# taz.de -- Chinas Nationaler Volkskongress: Xi leitet seine 3. Amtszeit ein​
       
       > Ab Sonntag tagt Chinas Scheinparlament. Staats- und Parteichef Xi Jinping
       > dürfte dabei den Einfluss der Kommunistischen Partei weiter stärken.​
       
 (IMG) Bild: Der Nationale Volkskongress tagt jährlich in der Großen Halle des Volkes
       
       PEKING taz | [1][Wie jedes Jahr] bereitet sich Chinas Hauptstadt in den
       ersten Märztagen auf den Volkskongress vor: Zehntausende Mitglieder der
       Nachbarschaftskomitees zeigen demonstrative Präsenz auf den Straßen. Die
       Polizei hat an den Brücken der Innenstadt kleine Wachposten unter
       Zeltplanen errichtet, und die Internetzensoren legen Sonderschichten ein.
       
       Der Nationale Volkskongress, die alljährliche Tagung des Scheinparlaments,
       ist ein ritualisiertes Polit-Ereignis von immenser Dimension: Knapp 3.000
       Abgeordnete aus allen Provinzen reisen für die zweiwöchige Veranstaltung
       nach Peking an. Gemeinsam mit ihren Sekretären und den Mitgliedern der
       gleichzeitig stattfindenden Konsultativkonferenz dürften sich dann deutlich
       über zehntausend Besucher im Zentrum der Hauptstadt befinden.
       
       Die Gesetze, die sie während des Kongresses abnicken werden, liefern
       Beobachtern Einblicke in Chinas politische und wirtschaftliche Stoßrichtung
       der nächsten Monate. Und dieses Jahr ist zudem ein ganz besonderes: Denn Xi
       Jinping wird seine beschlossene dritte Amtszeit nun formell beginnen – und
       dabei seine neue Führungsriege loyaler Ja-Sager vorstellen.
       
       Besondere Aufmerksamkeit gilt der neuen [2][Nummer zwei des Landes: Li
       Qiang], Parteisekretär von Shanghai, dürfte als künftiger Premierminister
       die wirtschaftlichen Geschicke leiten. Der 63-Jährige gilt zwar als
       unternehmerfreundlich und pragmatisch, doch hat er auch den katastrophalen
       zweimonatigen Lockdown in der Hafenmetropole vor genau einem Jahr zu
       verantworten.
       
       Wachstumgsziel von 5 Prozent erwartet 
       
       Eine Kennzahl, die gleich am ersten Tag des Kongresses ausgegeben wird, ist
       das jährliche Wachstumsziel. Im dritten und [3][finalen Jahr der „Null
       Covid“]-Politik konnte es erstmals seit Langem nicht erreicht werden. Nach
       der abrupten Corona-Öffnung im Dezember rechnen Experten damit, dass die
       Führung für 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von etwas über fünf
       Prozent ausgeben wird.
       
       „Das kann sich zwar durchaus sehen lassen, sollte aber im Grunde leicht zu
       erreichen sein“, sagt Trey McArver vom Analysehaus Trivium China. Die
       Botschaft sei: Man wolle zwar wieder zu solidem Wachstum zurückkehren, den
       Druck auf die Wirtschaft jedoch nicht allzu sehr forcieren.
       
       Die Erholung läuft nach zunächst anfänglichem Zögern gut an. Die aktuellen
       Daten haben sogar sämtliche Erwartungen übertroffen: Laut dem staatlichen
       Einkaufsmanagerindex ist das produzierende Gewerbe im Februar so rasant
       gewachsen wie seit einer Dekade nicht mehr. Auch die Exporte haben erstmals
       seit zwei Jahren wieder zugelegt.
       
       Trotzdem sind die nachhaltigen Aussichten eher trübe: Die Immobilienkrise
       ist weiter nicht gelöst, die geopolitischen Spannungen mit den USA nehmen
       zu, und über dem langfristigen Aufstieg der Volksrepublik kreist bereits
       das Damoklesschwert des demografischen Wandels.
       
       Autoritäre Herrschaft vs. Marktwirtschaft 
       
       Von daher sind gemessen am derzeitigen Entwicklungsstadium fünf Prozent
       Wachstum für China eigentlich zu wenig, wenn die Voksrepublik zu den
       führenden Industrienationen aufschließen möchte.
       
       Auch zeigen sich immer offener die Grenzen eines Marktes, der von einer
       zunehmend autoritären Partei überwacht wird: Das Vertrauen internationaler
       Unternehmen wurde durch die dogmatischen Corona-Lockdowns insbesondere des
       Vorjahres angekratzt. Die heimischen Tech-Konzerne wurden durch politisch
       motivierte Regulierungskampagnen an die Kandarre genommen.
       
       Erst Mitte Februar wurde einer der einflussreichsten Investmentbanker des
       Landes „verschwunden“. Über mehrere Wochen konnte Bao Fan, Gründer von
       China Renaissance, nicht einmal von seinem Firmenvorstand kontaktiert
       werden.
       
       Mittlerweile heißt es aus anonymen Kreisen, dass der 52-Jährige wohl wegen
       eines Korruptionsskandals von den Sicherheitsbehörden festgehalten wird –
       entweder als Informant oder als Beschuldigter. Dass in der zweitgrößten
       Volkswirtschaft der Welt nach wie vor regelmäßig Chefs großer Unternehmen
       ohne rechtsstaatliche Grundlage verschwinden können, ist mit ein Grund
       dafür, warum ein Großteil der wirtschaftlichen Elite einen ausländischen
       Reisepass besitzt.
       
       ## Klare Absage an „falsche westliche Konzepte“
       
       Jack Ma, Chinas wohl bekanntester und einst reichster Unternehmer, lebt
       laut Medienberichten inzwischen in Japan, nachdem er sich in seiner Heimat
       in einer provokanten Rede mit dem staatlichen Bankensektor angelegt hatte.
       
       Wer die jüngsten Signale aufmerksam verfolgt hat, wird keinen Zweifel daran
       hegen, dass Xi Jinping seinen Kurs der politischen Kontrolle weiter
       fortsetzen wird: Höchstwahrscheinlich wird der mächtigste Staatschef seit
       Mao Tsetung die ideologische Lehre noch tiefer in die Verfassung schreiben,
       den Finanzsektor umstrukturieren und den Einfluss der Partei auch innerhalb
       der Privatwirtschaft ausbauen.
       
       Erst Ende Februar gab der Staatsrat gemeinsam mit dem KP-Zentralkomitee der
       KP eine Direktive zur „juristischen Bildung und Theorieforschung“ heraus,
       die sich an Jura-Professoren wie Wissenschaftler richtet. Darin wird zu
       „entschlossener Opposition und Boykott“ von „falschen westlichen Konzepten“
       aufgerufen wie etwa „Gewaltenteilung“, „Konstitutionalismus“ und
       „Unabhängigkeit der Justiz.
       
       „Denn diese Prinzipien sind eine direkte Herausforderung für die
       Parteikontrolle“, kommentiert James M. Zimmerman, ein seit Jahrzehnten in
       Peking ansässiger Anwalt, auf Twitter.
       
       ## Politelite schirmt sich vor kritischen Fragen ab
       
       Dieser Tage lässt sich leicht vergessen, dass sich Chinas Politapparat noch
       vor nicht allzu langer Zeit deutlich pluralistischer und liberaler gab als
       unter Xi. Der Volkskongress hat zwar noch nie einen Vorschlag der Regierung
       abgelehnt, doch Ergebnisse von bis zu 100 Prozent Zustimmung waren nicht
       immer die Norm.
       
       Auch dürfte es damit vorbei sein, dass sich Korrespondenten auf dem Gelände
       des Kongresses bewegen und Abgeordnete auf ihrem Weg in die Große Halle des
       Volkes auch sponton ansprechen können. Wer als Medienvertreter auf der
       Zuschauertribüne Platz nehmen möchte, muss sich schon am Vortag in
       Quarantäne begeben. Wieder bietet die in China offiziell „besiegte“
       Corona-Pandemie einen bequemen Vorwand, um die politische Elite vor
       kritischen Fragen abzuschirmen.
       
       4 Mar 2023
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Fabian Kretschmer
       
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