# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Aleksandar Zivanovic: Blut und Palmen oder ganz normale Ostern am Leo
       
       Leopoldplatz. Ostersamstag, die Sonne scheint. Drei Personen umzingeln
       einen jungen Mann neben der Neuen Nazarethkirche. Erst schubsen sie ihn,
       dann schlagen sie zu. Passanten auf der anderen Straßenseite bekommen das
       mit, „Hallo! Polizei!“, rufen sie laut. Die Schläger lassen den jungen Mann
       los und laufen davon. Der Geschlagene hält sich den Bauch, hält sich die
       Schulter, fängt an, in seinen Taschen zu kramen, dann flucht er irgendwas
       und sucht schließlich auf allen vieren den Boden ab. Die Passanten gehen
       weiter.
       
       Längst nicht alle schreien auf, wenn es in der Mitte des Leopoldplatzes zu
       einer Schlägerei kommt. Vielleicht weil das hier einfach zu oft passiert.
       Zwischen der Neuen Nazarethkirche und der Alten Nazarethkirche treffen sich
       täglich zwischen 20 und 50 Drogenabhängige – egal zu welcher Tageszeit, bei
       Sonne oder Hagel – hinter halbhohen Mauern, in einem halb überdachten
       Aufenthaltsbereich, den sich die Stadtplanung vor Jahren an dieser Stelle
       für die Trinker vom Leopoldplatz ausgedacht hat. Doch jetzt wird hier nicht
       mehr getrunken, hier dreht sich jetzt alles um Crack und Heroin.
       
       Ich stelle mir die Parkplanungskommission von damals vor, mit dem Stift in
       der Hand zeichnen sie, wie der Leopoldplatz aussehen soll: Hier kommt ein
       Spielplatz hin, dort sitzen die Eltern. Hier – ein wenig abgeschottet –
       machen wir einen Aufenthaltsbereich für die Trinker, die sollen nicht
       verdrängt werden. Hier kommt eine öffentliche Toilette hin, dort eine
       Tischtennisplatte. Und hier machen wir Blumenbeete und beziehen die
       Anwohner mit ein. Und auf der Wiese spielen irgendwann gut gelaunte
       Schülerinnen und Schüler barfuß Federball.
       
       Doch dann kam der Faktor Mensch hinzu und die harten Drogen. Alufolie und
       Spritzen liegen jetzt auch außerhalb des Aufenthaltsbereichs. Mir eilt ein
       junger Mensch mit blutverschmiertem Gesicht entgegen. Er betrachtet sich im
       Außenspiegel einer Vespa, wischt sich über die Wunde an der Augenbraue,
       zündet sich eine Zigarette an und geht weiter.
       
       An der Ecke Müllerstraße/Schulstraße stehen mehrere Wannen der Berliner
       Polizei, aber mit Drogen hat das nichts zu tun: Gegenüber vom Leopoldplatz,
       am Elise- und Otto-Hampel-Platz, findet der Ostermarsch statt. „Wir sind
       Rentner mit Friedenstaube“, erklärt ein Demonstrant fröhlich einem Jungen,
       der von seinen Eltern wissen will, wer die Leute mit der Trillerpfeife
       sind. Natürlich gibt es auch diejenigen, die die Demo-Leute beschimpfen:
       „Ihr kriecht dem Putin in den Arsch“. Nach den Reden tanzen ein paar
       Übriggebliebene der Demo zu den Klängen von Falco und Ofra Haza für den
       Frieden. Ein paar Polizisten setzen ihre Sonnenbrillen auf, sie scheinen
       heute nicht viel zu tun zu haben.
       
       Auf einer Bank neben mir unterhalten sich zwei junge Frauen. „Was? Das habe
       ich zu dir gesagt? Daran kann ich mich nicht erinnern. Wie peinlich. Bitte
       entschuldige!“ „Schon vergessen. Themawechsel: Wie wäre es“, sagt die
       andere, „wenn auf dem Leopoldplatz eine riesige Palme stehen würde, größer
       als die Kirche“. Vielleicht geschieht ja noch ein Wunder.
       
       Am Ostersonntag kriecht am Nachmittag die Sonne hervor. Profi-Bruncher
       treffen sich im Oeuf am Nettelbeckplatz. Einige machen Fotos von ihrem
       Essen, #oeufberlin. Ein gut gelaunter Rentner kommt mit dem Fahrrad an,
       setzt sich an einen Tisch im Außenbereich und bestellt ein Alkoholfreies
       und einen Aschenbecher. „Frohe Ostern“, sagt er laut – mehr zu sich selbst
       als zu anderen – und zündet sich eine dicke, fette Zigarre an. Der Rauch
       weht den Sitznachbarn, die gerade eben die „vegane Option“ bestellt haben,
       das Lächeln aus dem Gesicht.
       
       11 Apr 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Aleksandar Zivanovic
       
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