# taz.de -- Niedriglohnarbeit für US-Tech-Konzerne: KI-Training in Afrika
       
       > Junge Ugander zeigen künstlicher Intelligenz von Hand, was sie machen
       > soll – und was nicht. Gute Jobchancen oder klickender Albtraum?
       
 (IMG) Bild: Das Office in Kampala
       
       Im Hintergrund dudelt ein Radiosender, sonst hört man nur das stetige
       „Klick, klick, klick“ der Computer-Mäuse. Mit dem Mauszeiger werden am
       Bildschirm Fahrbahnmarkierungen nachgezeichnet, wo ein Auto nicht lang
       fahren darf. Auf einem anderen Bildschirm ist das Innere eines Warenhauses
       zu erkennen. Der Greifarm eines Roboters wird mit dem Mauszeiger trainiert,
       wie er die richtige Kiste aus dem Regal zieht.
       
       150 junge Ugander sitzen in diesem großen, stickigen Raum dicht an dicht
       hinter den Computern. Sie arbeiten im Auftrag großer Techfirmen wie Meta,
       wozu Facebook oder Whatsapp gehören, oder dem amerikanischen
       [1][Autohersteller Tesla]. Dessen integrierte künstliche Intelligenz (KI),
       die bald das Fahren am Steuer ganz alleine abwickeln soll, muss
       millionenfach an denselben Abläufen trainiert werden. Denn bis diese KI
       sicher weiß, bei welchem Straßenschild das Fahrzeug Vorfahrt geben muss und
       bei welcher Fahrbahnmarkierung es überholen darf, wird sie von den 150
       Ugandern trainiert, die in diesem Erdgeschoss eines Bürogebäudes in Ugandas
       Hauptstadt Kampala immer wieder die gleichen Klicks durchführen.
       
       Sama heißt das Start-up-Unternehmen, das in Afrika nun diese
       arbeitsintensiven Jobs für die Techgiganten im Silicon Valley übernimmt. Es
       ist eines von zahlreichen Start-ups, die überall auf dem Kontinent derzeit
       gegründet werden, um die Trainings der KI zu übernehmen, die in Zukunft
       zahlreiche Arbeitsprozesse selbst erledigen wird. Auf der Webseite von Sama
       sind deren Kunden gelistet: Dabei handelt es sich um solche Firmen, für die
       sich nie ein junger afrikanischer Student zu arbeiten zu träumen gewagt
       hätte: Google, Ford, Walmart, Sony, BMW, Ebay und vor allem Meta.
       
       [2][Gleich daneben ist auf der Internetseite] der Verweis „Karriere“. Dort
       kann man online seine Bewerbungsunterlagen einreichen: „Werden Sie Teil
       unseres Teams und tragen Sie dazu bei, die Welt zu verändern“, steht neben
       dem Formular. Dass eine ugandische Firma überhaupt Bewerbungsformulare
       online stellt, ist eine Seltenheit. In Anbetracht einer der höchsten
       Geburtenraten der Welt und dadurch mitverursachten krassen
       Jugendarbeitslosigkeit werden die meisten Firmen schier überschwemmt.
       
       ## Stell dir vor, es gibt Kunden in Deutschland
       
       Doch dies sei Teil des Konzepts, sagt Geschäftsführer Joshua Okello und
       zeigt auf einen kleinen Konferenzraum mit einem ovalen Tisch. Denn Sama
       will expandieren und benötigt dafür enorm fleißige Hände. Die
       Firmenzentrale in Kampala ist schick eingerichtet, mit bunten Stoffen an
       den Wänden, alten Glasflaschen, die von der Decke baumeln und aus denen
       heraus Ranken überall entlang wachsen. In der büroeigenen Kantine steht ein
       großer Behälter voller bunter Lollipops auf dem Tresen, aus dem sich die
       Angestellten frei bedienen dürfen. Es wirkt ein wenig wie das afrikanische
       Silicon Valley.
       
       „Stell dir vor, es gibt einen Kunden in Deutschland, der eine
       Softwareingenieursfirma benötigt“, erklärt Okello das Konzept. „Anstatt bis
       zu 50.000 Euro auszugeben, können sie uns weit weniger für denselben Job
       bezahlen.“ Er gibt zu, früher wandten sich diese Firmen vor allem nach
       Indien, um Callcenterjobs und andere niedrigbezahlte Aufgaben auszulagern.
       Doch auch in Indien erhöhen sich mittlerweile die Gehälter. Uganda sei
       deswegen ein exzellenter Standort zum Outsourcen, so Okello: „Wir sprechen
       Englisch, wir sind ungefähr in derselben Zeitzone und wir kennen die
       europäische Kultur, weil wir dieselben Filme und Musik konsumieren“, sagt
       er. Und die Arbeitskräfte seien zudem nochmals um ein Vielfaches billiger.
       
       Der 34-jährige gelernte Softwareingenieur erklärt die Gründungsgeschichte
       von Sama in Uganda. Das Unternehmen sei eines der ersten gewesen, das nach
       dem Ende des Bürgerkrieges im Norden des Landes dort den vom Krieg
       traumatisierten Jugendlichen Arbeit gebracht habe, sagt er. Damals
       kooperierte die Vorgängerorganisation von Sama, rechtlich noch eine NGO,
       mit dem internationalen Hilfswerk Oxfam. „Bringe Jobs statt Hilfsgüter“,
       sei die Ideologie von Sama. In Gulu arbeiten heute rund 400 junge Ugander,
       2019 eröffnete Sama die Filiale in Kampala, stellte weitere 150 Leute an,
       neben Kenia mittlerweile das zweitwichtigste Standbein in Afrika.
       
       ## Klicks in der Wüste
       
       Gründerin von Sama war die junge amerikanische Geschäftsfrau Leila Janah,
       die 2020 im Alter von 37 Jahren an einer Krankheit verstarb. Als Tochter
       indischer Einwanderer und Studentin für Afrikawissenschaften eröffnete die
       Start-up-Unternehmerin von 2008 an in Indien und später in Kenia die ersten
       Filialen, um arbeitsintensive Programmierarbeit in Niedriglohnländer
       auszulagern, um Arbeitsplätze für junge Leute zu schaffen. Mittlerweile hat
       Sama selbst in Kenias gigantisch großen Flüchtlingslagern mitten in der
       Wüste Filialen eröffnet, um Geflüchtete anzustellen.
       
       Das Gute sei, so der Uganda-Geschäftsführer: Um bei Sama die KI eines
       Autos, einer Drohne oder eines Roboters zu trainieren, „brauchst du keine
       Fähigkeiten, du musst nicht einmal einen Schulabschluss haben“, so Okello.
       „Die meisten Leute hier haben noch nie in ihrem Leben einen Computer
       gesehen, bevor sie bei uns angefangen haben.“
       
       Einer der jungen Arbeiter, die Sama im Vorfeld für ein Gespräch mit der taz
       gezielt ausgewählt hat, ist der 30-jährige Bruno Kayiza, ein
       Vorzeigearbeiter. Geboren und aufgewachsen in der Hauptstadt Kampala,
       erhielt er 2012 ein staatliches Stipendium, um an der Universität in Gulu
       im Norden des Landes Wirtschaft und Datenmanagement zu studieren, erzählt
       er: Die Firmenfiliale von Sama war in umgebauten Containern direkt neben
       dem Campus gelegen.
       
       „Ich war neugierig, was da passiert, und habe mich eines Tages dort
       vorgestellt“, sagt Kayiza. Mit Erfolg: Vier Jahre lang hat er bei Sama
       Robotern beigebracht, wie sie nur reife Äpfel pflücken, dann stieg er auf
       zum Teamleader, um die Qualität der Arbeit seiner Kollegen zu überwachen.
       Schritt für Schritt erklomm er in den nächsten Jahren die Karriereleiter.
       Mittlerweile ist er in der Filiale in Gulu für 418 Leute zuständig, die
       dort in zwei Schichten Tag und Nacht immer wieder dieselben Klickarbeiten
       im Akkord tätigen müssen. Eine digitale Stundenuhr am PC registriert jeden
       einzelnen Klick.
       
       ## Mehr als üblich
       
       „Die Arbeit ist sehr interessant“, erklärt Kayiza die Tätigkeit. „Das
       Gehalt ist gut“, betont er. Es liege rund 20 Prozent über dem, was in
       Uganda untrainierte Arbeiter*innen in der Regel verdienen, also bei
       umgerechnet rund 150 Euro.
       
       Hinzu kommen soziale Absicherungen wie eine kostenlose Krankenversicherung
       sowie ein günstiges Mittagessen, was in Uganda keine Selbstverständlichkeit
       sei, so Kayiza. In Anbetracht der enormen Masse an arbeitssuchenden
       Jugendlichen sei Afrika ein „wirklich komplizierter Arbeitsmarkt“, sagt er.
       Denn viele machen einen Uniabschluss, „wissen dann aber nicht, was als
       Nächstes kommt.“
       
       Vor allem für Leute wie ihn, die Wirtschaftswissenschaften oder
       Betriebswirtschaftslehre studiert hätten, gebe es fast keine Anstellung. So
       enden selbst die mit Unidiplom meist als Gärtner, Nachtwächter oder an der
       Supermarktkasse. Im Vergleich dazu sei „Sama ein echt guter Job“, nickt er
       begeistert.
       
       Für Analystin Nanjira Sambuli klingt das aber alles ein wenig zu positiv,
       um wahr zu sein, merkt sie gegenüber der taz am Telefon aus Kenias
       Hauptstadt Nairobi an. Die Kenianerin forscht im Rahmen ihres Stipendiums
       von der Carnegie-Stiftung, wie sich die Entwicklungen im Bereich der
       Hochtechnologie auf die afrikanischen Gesellschaften auswirken. Sama ist da
       ein gutes Beispiel, sagt sie.
       
       Kenia sei in dieser Hinsicht vielen afrikanischen Ländern voraus. Bereits
       2012, als die ersten Glasfaserkabel von der Küste des Indischen Ozeans ins
       Innere des Kontinents verlegt wurden und damit die Surfgeschwindigkeit im
       Internet sich von heute auf morgen vervielfachte, eröffneten Tech-Firmen
       wie Google, Microsoft und IBM in Nairobi ihre ersten Filialen, um
       arbeitsintensive Jobs auszulagern. Kenias Politiker priesen gegenüber der
       Jugend die Zukunft eines „[3][Afrikanischen Silicon Savannah]“ mit jeder
       Menge guter Jobs für junge Leute.
       
       ## Aufschrei in den Medien
       
       „Klar besteht ein immenser Bedarf an Arbeitsplätzen auf dem gesamten
       Kontinent“, so Sambuli: „Aber sind dies sinnvolle Jobs? Sind das sichere
       Jobs mit Zukunftschancen?“, stellt sie die Frage in den Raum. Meist werden
       bei Sama die Verträge für einfache Arbeiter*innen nur für einen
       bestimmten Projektzeitraum von mehreren Monaten vergeben, danach wüssten
       die meisten nicht, ob es Anschlussprojekte gebe. „Sama betont, sie seien
       ein ethisches Outsourcing-Unternehmen“, so Sambuli: „Doch in der
       Vergangenheit gab es hier in Kenia Fälle, die vor Gericht aufgerollt
       wurden, bei welchen sich ihre Arbeitsweise als fragwürdig entlarvt hat.“
       
       Zu Beginn dieses Jahres verklagten vier Sama-Mitarbeiter in Kenia die Firma
       und wandten sich an die Regierung, die die „ausbeuterischen“
       Arbeitsbedingungen unter die Lupen nehmen sollten, wie es in der Klage
       hieß. Die Mitarbeiter hätten im Auftrag von Facebook die Inhalte von
       Postnachrichten prüfen müssen, oft 700 Textpassagen pro Tag, meist mit
       sexuell konnotiertem Inhalt. „Das hat meiner psychischen Gesundheit schwer
       geschadet“, gab damals einer der Kläger an. Diese Klage hatte ein Aufschrei
       in den Medien zur Folge. Was einst als glorreiche Jobchancen vermarktet
       wurde, wurde in der Praxis zum Albtraum.
       
       „Das Beispiel in Kenia zeigt“, so Analystin Sambuli, „dass sich Politiker
       in Afrika und die ganze internationale Gemeinschaft Gedanken machen müssen,
       zu welchem Preis all diese Arbeitsprozesse zu Dumpingpreisen nach Afrika
       ausgelagert werden“, stellt sie klar und mahnt an, afrikanische Politiker
       müssten dringend Gesetze hinsichtlich des Mindestlohns ausarbeiten und
       Arbeitsrechte definieren, so Sambuli: „Nur weil der Kontinent dringend
       Arbeitsplätze benötigt, bedeutet dies nicht, dass man Arbeitsrechte und
       Mindeststandards an Ethik über Bord werfen darf“, merkt sie an.
       
       26 Sep 2023
       
       ## LINKS
       
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