# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Aleksandar Zivanovic: Das wahreGrauen kommt unangekündigt
       
       Rot angeleuchtet. Einer faucht und schreit mit einer Hingabe, dass man sich
       die Ohren zuhalten möchte und sich fragt, wie lange das mit den
       Stimmbändern noch gut geht. Der Sänger liest die Schreie von einem Blatt am
       Dirigentenpult ab. Begleitet wird er von einer heruntergestimmten Gitarre,
       einem angezerrten Bass und einem Schlagzeug, das sich mal wie ein
       Peitschenhieb anhört, wenn der Schlagzeuger auf die Snare eindrischt, und
       mal wie ein stumpfer Gegenstand, der Knochen zertrümmert, wenn der
       Schlagzeuger auf die wuchtigen Toms haut. So ungefähr muss man sich den
       Horror vorstellen.
       
       Das Wochenende begann verfrüht am vergangenen Dienstag im Berghain. [1][Auf
       der Bühne standen Khanate], eine Band aus den USA, die die langsamste Art
       des Metal spielt, die es auf der Welt gibt, und sich aufs Auswälzen
       bösartig klingender Akkorde spezialisiert hat. Diese furchterregenden
       Akkorde, die ohrenzerfetzenden Gitarrenrückkopplungen und die verzweifelten
       Schreie halten manchmal bis zu 20 Sekunden an, bevor man für einen kurzen
       Moment erlöst wird, nur um kurz darauf vom nächsten Höllenakkord
       erschüttert zu werden. Dazu fällt mir ein Witz ein: Ein Mann trifft einen
       anderen, der seinen Kopf immer wieder gegen die Wand schlägt. Auf die Frage
       „Warum machst du das?“ antwortet er: „Weil es sich so gut anfühlt, wenn ich
       aufhöre.“ Das Publikum jedenfalls ging nach dem Konzert äußerst beseelt und
       entspannt nach Hause, das Grauen kam nur von der Bühne.
       
       Das wahre Grauen kommt unangekündigt, roh und extrem ins Leben, einfach so,
       ohne Vorwarnung. Am Samstagnachmittag, einem Tag mit viel Sonne, wirft eine
       Frau in Wedding in der Müllerstraße aus einer Entfernung von etwa fünf
       Metern eine Glasflasche in die Richtung eines Kindes, das im Kinderwagen
       sitzt und von ihren Eltern gerade über den Zebrastreifen geschoben wird.
       Die Flasche zerschellt nur wenige Zentimeter vor dem Kinderwagen, überall
       liegen Glasscherben. Viele Umstehende zucken vor Schreck zusammen.
       
       Die Mutter des Kindes geht auf die Flaschenwerferin zu. Was soll das! Die
       Flaschenwerferin, mit weit aufgerissenen Augen, offenbar vollkommen
       zugedröhnt von irgendeiner Droge, schreit etwas zurück, was niemand
       versteht, dreht sich um und rennt davon, weil nun auch der Vater auf sie
       zuläuft. Plötzlich bleibt sie ein paar Meter weiter vor zwei jungen Frauen
       aus China stehen und schlägt dann einfach so, ohne jeden Grund, einer der
       beiden so heftig ins Gesicht, dass sie fast zu Boden geht. Erst dann rennt
       die Übeltäterin weg, zwei Männer laufen ihr hinterher, „die muss
       aufgehalten werden, haltet sie auf“. Im Gedränge der Menge verschwinden
       sie.
       
       Die junge Chinesin bricht in Tränen aus, ihre Freundin kümmert sich um sie,
       Passanten bieten ihr Wasser an, eine Frau ruft die Polizei. „Ich habe alles
       gesehen, diese Frau hat mit der Flasche auf Menschen gezielt.“ Weit kam die
       Flaschenwerferin nicht, die Polizei nahm sie wenige hundert Meter weiter am
       Leopoldplatz fest.
       
       Deutlich entspannter ging es am Sonntagabend im Monarchen am Kottbusser Tor
       zu. Dort spielten Bärchen und die Milchbubis, eine Punkband aus Hannover.
       1981 war ihr erstes Album „Dann macht es Bumm“ erschienen. Eben wurde ihr
       zweites veröffentlicht, „Die Rückkehr des Bumm“. Bärchen und die
       Milchbubis, jetzt nur noch zu dritt, begannen in Berlin ihre Tour. Das
       Konzert war gut besucht, junge und ältere Menschen schienen gut gelaunt und
       sangen laut mit: „Ich will meinen Spaß zurück“ und „Jung kaputt spart
       Altersheime“. Das hat Spaß gemacht.
       
       30 Apr 2024
       
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