# taz.de -- 67. Eurovision Song Contest: Kalorische Lust und steile Nägel
       
       > Am Samstag ist wieder ESC. Wegen des Krieges allerdings nicht in der
       > Ukraine, sondern in Liverpool. Die 26 Finalist*innen und ihre
       > Prognosen im Porträt.
       
 (IMG) Bild: Alles außer Sieg wäre bestürzend: die schwedische Sängerin Loreen
       
       1 Österreich: Teya & Salena – Who The Hell Is Edgar? Zwei junge, toughe
       Chanteusen mit suggestiver Show zu elektrotrancigen Klängen. Platz 7.
       
       2 Portugal: Mimicat – Ai Coração. Oh Herz, ruft die Sängerin, und wer von
       ihr depressiv stimmenden Fado erwartet, wird enttäuscht. Dieses Lied
       verströmt Revueseligkeit mit einer Prise Traurigkeit. Platz 23.
       
       3 Schweiz: Remo Forrer – Watergun. Der Schweizer singt sein
       Wasserpistolenopus gut, bleibt ästhetisch aber etwas steril – dafür fällt
       er im abendlichen Rudel der Krachmacher bei diesem ESC gut auf. Platz 11.
       
       4 Polen: Blanka – Solo. Die Moves beim Refrain sind jetzt schon
       nachahmungswürdig. Der hoch ambitionierten Sängerin kann es gleichgültig
       sein, dass sie in ihrem Land nicht gerade angebetet wird. Platz 16.
       
       5 Serbien: Luke Black – Samo Mi Se Spava. Nein, wir werden nicht müde, ihn
       zu bestaunen. Ein absichtsvoll fahl, queer-lipglossy geschminkter Mann,
       eine Art Anti-Milošević. Ein eher unübliches, keineswegs krawalliges
       Liedlein. Platz 9.
       
       6 Frankreich: La Zarra – Évidemment. Gewiss die eleganteste Sängerin des
       Abends, Kanadierin von Herkunft, die von Offensichtlichkeiten singt, also
       von der Liebe, dem Weg dahin, dem Sehnen und Buhlen. Sympathische
       Performance mit einem Lied, das am besten als Elektro-Disco-Lounge
       verstanden werden kann. Platz 10.
       
       7 Zypern: Andrew Lambrou – Break A Broken Heart. Ein Schmachtfetzen, pompös
       zubereitet, der indes gut zum Thema der gebrochenen Herzen passt. Platz 15.
       
       8 Spanien: Blanca Paloma – Eaea. Fröhliche Elektro-Flamenco-Nummer, bei der
       die Sängerin auf wirklich sehr highen Heels sich die Seele aus dem
       schmalen Leib kreischen darf. Eine poetische Offenbarung insgesamt. Platz
       4.
       
       9 Schweden: Loreen – Tattoo. Die haushöchste Favoritin im Vorfeld eines ESC
       seit Cliff Richard und seinem „Congratulation“ vor 56 Jahren – als der
       Engländer doch nur Zweiter wurde. Die Schwedin mit den steilsten Nails des
       Abends siegte schon mit „Euphoria“ beim ESC 2012 in Baku. Mit ihrem
       diesjährigen Titel presst sie aus diesem Teebeutel einen zweiten Aufguss.
       Alles außer Sieg wäre bestürzend: Platz 1.
       
       10 Albanien: Albina & Familja Kelmendi – Duje. Kosovarische Familie,
       populär im früheren Kraftzentrum des europäischen Maoismus, freundliche
       Atmosphäre – und sie dürfen auf jede Menge albanische Diasporatelevoten
       bauen, trotzdem. Platz 23.
       
       11 Italien: Marco Mengoni – Due Vite. Stilistisch der ESC-Klassiker: Ein
       Mann, der in drei Minuten davon berichtet, wie zäh eine Liebesbeziehung
       sein kann, aber das interpretiert der San-Remo-Sieger (und ESC-Teilnehmer
       von 2013) mit Belcanto und anständig geschmettertem Schlussrefrain.
       Hoffentlich stört sich das Publikum nicht am flittrigen Auftrittsfummel.
       Platz 15.
       
       12 Estland: Alika – Bridges. Die Estin will Brücken bauen, und das tut sie
       mit diesem ins Tempostärkere aufgerüschten Act sehr gefällig. Ein Erfolg,
       überhaupt im Grand Final zu sein. Platz 24.
       
       13 Finnland: Käärijä – Cha Cha Cha. Biggest Show des Abends: Käärijä raved
       und moved über die Bühne, dass man auch seine Neigung zu kalorischer Lust
       erkennt. Ein Metal-Elektro-Cha-Cha-Cha über die Verheißung namens
       „Feierabend“. Nein, Peter Urban, es geht nicht um Trinkerei, sondern um die
       scharfe Kritik an saufend-aggressiven Heteromännern am Wochenende. Platz 3.
       
       14 Tschechien: Vesna – My Sister’s Crown. Sechs Frauen in altrosafarbenen
       Kostümen, in drei Sprachen singend, Ukrainisch, Bulgarisch und Tschechisch,
       haben diese Message: Alle Menschen, besonders Frauen, sollen solidarisch
       miteinander umgehen, gewaltfrei und gut etc. Platz 25.
       
       15 Australien: Voyager – Promise. Noch so eine Lärmmaschine an diesem
       Abend, aus Perth, Down Under. Zweifelsfrei als männlich gelesene Menschen
       mit perfektem Styling, wobei dies der erste ESC-Act everist, bei dem ein
       Auto als Deko auf der Bühne steht. Platz 3.
       
       16 Belgien: Gustaph – Because Of You. Ein Traum für dieses ältere Semester
       unter allen ESC-Finalisten wird wahr: Er hat mit dem leicht ins Nervöse
       changierenden Lied das Semifinale überstanden. Gute Chancen insgesamt, weil
       es anders als die anderen klingt: smart. Platz 10.
       
       17 Armenien: Brunette – Future Love. Die junge Frau hat ihre Prognose zu
       kommender Liebe selbst getextet und komponiert. Ihr Lied erweist sich als
       absolut polyglott, auf der Höhe von internationalem Berghain-Lounge-Niveau.
       Platz 8.
       
       18 Moldau: Pasha Parfeni – Soarele și Luna. Sonne & Mond, so diese folkige
       Nummer aus dem kleinen feinen Moldau bei Rumänien. Der Sänger ist
       ESC-erfahren: anmutige, im mittleren Tempo mit einigem Geflöte garnierte
       Tanznummer für alle Nichthipster. Platz 19.
       
       19 Ukraine: TVORCHI – Heart Of Steel. Andrij Huzuljak und Jeffery Augustus
       Kenny, ehemalige Pharmaziestudenten, lieben beide Rhythm ’n’ Blues und
       servieren hier, für ihr Land, das voriges Jahr den ESC gewann, die
       vielleicht melancholischste Nummer, tanzbar gleichfalls. Platz 2.
       
       20 Norwegen: Alessandra – Queen Of Kings. Diese wuchtige Sängerin, Spross
       einer italienisch-norwegischen Liebelei, singt chansonhafter, als das
       technoartige Ding bei allem Bass-Gebums nahelegt: von den Schwierigkeiten,
       als bisexuelles Wesen in konservativem Umfeld aufzuwachsen. Aber sie wird
       es schaffen. Platz 20.
       
       21 Deutschland: Lord Of The Lost – Blood & Glitter. Die Hamburger Jungs,
       grundsympathisch alle, werden das beste deutsche Resultat seit Michael
       Schulte 2018 (4. Platz) erreichen. Das fröhliche
       Glamrock-Metal-Devil-Red-Style-Stück handelt davon, dass das Leben jetzt
       ist, nicht im Jenseits. Platz 12.
       
       22 Litauen: Monika Linkyté – Stay. Mit ihr kommt ein wenig Gospel ins
       Soundspektrum dieses ESC. Klingt über manche Passagen wie aus einem
       Andrew-Lloyd-Webber-Musical: Opulente Stimme mit sehr feinen Choristinnen.
       Platz 19.
       
       23 Israel: Noa Kirel – Unicorn. 22 Jahre, ein Star in ihrem Land. Die
       athletisch anspruchsvollste Nummer des Abends ist das beste israelische
       Lied seit Netta Barzilais „Toy“ 2018. An Noa Kirels Lied hat auch Doron
       Medalie, Vater von „Toy“, mitgebastelt. Platz 5.
       
       24 Slowenien: Joker Out – Carpe Diem. Diese Indierockband ist das reinste
       Wunder: Ihre Posen, ihre Bewegungen, ihre Mimiken wirken charmant
       schülerhaft – womöglich ist das ihr Erfolgsrezept, um mit ihrem gediegenen
       Krach zu punkten. Platz 22.
       
       25 Kroatien: Let 3 – Mama ŠČ! Ein Protestlied, gut so. Gegen Putin, gegen
       alles Böse in der Welt, vor allem gegen den Krieg. Die Männer zeigen ihre
       Unterhosen und Beine. Sehr laut, sehr fröhlich – eine balkanesische
       Charmanzpackung, prima. Platz 14.
       
       26 United Kingdom: Mae Muller – I Wrote A Song. Die Londonerin mit der
       durchdringenden Stimme sagt, dass ihr das Schreiben eines Lieds geholfen
       habe, eine Trennung zu verarbeiten. Okayyyy: Platz 17.
       
       12 May 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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