Erkrankung sowie
       reaktivierte Viren aus früheren Infektionen. Nun sei es wichtig zu
       erkennen, welcher Patient in welche Gruppe fällt – und welcher
       Therapieansatz sich daraus ableitet. Carmen Scheibenbogen, ME/CFS-Expertin
       der Berliner Charité, gab sich zuversichtlich, einigen Patienten künftig
       mit einer Kombination aus Medikamenten und der Immunadsorption – einem
       Verfahren, das schädliche Autoantikörper aus dem Blut filtert – helfen zu
       können. Klinische Studien dazu laufen. Die südafrikanische Physiologin
       Resia Pretoris wiederum berichtete von „großen Erfolgen“ mit dem
       Off-Label-Einsatz von Gerinnungshemmern bei Long-Covid-Patienten.
       
       Ihr niederländischer Kollege Rob Wüst war es, der mit einem Zitat von
       Lauren an den initialen Anlass der Konferenz erinnerte: „Erzählt der Welt
       von dieser schrecklichen Krankheit“, hatte sie ihren Followern aufgegeben,
       „und dass niemand in einem Bett hinter einer verschlossenen Tür liegen
       sollte, um auf das Ende zu warten.“ Noch ist dies ein hehrer Anspruch:
       Mitte April hatte sich Minister Lauterbach bestürzt gezeigt, dass junge
       Long-Covid-Erkrankte sich „im Rahmen der Sterbehilfe informieren“ würden.
       Sterbehilfevereine bestätigen, dass die Anfragen von Menschen mit ME/CFS
       zunehmen.
       
       Belastbare [2][Statistiken] dazu fehlen. Internationale Studien jedoch
       benennen das Problem: „Es gibt eindeutige Belege, dass Suizide bei ME/CFS
       häufiger vorkommen“, sagt der US-amerikanische Psychologe Leonard A. Jason
       auf Anfrage. Der Professor der DePaul University in Chicago analysierte
       mehrfach Todesfälle von ME/CFS-Patienten: Jeder fünfte ging demnach auf
       einen Suizid zurück. Auch eine britische Untersuchung, 2016 im Fachjournal
       The Lancet erschienen, ermittelte eine erhöhte Suizidrate bei ME/CFS. Doch
       die Fallzahlen sind klein, die Studien mit Vorsicht zu interpretieren.
       Repräsentativ für die Erkrankungen sind sie nicht. Gerade Long Covid ist
       ein breites Spektrum, und der überwiegende Anteil der eher mild Betroffenen
       ist in den Studien wohl unterrepräsentiert.
       
       Dennoch decken sich die Daten mit den Erfahrungen von Ärzten auch in
       Deutschland. „Die Verzweiflung ist mit Händen greifbar, vor allem bei den
       Schwerbetroffenen“, sagt Astrid Weber, die als Leiterin der
       Long-Covid-Ambulanz Koblenz bereits rund 800 Patienten betreut hat. Auch
       vor ihrer Spezialisierung auf Corona-Langzeitfolgen hatte sie mit schwer
       erkrankten Menschen zu tun. Doch sie sagt: „Dass so häufig Suizidgedanken
       an mich herangetragen werden wie von Long-Covid-Patienten, das hatte ich
       noch nie.“
       
       ## Betroffene als ExpertInnen
       
       Der Psychologe Jason untersuchte in seinen Studien die Ursachen für den
       Sterbewunsch. Die Schmerzen seien demnach nicht ausschlaggebend – dafür
       aber die Stigmatisierung im sozialen Umfeld. Zur fehlenden Aussicht auf
       eine Heilung und einer mangelhaften Versorgung kommt demnach das
       Unverständnis von Mitmenschen wie Ärzten, die ME/CFS häufig nicht als
       schwere organische Erkrankung, sondern als ein rein psychisches Problem
       einstufen.
       
       An diesen wunden Punkten knüpfte die „Unite to fight“-Konferenz an. Der
       US-Journalist und Pulitzer-Preisträger Ed Yong warb dafür, „Betroffene wie
       Experten für ihre Krankheit zu behandeln, denn genau das sind sie“. Nicht
       zuletzt weckten Forschende die Hoffnung auf gute Therapieoptionen in nicht
       allzu ferner Zukunft. „Ich glaube fest daran, dass viele Krankheitsprozesse
       rückgängig gemacht werden können“, sagte Yale-Professorin Iwasaki. „Nicht
       bei jedem Patienten“, betonte sie – wohl aber bei vielen.
       
       Falls Gedanken an einen Suizid Sie beschäftigen, sollten Sie sich
       unverzüglich ärztliche und psychotherapeutische Hilfe holen. Bitte wenden
       Sie sich an die nächste psychiatrische Klinik oder rufen Sie in akuten
       Fällen den Notruf an unter 112. Weitere Hilfsangebote finden Sie unter
       [3][taz.de/suizidgedanken].
       
       16 May 2024
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Rücker
       
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