# taz.de -- Oberbürgermeister İmamoğlu: Größere Ziele als Istanbul
       
       > Mit seiner Wiederwahl hat sich der CHP-Politiker als wichtigster
       > Herausforderer des Präsidenten Erdoğan und seiner AKP in Stellung
       > gebracht.
       
 (IMG) Bild: Mann der Mitte: İmamoğlu im März im Wahlkampf in Istanbul
       
       Istanbul taz | Als Ekrem İmamoğlu am späten Sonntagabend vor seine
       WählerInnen tritt, ist er so heiser, dass er kaum noch sprechen kann. Noch
       sind die Stimmen nicht endgültig ausgezählt, aber der Vorsprung İmamoğlus
       auf seinen Konkurrenten ist so groß, dass seine Wiederwahl als
       Oberbürgermeister von Istanbul praktisch feststeht. İmamoğlu redet zunächst
       über Stadtpolitik, doch dann wird er grundsätzlich: „Die Wahl markiert das
       Ende der demokratischen Erosion in der Türkei und das Wiederaufleben der
       Demokratie.“
       
       Als Weltstadt setze Istanbul damit auch ein Zeichen der Hoffnung an andere
       Metropolen weltweit, die ebenfalls von [1][autokratischen Herrschern] unter
       Druck stünden. İmamoğlu hatte schon immer ein großes Sendungsbewusstsein
       und hat schon in der Vergangenheit zu erkennen gegeben, dass er mit dem
       Bürgermeisteramt nicht das Ende seiner Karriere gekommen sieht.
       
       Seit [2][Montagmorgen] ist er nun endgültig einer der kommenden Politiker
       der Türkei. Der 53-jährige Oberbürgermeister der größten Stadt des Landes
       hat sich durch seine Wiederwahl endgültig in der ersten Reihe der
       türkischen Politik etabliert. Da die zentralistische Türkei keine
       Bundesländer hat, sind die Oberbürgermeister der größten Städte so etwas
       wie die Ministerpräsidenten der Länder in Deutschland – İmamoğlu ist nun
       der Mächtigste unter ihnen.
       
       Bevor er vor fünf Jahren erstmals als Kandidat für das Amt des
       Oberbürgermeisters für Istanbul antrat, war er politisch ein weitgehend
       unbeschriebenes Blatt. Er war Bezirksbürgermeister von Beylikdüzü, einem
       unbedeutenden Vorort im Westen der Metropole, und selbst in seiner Partei,
       der sozialdemokratischen CHP, noch weitgehend unbekannt. Die damalige
       Istanbuler Parteivorsitzende Canan Kaftancıoğlu schlug ihn als Kandidaten
       vor, weil er als praktizierender Muslim, der dennoch für die Werte der
       säkularen Republik eintrat, für die Mitte der Gesellschaft wählbar schien.
       
       ## Schon länger in Erdoğans Visier
       
       İmamoğlu schaffte das schier Unglaubliche und konnte der AKP nach 23 Jahren
       ununterbrochener Herrschaft trotz eines direkten Eingreifens von
       Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan, der eine Wiederholungswahl erzwang,
       die Stadt abnehmen. İmamoğlu, der mit der Wissenschaftlerin Dilek İmamoğlu
       verheiratet ist und mit ihr drei Kinder hat, erwies sich in den Kämpfen im
       Frühjahr 2019 als begnadeter Wahlkämpfer und furchtloser Politiker.
       
       Auch nachdem Erdoğan zähneknirschend den Wahlsieg İmamoğlus akzeptieren
       musste, setzte er seine Kampagne gegen den neuen Bürgermeister fort. Er
       sperrte Istanbul Gelder aus dem Staatshaushalt, stoppte Investitionen und
       sorgte dafür, dass die AKP- Fraktion, die im Stadtparlament noch eine
       Mehrheit hatte, dem Oberbürgermeister viele Knüppel zwischen die Beine
       warf. Außerdem wurde İmamoğlu aus Ankara ein offensichtlich [3][politisch
       motiviertes Strafverfahren] angehängt, in dem er in erster Instanz
       verurteilt wurde.
       
       Doch İmamoğlu wehrte das alles ab und konnte am Sonntag die Früchte seiner
       Arbeit einfahren. Sein Wahlsieg ist so hoch, dass es keine Zweifel mehr
       geben konnte, auch im Stadtrat hat die CHP jetzt die Mehrheit. İmamoğlu ist
       damit zum wichtigsten Herausforderer Erdoğans geworden. Bei den
       Präsidentschaftswahlen im Mai letzten Jahres verwehrte der damalige
       CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu dem Istanbuler Oberbürgermeister es
       noch, gegen Erdoğan anzutreten. In vier Jahren, bei den
       Präsidentschaftswahlen 2028, wird İmamoğlu wohl die Opposition gegen
       Erdoğan vertreten. Wenn der alternde Patriarch dann überhaupt noch mal
       antritt.
       
       1 Apr 2024
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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