# taz.de -- Ausgehen und rumstehen von Aleksandar Zivanovic: Die Pforte des Möglichen
       
       Vor Kurzem war ich im Café Buchhandlung in Mitte. Dort gab es ein Konzert
       der Berliner Band Kajbo. Auf der kleinen Bühne spielte das Duo eine Art
       Industrial-Disco-DaDa-Punk. Es ist immer sehr charmant, wenn Boris Zujko,
       Sänger und Komponist der Band, das Publikum mit seinem Belgrader Akzent
       anspricht: „Mein lieber Präsident, ich hab noch ein paar Cent, ansonsten
       alles weg. Mein lieber Präsident, siehst du, dass alles brennt? Mein lieber
       Präsident, du lebst in Disneyland!“ Man weiß nicht, meint er jetzt
       Steinmeier, Vučić, Putin, Trump oder gleich alle Politiker? In der Kneipe
       waren einige, die die Lieder von Kajbo schon kannten und mitsangen. Da
       einige Lieder sehr eingängig sind, sangen nach einer Weile aber auch
       diejenigen mit, die die Lieder zum ersten Mal gehört hatten – und das muss
       man erst mal hinkriegen!
       
       Spätestens bei dem Lied „Alles kaputt!“ sah ich, wie beispielsweise meine
       Sitznachbarin, die sich nach eigener Aussage zufällig in die Kneipe verirrt
       hatte, ganz allein unterwegs war und eigentlich gar nicht in Kneipen gehe,
       mit einem Grinsen im Gesicht „Kaputt“ mitgrölte: „Zähne kaputt. Beziehungen
       kaputt. Klima kaputt, Pipeline kaputt. Alles kaputt!“ Offenbar bereitet es
       zurzeit vielen Menschen großen Spaß, das Wort „kaputt“ zu brüllen, meine
       Sitznachbarin wurde zum Kajbo-Fan.
       
       In der Kunstgalerie „Schau Fenster“ in Kreuzberg findet zurzeit die von
       Thomas Mahmoud kuratierte Gruppenausstellung „Not Now“ statt. Zu sehen gibt
       es Fotoarbeiten von Lena Kunz, William Minke und Paulo Da Silva. Die
       Ausstellung zeigt groß- und kleinformatige Arbeiten, darunter auch einige
       Fotos, die den im letzten Jahr verstorbenen Regisseur Klaus Lemke zeigen.
       
       Und wie in so manchem seiner Filme ging es auch bei der Eröffnungsfeier zu:
       Viele Leute hatten sich herausgeputzt und ihre Kostüme angezogen. Der eine
       trug einen Hut mit Hörnern, die andere ein Kostüm aus den 1920er Jahren. Es
       gab Leute, die toll und wild aussahen, Styler und Spießer, die im Punkstil
       herumliefen und umgekehrt. Es waren Schauspieler da, die man aus Serien
       oder von der Volksbühne kennt. Es wurde viel diskutiert über Dinge, die
       gerade aus dem Ruder laufen, über Heizkosten, den Krieg in der Ukraine,
       über Misstrauen gegen die Technologie, über die Liebe, Wunder und
       Lottogewinne.
       
       Aber es wurde auch getanzt: Gina D’Orio legte auf, von Charles Mingus bis
       zu Straßenjungs, eine wilde und ganz andere Mischung, die genau zur
       Ausstellung passte. Draußen auf der Straße blieben immer wieder Leute vor
       der Galerie stehen, schauten hinein, beobachteten das Geschehen im „Schau
       Fenster“, so als wäre auch das Teil der Ausstellung. Irgendwann ging das
       grelle Licht aus, die Party war zu Ende.
       
       Im „Zum kleinen Moritz“ am Moritzplatz aber brannte noch Licht, die Jukebox
       lief auf Hochtouren, Guns N' Roses, Falco, Prince. Hinter dem Tresen stand
       ein einziger Barkeeper, er bediente mit Schnelligkeit, Präzision und der
       nötigen Geduld mehr als 50 Leute, die hier alle auf einen letzten Absacker
       vorbeikamen. Neben mir sagte einer laut: „Nichts ist unveränderlich!“
       
       Er spielte mit seinen Kumpels Dart. „Ich muss nur die verdammte Mitte
       treffen.“ Das ist die Pforte des Möglichen. Aber er verfehlte das Brett.
       
       31 Jan 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Aleksandar Zivanovic
       
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