# taz.de -- Autoritär und antidemokratisch
       
       > Weil Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) nicht mit den
       > „Bürgern in Wut“ (BiW) sprechen möchte, kritisiert ihn der Bremer
       > Politikwissenschaftler Lothar Probst. Die BiW seien eine demokratische
       > Partei, weil sie demokratische Verfahren wie Kleine Anfragen nutzen. Das
       > ist demokratietheoretisch und verfassungsrechtlich unhaltbar und
       > politisch blauäugig
       
 (IMG) Bild: Keine lupenreinen Demokraten: Piet Leidreiter (v. l. n. r.), Bremer Spitzenkandidat der „Bürger in Wut“, Niklas Stadelmann, Generalsekretär bei Bündnis Deutschland, mit dem die BiW fusionieren wollen, und Jan Timke, Bremerhavener Spitzenkandidat der „Bürger in Wut“
       
       Gastkommentar von Andreas Fischer-Lescano und Tore Vetter
       
       Nach den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft kündigte Bürgermeister Andreas
       Bovenschulte an, Gespräche mit „allen demokratischen Parteien“ zu führen –
       außer mit den „Bürgern in Wut“ (BiW), denen er absprach, demokratisch zu
       sein. Dafür erntete er teils harsche Kritik. So bezeichnete der
       Politikwissenschaftler Lothar Probst die Einschätzung Bovenschultes als
       „kaum haltbar“ und bezog sich dabei im Wesentlichen darauf, dass die BiW in
       der Bürgerschaft immer wieder von demokratischen Instrumenten, etwa Kleinen
       Anfragen, Gebrauch gemacht hätten.
       
       Dass Probst die BiW allein wegen der Nutzung demokratischer Verfahren als
       demokratisch einschätzt, ist demokratietheoretisch und verfassungsrechtlich
       unhaltbar und politisch blauäugig.
       
       In seinem letzten Urteil zum NPD-Verbot hob das Bundesverfassungsgericht
       die Bedeutung der gleichwertigen Menschenwürde als Fundament der Demokratie
       hervor: Sie kann überhaupt nur gelingen, soweit die grundlegende
       Gleichwertigkeit aller Menschen als Menschen gewährleistet ist. Rassismus
       und Antisemitismus – so die Verfassungsrichter*innen ausdrücklich –
       sind mit dem Grundgesetz unvereinbar.
       
       Schon bei dieser Frage gibt es Zweifel an der demokratischen Haltung der
       BiW. Ihr Wahlprogramm ist von antiislamischen Ressentiments durchsetzt.
       Schon 2015 waren Vertreter*innen der BiW maßgeblich an der
       Stimmungsmache gegen Geflüchtete beteiligt und mobilisierten mit dem Slogan
       „Vollzug statt Schöner Wohnen“. Erst kurz vor der Bürgerschaftswahl verließ
       der Listenkandidat Heiko Werner die Partei, nachdem seine Kontakte zur
       rechtsextremen Szene bekannt geworden waren.
       
       Nach ihren „Leitlinien“ streben die BiW eine „geistig-moralische Wende“ an.
       Sie sehen sich im Kampf gegen „Multi-Kulti-Ideologie“, „Political
       Correctness“ und die „hedonistische Spaßgesellschaft“ – Chiffren, die von
       der Neuen Rechten immer wieder benutzt werden, um ihre völkische Ideologie
       zu maskieren.
       
       Dies sind Tendenzen, die in den radikalsten Formen die vermeintliche
       „Multi-Kulti-Ideologie“ durch einen sogenannten „Ethnopluralismus“ ersetzen
       wollen – ein Konzept, das auf der Trennung angeblich unterschiedlicher und
       nicht zu vermischender Gesellschaftsgruppen beharrt und der gleichwertigen
       Menschenwürde widerspricht.
       
       Noch deutlicher wird das Fremdeln der BiW mit der Demokratie in den
       institutionellen Teilen des Wahlprogramms. So wollen sie allen Ernstes
       einen „Bremer Landespräsidenten“ einführen, um „Filz und Vetternwirtschaft“
       entgegenzuwirken. Dieser solle direkt von den Bürger*innen gewählt
       werden und dürfe keiner politischen Partei angehören oder nahestehen.
       
       Anders als die/der Bundespräsident*in, soll „der Landespräsident“
       weitreichende Befugnisse bekommen. Er soll die Vergütung der
       Bürgerschaftsabgeordneten und Senator*innen festlegen, die
       Richter*innen des Staatsgerichtshofs und der obersten Landesgerichte
       bestimmen und als oberster Dienstherr der Wahlämter die Landeswahlen
       verantworten. Als wäre das nicht genug, soll „der Landespräsident“ auch
       noch das Landesamt für Verfassungsschutz beaufsichtigen.
       
       Dieser Vorschlag verstößt gegen zentrale Verfassungsgrundsätze, die das
       Bundesverfassungsgericht neben der Achtung der gleichwertigen Menschenwürde
       als Kern der demokratischen Grundordnung betrachtet – nämlich gegen die
       Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung.
       
       Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont, dass grundsätzlich
       auch Formen unmittelbarer Demokratie mit dem Grundgesetz vereinbar wären –
       mit „direkter Demokratie“ hat der Vorschlag des „Bremer Landespräsidenten“
       jedoch nur auf dem Papier etwas zu tun. Demokratie erschöpft sich nicht
       darin, irgendwie, irgendjemanden zu wählen, sondern ist untrennbar mit
       rechtsstaatlichen Grundsätzen verbunden. So gewährleistet sie ein
       kompliziertes, stetig neu auszutarierendes System aus demokratischer
       Herrschaftslegitimation und gegenseitiger institutioneller Kontrolle –
       Checks and Balances. Diese Aufteilung der Gewalten greift das Konzept des
       „Landespräsidenten“ an, indem dieser direkten Zugriff auf die Judikative
       erhalten soll. Das Ergebnis wäre eine präsidial gleichgeschaltete Justiz,
       die mit rechtsstaatlicher Demokratie unvereinbar ist.
       
       In rechten Kreisen ist die Idee eines potenten „Wahlmonarchen“ nicht neu.
       Schon der Staatsrechtler und „Kronjurist“ des Dritten Reiches, Carl
       Schmitt, hatte so versucht, die Weimarer Republik weiter zu unterminieren.
       „Demokratie“ bedeutete für Schmitt vor allem die Abkehr vom Rechtsstaat.
       Dessen Institutionen seien der politischen Form „nicht wesentlich,
       vielleicht sogar fremd“. Auch in der Bundesrepublik hat die Rechte die Idee
       einer politischen Souveränität ohne Rechtsstaat nie aufgegeben. Es gehört
       zur politischen Identität der Neuen Rechten, sich als Vertretung einer
       schweigenden Mehrheit aufzuführen. Auch Herrscher autoritärer Staaten wie
       Russlands Putin, Ungarns Orbán oder der jüngst wieder gewählte türkische
       Präsident Erdoğan berufen sich allzu gerne auf ihren direkten Draht zum
       Volke und stellen sich als lupenreine Demokraten dar, während sie den
       Rechtsstaat schleifen.
       
       Der Rechtswissenschaftler Günter Frankenberg warnte daher 2019 vor der
       Gefahr autoritärer Präsidialsysteme. Autoritäre Politiker*innen
       setzten an die Stelle der rechtsstaatlich-demokratischen Verfahren die
       direkte Kommunikation mit dem „Volk“ und die illusionäre Gemeinschaft von
       Führer und Gefolgschaft. Sie lockerten so „unter der Hand“ ihre eigene
       Bindung an die Verfassung, auf die sie sich zugleich zur Legitimation ihrer
       Herrschaft offensiv berufen. Befreit von den Hindernissen lästiger
       Kontrolle vollziehe sich eine entformalisierte Machtausübung gleichsam auf
       „leisen Sohlen im Dunkel des autoritären Konstitutionalismus“, die sich
       zudem regelmäßig ein völkisches Kostüm anlege.
       
       Die Inszenierung des „Landespräsidenten“ als Ausdruck direkter Demokratie
       bedient sich aus diesen Skripten der autoritären Rechten. Ihnen ist
       Demokratie kein fragiles Gut, das gerade durch die politische
       Auseinandersetzung und die Teilung von Macht geprägt ist, sondern nur Folie
       für populistische Politik, die das „Volk“ als nationale
       Schicksalsgemeinschaft definiert, die eben nicht „multi-kulti“, sondern
       national-homogen zu verstehen sei. In dieser Frage sind die BiW zudem auch
       äußerst „unbremisch“ – denn das Demokratieprinzip der Bremischen Verfassung
       knüpft anders als das Grundgesetz ausdrücklich an die bremische
       „Bevölkerung“ an und nicht abstammungsförmig an einem wie auch immer
       homogen verstandenen „Volk“.
       
       Nein, die BiW sind keine demokratische Partei. Sie sind die Nutznießer des
       Versagens der AfD und deren Geschwister im Geiste. Nicht Bovenschultes
       Ausschluss der „Bürger in Wut“ aus dem Kreis der demokratischen Parteien
       sollte daher der Skandal sein – der Skandal ist die Normalisierung rechter
       Konzepte, die Grundlagen der Verfassung widersprechen.
       
       9 Jun 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fischer-Lescano
 (DIR) Tore Vetter
       
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