# taz.de -- Gescheiterter Wagner-Aufstand: In Kyjiw isst man Popcorn
       
       > Während Jewgeni Prigoschin seine Söldner inzwischen zurückgerufen hat,
       > beobachten die Menschen in der Ukraine die Lage in Russland gespannt.
       
 (IMG) Bild: Eine Frau betrachtet den Schaden, den die Trümmer einer russischen Rakete am Tag des inzwischen eingestellten Wagner-Aufstands in Kyjiw angerichtet haben
       
       Kyjiw taz | Wohl kaum ein Wort fällt in diesen Stunden in Kyjiw so häufig,
       wenn von Prigoschins Putsch-Versuch die Rede ist, wie das Wort „Popcorn“.
       „Ich setze mich heute die ganze Nacht vor den Fernseher“, sagt die
       Friseusin Natali zu ihrem Kunden. „Jetzt sind die letzten Stunden von Putin
       gekommen. Und dessen Gesicht will ich live erleben, wenn er von der Angst
       ergriffen den Aufständischen gegenübersteht“ so die Frau begeistert zu
       ihrem Kunden. „Wissen Sie was, ich habe mich schon genug mit Popcorn
       eingedeckt, kann es kaum noch erwarten diesen Abend am Fernseher.“
       
       „Gott ist mit uns. Was für ein tolles Wochenende. Popcorn.“ textet eine
       Liudmyla Kostushevych, die vor Wochen aus der Atomstadt Energodar geflohen
       war, auf ihrer Facebook-Seite. „Am Abend sind die Aufständischen in Moskau“
       schreibt Swetlana Krjukowa, stellvertretende Chefredakteurin von
       strana.news auf ihrem Telegram-Kanal und schmückt ihren Eintrag mit Popcorn
       Symbolen.
       
       Natalis Kollegin mischt sich in das Gespräch ein. „Nein, ich kann mich für
       das, was da passiert, nicht begeistern. Hätte nie gedacht, dass ich mal
       hoffen werde, dass Putin an der Macht bleibt. Aber wenn der Prigoschin, der
       Schlächter von Bachmut, an die Regierung kommt, dann Gnade uns Gott. Der
       wird noch viel härter gegen uns Krieg führen als Putin.“ Doch sie ist in
       der Minderheit in dem Friseursalon. „Putin wird niemals den Krieg gegen die
       Ukraine beenden“ mischt sich ein Arkadij in das Gespräch ein. „Also braucht
       Russland einen neuen Mann.“ Es könne doch sein, dass Prigoschin, wenn er
       Putin gestürzt hat, sagen werde, Putin sei ein Verbrecher, der einen Krieg
       vom Zaun gebrochen habe. Nun werde er den Krieg beenden, und damit
       gleichzeitig die Sanktionen gegen Russland. Und dann gehe es mit der
       Wirtschaft endlich wieder aufwärts.
       
       „Dann wird Prigoschin anders reden, sich so als ein russischer Robin Hood
       präsentieren“.
       
       ## Lieber Putin als Prigoschin
       
       „Ich glaube nicht, dass sich so ein Bandit wie der Prigoschin durchsetzen
       wird. Dann doch lieber einen Putin“. Natali bleibt bei ihrer Meinung, dass
       Putin das geringere Übel sei. „Wenn die Russen die Wahl haben zwischen
       einem Oligarchen und einem Banditen, entscheiden sie sich für den Banditen“
       hält ihr Arkadij entgegen. Man müsse sich nur mal den Kult um Stenka Rasin
       in Russland ansehen. Sogar der Chor der Don-Kosaken besinge diesen Mann.
       Stenka Rasin war im 17. Jahrhundert mit geflohenen Leibeigenen plündernd,
       brandschatzend und mordend durch das Land gezogen. „Und wie war das mit den
       Bolschewisten? Das war doch auch ein Kampf zwischen Banditen und
       Oligarchen. Und da war das Volk auch auf der Seite der Banditen.“ beendet
       Arkadij seinen Wortschwall.
       
       Auch auf offizieller Ebene freut man sich über die Ereignisse in Russland.
       „Jede Rebellion, jedes Problem, das hinter den feindlichen Linien
       auftaucht, ist in unserem Interesse“, zitiert der Telegram-Kanal von
       Swetlana Krjukowa den ukrainischen Außenminister Dmitro Kuleba.
       
       Auch der rechtsradikale Chef des in der Ukraine angesiedelten „Russischen
       Freiwilligenkorps“, Denis Nikitin, freut sich über die Entwicklung in
       Russland, bringe diese doch die ukrainische Gegenoffensive in eine günstige
       Ausgangsposition. Nun seien die Soldaten der russischen Armee gezwungen,
       ihre Stellungen um Bachmut und Saporischschja aufzugeben. Und dies bedeute
       einen Sieg der Ukraine, zitiert der focus.ua Nikitin.
       
       Unterdes warnt der in Odessa lebende Blogger Wjatscheslaw Azarow auf seinem
       Telegram-Kanal vor überschwänglicher Freude. Nicht auszuschließen, dass das
       alles nur inszeniert sei, um die ukrainische Armee zu unüberlegten
       Handlungen bei ihrer Gegenoffensive zu verleiten, so Azarow.
       
       ## Ukrainische Journalistin zieht Bilanz
       
       Sichtlich enttäuscht über die Nachricht vom Rückzug der Wagner-Einheiten
       schreibt Swetlana Krjukowa, stellvertretende Chefredakteurin von
       strana.news, etwas später auf ihrem Telegram-Kanal: „Doch etwas Positives
       haben die Nachrichten der letzten 24 Stunden gezeigt: mit seinem Marsch auf
       Moskau hat Prigoschin sich und auch Putin in Zugzwang gebracht. … und das
       heißt für Putin: wenn er die militärische Führung nicht entlässt, kann so
       ein ´Marsch´ jederzeit wieder stattfinden.“
       
       Wenn er aber die Führung tatsächlich entlasse, so Krjukowa, werde Putin
       gegenüber dem „Koch“ (also Prigoschin) als Schwächling dastehen. Positiv
       sei auch, so Krjukowa, dass Prigoschin den Mann, der seit 23 Jahren
       Alleinherrscher in Russland sei, in nur einem Tag „entsakralisiert“ habe.
       
       Auch wenn der Putsch-Versuch von Prigoschin misslungen ist, so der
       ukrainische Telegram-Kanal Trucha-Ukraina, habe er doch die Schwächen des
       Putin-Regimes offengelegt. Es sei schon sehr bezeichnend, so
       Trucha-Ukraina, dass die Spitzen des russischen Regimes, der Präsident mit
       eingeschlossen, Moskau angesichts der heranrückenden Wagner-Truppen
       fluchtartig verlassen hätten.
       
       Bezeichnend sei auch, dass das Volk den Aufstand wohl unterstützt habe.
       Dies sehe man daran, dass die Wagner-Truppen von Teilen der Bevölkerung
       begrüßt worden seien, die örtlichen Machthaber keinen Widerstand geleistet
       hätten. Der Umstand, dass der Kreml Kadetten und Polizisten zur
       Verteidigung und Arbeiter von Versorgungsunternehmen zum Ausheben von
       Gräben herangezogen haben, zeige, wie begrenzt die Ressourcen des Regimes
       seien.
       
       Unbeantwortet sei jedoch die entscheidende Frage, mit welchen
       Zugeständnissen der Kreml dem Wagner-Chef dessen Rückzug abgerungen habe,
       so der Telegram-Kanal Trucha-Ukraina.
       
       24 Jun 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernhard Clasen
       
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