# taz.de -- Die Wahrheit: Buntbarsche in der S-Bahn
       
       > Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (183): Welt im Glas –
       > die stillen Aquariumtiere bergen unglaubliche Geheimnisse.
       
 (IMG) Bild: Hinter der Scheibe gehen Glibbertiere ihren rätselhaften Beschäftigungen nach
       
       Mit dem ersten Schauaquarium in London 1853 und den großen Aquarienhäusern,
       die dann in den Industrieländern entstanden, begann eine allgemeine
       Aquarium-Manie. Die Biologie fand eine neue Aufgabe: Erforschung der
       „Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren
       Sinne alle Existenz-Bedingungen rechnen können“, wie der Zoologe Ernst
       Haeckel 1866 schrieb. Er schlug dafür den Begriff „Ökologie“ vor. Das
       Aquarium ist ein künstliches Ökotop.
       
       Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz meinte, „von meinem Aquarium habe ich
       mehr gelernt als in allen Seminaren“. Als der Verhaltensforscher Otto
       Koehler Direktor des Zoologischen Instituts an der Universität Königsberg
       wurde, berief er Konrad Lorenz auf den „Kant-Lehrstuhl“. Später äußerte er
       während einer S-Bahn-Fahrt durch Berlin gegenüber Bernhard Grzimek seine
       Verwunderung, dass Lorenz nur ein Aquarium mit Buntbarschen nach Königsberg
       mitgenommen hatte.
       
       ## Berühmter Anglerfisch
       
       Meine Eltern besaßen zu Hause ein Aquarium mit Warmwasserfischen, darin
       lebten Skalare, Neonfische, Schwertträger, Zebrafische, Black Mollys und
       Schnecken. Ein Kollege meines Vaters trumpfte mit einem riesigen
       Salzwasser-Aquarium auf, das er mit giftigen Rotfeuerfischen bestückte.
       Mein Vater fand das angeberisch, war aber auch ein bisschen neidisch.
       
       Als Schüler ging ich oft in das Aquarium des Bremer Überseemuseums. Es
       wurde Ende der siebziger Jahre geschlossen, die Tiere wurden verkauft,
       Karpfen und Hechte gegessen. Der beim Publikum beliebte „Dicke Heinrich“,
       ein Zackenbarsch, wurde präpariert und kam ins Museum. Während der Nazizeit
       war ein „Anglerfisch“ aus dem Sargassomeer berühmt geworden. Es hieß zuvor,
       dass diese „Armflosser“ sich nicht in Gefangenschaft halten lassen.
       
       ## Wehrhafte Persönlichkeit
       
       Später – in der Wesermarsch lebend – legte ich mir ein eigenes Aquarium zu
       – mit Kaltwasserfischen: Stichlinge, Rotfedern und Gründlinge sowie einer
       Flussmuschel und Schnecken, die ich in den Gewässern der Umgebung fing.
       Einmal erwarb ich in einem Fischgeschäft für eine Mark einen Flusskrebs. Um
       ihn, Fritz genannt, gruppierte sich fortan das Geschehen im Becken. Er
       hockte in einer beidseitig offenen Steinhöhle und wurde mit Leberwurst in
       kleinen Portionen gefüttert – zusammen mit einem Kieselstein, damit das
       Fleisch runtersank.
       
       ## Knallgrün mit Hauern
       
       Wenn man mit einem Kescher im Aquarium rumfuchtelte, versteckten sich alle
       Fische hinter ihm, während er tapfer versuchte, das Gerät mit den Scheren
       abzuwehren. Entgegen der Meinung vieler Aquarianer fraß er nicht einmal die
       kleinsten Fische, sondern beschützte sie eher. Ich fand, dass er eine
       Persönlichkeit war. Die einzige im Becken.
       
       Gelegentlich besuchte ich das „Nordsee-Aquarium“ im Bremerhavener Zoo. In
       Bremerhaven war bis 1983 „die größte deutsche Fischereiflotte“
       stationiert. Heute werden die Handelsketten von der isländischen Flotte
       beliefert. Im dortigen Aquarium hält man all die Speisefische, die
       tonnenweise gefangen werden, als Zierfische. Sie werden von
       Forschungsschiffen schonend gefangen.
       
       Der Aquariumpfleger Werner Marwedel erzählte mir: „Hier im Aquarium muss
       man immer auch an die Besucher denken. Ich persönlich kann mich über
       irgendeinen neuen unscheinbaren kleinen Krebs freuen, den wir noch nie
       gehabt haben, aber die Besucher wollen entweder etwas ganz Verrücktes sehen
       – mit solchen Hauern! Wie ein Wildschwein! Oder es muss entweder knallgrün
       oder knallrot sein, dass einem am besten die Augen wehtun, und dann muss es
       im Becken auch noch hin und her flitzen wie aufgezogen. Wenn etwas nur am
       Boden liegt, dann ist das todlangweilig, dann wird an die Scheiben
       geklopft. So etwas hassen wir natürlich, aber was soll man machen?“
       
       ## Anspruchsvolle Schiffspassagiere
       
       Der ehemalige Leiter des Aquariums im Meeresmuseum Stralsund, Karl-Heinz
       Tschiesche, war ab 1983 von Seeleuten mit Korallenfischen versorgt
       worden, wie er in seinen Erinnerungen „Seepferdchen, Kugelfisch und Krake“
       (2005) schreibt. Weil er im Westen für eine Garnele, die 18 D-Mark kostete,
       bis zu 250 DDR-Mark zahlen musste, für einen Schmetterlingsfisch gar 1.000
       Mark, griff er den Vorschlag eines Matrosen auf, sich Fische aus dem Roten
       Meer, wo die Schiffe vorm Suezkanal stets eine längere Liegezeit haben,
       mitbringen zu lassen.
       
       Er rüstete daraufhin zwei Schiffe mit je zwölf Aquarien aus. Am Anfang
       waren die Verluste hoch, weil Offiziere und Mannschaften keine Erfahrung
       mit den anspruchsvollen Fischen hatten, aber dann kamen die Ehefrauen der
       Offiziere, die alle zwei Jahre mit auf Fahrt gehen durften, darauf, sich
       der Tiere während der vier- bis sechsmonatigen Reise anzunehmen. „Seitdem
       war der Gesundheitszustand der Fische bei ihrer Ankunft in Rostock immer
       ausgezeichnet.“ Und Tschiesche sparte zigtausende von Mark. Darüber hinaus
       profitierten dann auch noch die Rostocker Aquarianer von den Fängen.
       
       Inzwischen überbieten sich die öffentlichen Aquarien mit immer größeren
       Becken. Man befürchtet jedoch, dass es über kurz oder lang keine exotischen
       Fische mehr für ihre Schaubecken gibt und sie auf ihre eigene
       „Erhaltungszucht“ angewiesen sind. Allein vom Fang der kleinen Neonfische
       im Orinoco und Rio Negro sollen noch immer rund 10.000 Menschen leben.
       Beliebt sind auch die Seepferdchen. Rund 20 Millionen Exemplare kommen
       weltweit jährlich auf den Markt.
       
       ## Selbstgenügsam durch Gasaustausch
       
       Erfunden hat das Aquarium angeblich die autodidaktische französische
       Naturforscherin Jeanne Villepreux-Power, sie lebte von 1794 bis 1871. Sie
       wollte Meerestiere länger und genauer studieren und nannte ihre Becken
       „Power Cages“. Das Problem war dabei, den Tieren eine „Umwelt“ zu bieten,
       die ihnen genügt. Erst viel später kam man darauf, dass die Wasserpflanzen
       mit Hilfe von Licht CO2 aufnehmen und Sauerstoff abgeben. Den brauchen die
       Fische im Aquarium zum Leben; sie atmen dafür CO2 aus, das die Pflanzen
       benötigen und düngen sie mit ihrer Kacke.
       
       Zur selben Zeit wie Jeanne Villepreux-Power nahm der Chemiker Justus von
       Liebig ein luftdicht abgeschlossenes Aquarium mit in seine Vorlesungen, um
       zu zeigen, wie der lichtinduzierte Gasaustausch dem Leben darin eine
       selbstgenügsame Existenz schafft.
       
       Die Kunsthistorikerin Ursula Harter setzt in ihrem Buch „Aquaria“ (2014)
       die Erfindung des Aquariums bereits bei den „chinesischen Goldfischbassins“
       an – im ersten vorchristlichen Jahrhundert. Und die Kulturwissenschaftlerin
       Mareike Vennen lässt in ihrem Buch „Das Aquarium“ (2018) die Geschichte der
       „Welt im Glas“ mit den ersten Glaskästen für exotische Pflanzen in London
       beginnen. Sie hielten die schlechte Stadtluft von ihnen ab.
       
       18 Dec 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Helmut Höge
       
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