# taz.de -- Klimaschutz durchsetzen: Klagen statt kleben
       
       > Besetzen, blockieren, vor Gericht gehen oder Gesetzespakete schreiben –
       > was bringt am meisten, wenn man Ernst machen will?
       
 (IMG) Bild: Polizei und Protestierende am Tagebau Garzweiler
       
       Von [1][MARTIN UNFRIED]
       
       Gern beschworen, doch bis heute schwer vernachlässigt ist die
       Energieeffizienz. Totales Fremdwort. Deshalb fahren auch viele noch mit
       Benzinschluckern und heizen zu Hause mit veralteten fossilen
       Wärmeerzeugern. Das nennt man Energieverschwendung und es ist klar, dass
       wir uns diese im Kampf gegen die Klimakatastrophe nicht mehr leisten
       können. Gleiches sollte eigentlich auch bei den gesellschaftlichen
       Anstrengungen gelten. Wie hoch ist der Wirkungsgrad einer bestimmten
       Aktionsform angesichts des knapper werdenden Zeitbudgets? Was bringt eine
       weitere Demo? Was eine Blockade oder Besetzung?
       
       Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat berechnet: Das noch verfügbare
       faire CO2-Budget Deutschlands für einen 1,5-Grad-Celsius-Pfad läuft 2031
       ab, das für 1,75 Grad 2040. Auch diejenigen, die sich gesellschaftlich für
       eine konsequente Klimapolitik einsetzen, sollten sich deshalb genau
       überlegen, welche Aktionsformen heute und in den nächsten Jahren die größte
       Wirkung erzielen könnten. Gerade eine Klimabewegung kann es sich nicht
       leisten, viel Energie in Protestaktionen zu stecken, die wenig oder gar
       nichts bringen oder gar kontraproduktiv sind.
       
       Merkwürdig ist, dass es dazu bisher keine wirklich ernsthafte Debatte gibt.
       Beispiel Lützerath: Demo, Besetzung, Räumung und Auseinandersetzungen mit
       der Polizei erinnern an die 1980er-Jahre. Beide Seiten werfen sich
       gegenseitig Gewalt vor. Bei tagesschau.de wird gemeldet, dass 150
       Strafverfahren wegen Widerstands gegen Polizeibeamte, Körperverletzung und
       Landfriedensbruchs eingeleitet worden sind. Die Demonstrantïnnen
       andererseits sprechen von schweren Verletzungen durch Pfeffersprays,
       Schlagstock- und Faustangriffe. Dazu kommen Radikalisierungsvorwürfe,
       Warnung vor Unterwanderung durch Linksextreme, wogegen Luisa Neubauer sich
       über Polizeigewalt und Kriminalisierung empört.
       
       Doch wie steht es um die Wirksamkeit dieser Aktionsform? Sie bringt
       Aufmerksamkeit, ja, aber nicht wirklich eine neue, hilfreiche Debatte.
       Problematisch ist besonders der Retro-Rückfall in die 80er-Jahre. Wütende
       Besetzer gegen die Staatsgewalt. Zynisch könnte man sagen: alles nach dem
       Standard-Drehbuch der deutschen Anti-AKW-Proteste plus Widerstandsrhetorik.
       Und noch zynischer: Der Zweck der Lützerath-Besetzung war die Produktion
       genau jener Bilder der Gewalt. Der Staat (die Polizei) haut auf den
       Klimaschutz. Das ist nicht nur problematisch, weil die Aktionsform die
       vielen Verletzungen von Polizei und Klima-Aktivistïnnen miteinpreist unter
       »politische Kosten«. Vor allem ist die Haltung problematisch: Hier kämpft
       eine Minderheit verzweifelt für radikalen Klimaschutz.
       
       ## Klimaschützerïnnen in Position der Stärke
       
       Werden dadurch gesellschaftliche und politische Mehrheiten gestärkt oder
       wahrscheinlicher? Werden sie nicht, weil die Haltung und die Erzählung
       nicht stimmen. Klimaschützerïnnen in Deutschland sind eben nicht im
       Widerstand, sondern in einer eigentlichen Position der Stärke. Sie
       vertreten die Verfassung (Klimaurteil), »Law and Order« (Klimagesetz) und
       Zielvorstellungen wie das Pariser Abkommen, die bereits breite
       parlamentarische und gesellschaftliche Mehrheiten hinter sich haben.
       
       Das ist die Haltung, mit der Klimaklagen geführt werden. In diesem Sinne
       war das Bundesverfassungsgerichtsurteil bisher der größte Sieg der
       Klimabewegung in Deutschland. Es führte unmittelbar zu ambitionierteren
       Zielen und zur Anpassung der Gesetzgebung, was wohl ein wesentlicher
       Indikator der Effizienz von Klima-Aktivismus ist. Hinter Klimaklagen steht
       eine ganz andere und zutreffendere Erzählung als in Lützerath: Es gibt eine
       Minderheit in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die konsequenten
       Klimaschutz immer noch blockiert, und zwar gegen geltendes Recht und die
       gesellschaftliche Mehrheit.
       
       Da ist beispielsweise der Verkehrsminister, der kein Sofortprogramm vorlegt
       und damit gegen das Klimagesetz verstößt. Der BUND hat gerade wieder eine
       Klage eingereicht. Ungünstig ist nun aber, dass vor den Aktionen der
       Letzten Generation und Lützerath die Blockierer in der Regierung noch
       heftig in der Defensive waren, weil der eigene Klimasachverständigenrat
       beispielsweise dem Verkehrsminister Untätigkeit attestierte. Nach Lützerath
       ist dieser plötzlich aus der Schusslinie und kann die Gefahr der
       »Radikalisierung« beschwören.
       
       Dabei rückt in den Hintergrund, dass es neben den Klimaklagen auch weitere
       innovative und selbstbewusste Aktionsformen gibt. Die NGO GermanZero hat
       mit Expertïnnen ein komplettes 1,5-Grad-Klimaschutz-Gesetzespaket
       entwickelt mit dem Ziel einer Klimaneutralität im Jahr 2035. Das Dokument
       hat 1.500 Seiten (!) und legt für sämtlichen Sektoren konkrete
       Gesetzesvorschläge vor. Der selbstbewusste Anspruch ist, die Politik aktiv
       durch Know-how zu unterstützen. Wirkt das?
       
       ## Juristische Mittel für mehr Klimaschutz
       
       Videogespräch mit Lea Nesselhauf, die seit 2020 für GermanZero Klimapolitik
       macht. Die Juristin gehört mit 26 Jahren zur jüngeren Generation von
       Klima-Aktivistïnnen und war an den Kapiteln Verkehr, Landwirtschaft und
       Emissionshandel des Gesetzpakets beteiligt. Sie sieht ihre Rolle im Moment
       nicht auf der Straße oder im Braunkohlegebiet, sondern im Bereich der
       Politikberatung und der rechtlichen Dimension des Klimaschutzes. »Ich
       denke, dass es wichtig ist, auch juristische Mittel für mehr Klimaschutz
       einzusetzen. Wir brauchen sie für systemische Veränderungen.« Lea
       Nesselhauf setzt insbesondere darauf, die Regierung an ihre gesetzlichen
       und verfassungsmäßigen Verpflichtungen zu erinnern. Die Medien täten sich
       allerdings schwer mit konkreten Gesetzesvorschlägen. »Es geht häufig um
       sehr komplexe Fragen, die zwar konkrete Auswirkungen auf unseren Alltag
       haben, aber Expertenwissen voraussetzen und aufwendig aufzubereiten sind.«
       Verständlich: Welche Talkshow möchte gern die Einzelheiten eines komplexen
       Gesetzespaketes diskutieren? Der Spin ist bei einer Autofahrer- oder
       Flughafen-Blockade einfacher zu finden. Lea Nesselhauf sieht diese auch
       positiv: »Ich verstehe die Motivation, die hinter den Blockade-Aktionen
       steht. Die Regierung muss endlich die eigenen Verpflichtungen umsetzen.
       Wobei die Letzte Generation angesichts der großen Dimension der Klimakrise,
       auf die sie zu Recht hinweist, inhaltlich sogar zu geringe Forderungen
       stellt.«
       
       Zum Vergleich: Die Letzte Generation ist im Widerstand, bis das Tempolimit
       kommt, das Verkehrspaket von GermanZero formuliert detaillierte Gesetze für
       eine umfassende Verkehrswende. Doch die fehlende Talkshow-Tauglichkeit
       spricht nicht gegen die Aktionsform. GermanZero hat dazu ergänzende Formate
       entwickelt: Gespräche mit Abgeordneten und Ministerien. Erstere haben sich
       laut Nesselhauf als nicht immer zielführend gezeigt. »Es ist auch mit
       Abgeordneten, die ihre Expertise in anderen Bereichen wie zum Beispiel
       Gesundheit oder Finanzen haben, manchmal nicht so einfach, über konkrete
       Inhalte eines umfassenden Klimagesetzespaketes zu sprechen.«
       
       Deshalb werden die begrenzten Ressourcen jetzt auch in Gespräche mit
       Ministerien investiert. Dort sitze viel Know-how, wenn es um die Feinheiten
       von Gesetzesvorschlägen gehe. »Das große Problem bleibt, dass die
       Klimaschutzmaßnahmen noch nicht an der Einhaltung des für Deutschland
       verbleibenden Treibhausgas-Budgets ausgerichtet sind, obwohl das
       Bundesverfassungsgericht das gefordert hat«, sagt Nesselhauf. »Tatsächlich
       versucht die FDP gerade sogar, die gesetzlichen Verpflichtungen zur
       Einhaltung eines Budgets wieder abzuschwächen, weil diese ihnen vor allem
       im Verkehrsbereich ein Dorn im Auge sind.«
       
       Die Ausarbeitung eines gesamten Gesetzespaketes war als Aktionsform bereits
       sehr erfolgreich. Der Berliner Aktivist Heinrich Strößenreuther hatte mit
       der Initiative Volksentscheid Fahrrad vor ein paar Jahren mit Expertïnnen
       Deutschlands erstes Radverkehrsgesetz geschrieben, das später zum Berliner
       Mobilitätsgesetz geführt hatte. Nicht überraschend, dass Strößenreuther
       auch einer der Gründer von GermanZero war.
       
       ## Ohne gesellschaftliche Akzeptanz geht es nicht
       
       Allerdings fehlt dem Klimagesetzespaket ein wesentliches Druckmittel:
       Anders als im Land Berlin kann die Initiative auf Bundesebene keinen
       Volksentscheid oder ein Volksbegehren anzetteln. Erst als nämlich die
       Politik in Berlin einen Volksentscheid befürchten musste, entschloss man
       sich zur Verabschiedung des eigenen Gesetzes. Dennoch sind die Formate von
       GermanZero innovativ. Am 23. April, etwa, ist »Tag der Klimademokratie«, wo
       Leute ins Gespräch mit Bundestagsabgeordneten kommen können. Und unter dem
       Begriff »LocalZero« unterstützt GermanZero lokale Teams, die für ihre
       jeweilige Kommune Konzepte zur Klimaneutralität entwickeln. Hier gehören
       Initiativen für kommunale Volksentscheide zum Werkzeugkasten, weil sie dort
       eben möglich sind.
       
       Der große Vorteil von Klimaklagen, Gesetzesinitiativen und
       Volksentscheiden: Sie stärken den Klimaschutz im Sinne seiner gesetzlichen
       Voraussetzungen und der rechtstaatlichen Akzeptanz. Und beschäftigen sich
       konkret mit der alles entscheidenden Frage: Wie gewinnt man
       gesellschaftliche und politische Mehrheiten? Das klingt in den Ohren der
       Baumhausbesetzer in Lützerath womöglich zu wenig nach Widerstand. Doch
       Klima-Aktivismus im Jahr 2023, das ist die zentrale These, ist wesentlich
       konsistenter, wenn er sich für den Rechtsstaat starkmacht, statt auf die
       Regelverletzung zu setzen. Daher sind die unterschiedlichen Aktionsformen
       auch nicht wirklich kompatibel, sondern widersprechen sich.
       
       Natürlich könnte man sagen, Klimaklagen, Gesetzespakete, Blockaden und
       Besetzungen ergänzen sich. Und einige müssen sich halt die Hände klebrig
       machen. Das Problem liegt allerdings in den Anforderungen eines wirklich
       konsequenten Klimaschutzes: Wer Blockaden und Besetzungen als legitimes
       Mittel der eigenen Strategie verfolgt, dem fehlen die Argumente, wenn
       andere Leute auf die Idee kommen sollten, aus einer selbst definierten
       »Notlage« heraus in der nahen Zukunft eine Windpark-Baustelle zu
       blockieren. Oder mit Traktoren die Autobahn zu blockieren, wie das
       Landwirte aktuell in den Niederlanden im Kampf gegen strengere
       Stickstoff-Grenzwerte tun. Die nennen das übrigens auch »ziviler
       Widerstand«.
       
       Hier kommt eine unangenehme Wahrheit: Die gesellschaftliche Akzeptanz von
       politischen Entscheidungen und Baugenehmigungen ist für eine künftige
       radikale Energiewende zentral. Und da hilft kein Baumhaus.
       
       20 Apr 2023
       
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