# taz.de -- Türkische Filmpolitik: Gefördert wird, was gefällt
       
       > Erst förderte der türkische Staat Emin Alpers neuen Film „Burning Days“.
       > Jetzt fordert er das Geld zurück. Im Film geht es um Homophobie.
       
 (IMG) Bild: Die Schauspieler Selahattin Paşalı und Ekin Koç in „Burning Days“
       
       Der türkische Regisseur Emin Alper ist zurzeit einer der erfolgreichsten
       Filmemacher seines Landes, seine Werke wie „Eine Geschichte von drei
       Schwestern“ („Kız Kardeşler“, 2019) feiern auf internationalen Festivals
       Premiere und werden mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Sein
       [1][neuester Film, „Kurak Günler“] („Burning Days“), lief zuerst auf den
       [2][Filmfestspielen von Cannes und wurde dort für den Filmpreis] Queer Palm
       nominiert und mehrfach ausgezeichnet. Doch wenige Tage vor dem Kinostart in
       der Türkei gaben Produzent Nadir Öperli und Emin Alper in einer persönlich
       unterzeichneten Erklärung bekannt, dass das türkische Kulturministerium die
       finanzielle Unterstützung, die sie für den Film erhalten hatten, inklusive
       Zinsen zurückgefordert hat.
       
       Durch eine Satzungsänderung hatte das Ministerium im Jahr 2019 dafür
       gesorgt, dass Änderungen im Drehbuch von geförderten Projekten von der
       Zustimmung des Förderausschusses oder des Ministers abhängig sind. Alpers
       Film „Kurak Günler“ ist der erste Spielfilm, bei dem dieser ministerielle
       Beschluss angewendet wurde und eine Rückzahlung der Förderung verlangt
       wird.
       
       Emin Alper behauptet, alle Änderungen am Drehbuch des Films, für den 2018
       eine Förderung beantragt und 2019 bewilligt wurde, seien der
       Generaldirektion für Film mitgeteilt worden. Dass dieses Gremium 20 Monate
       nach der Einreichung des Drehbuchs nun die Rückzahlung von geschätzten
       950.000 Lira (etwa 47.000 Euro) fordere, gehe auf das Konto der
       „lügnerischen und verleumderischen Medienkampagne“, die im Anschluss an die
       Filmfestspiele von Cannes und das Filmfestival in Antalya angelaufen sei.
       
       Um welche konkreten Änderungen es geht, ist nicht bekannt. Vermutet wird
       jedoch, dass das Thema des Films und seine Botschaft Grund für die
       Entscheidung der Generaldirektion war: „Kurak Günler“ handelt von den
       Auseinandersetzungen zwischen dem jungen Staatsanwalt Emre und dem
       korrupten Bürgermeister Selim, dem Anwaltssohn Şahin sowie dem
       Lokaljournalisten Murat und den Bewohner:innen der Kleinstadt, in der
       der Film spielt. Korruption, Verbrechen, Rassismus, Gewalt, Homophobie,
       Missbrauch und andere Missstände, die vertuscht werden, werden
       thematisiert. Regisseur Alper erklärte öffentlich, dass der Ausgangspunkt
       des Films „der Zustand des Landes und der ganzen Welt“ gewesen sei.
       
       Während die Nominierung von „Kurak Günler“ für die Queer Palm in der
       LGBTIQ*-Community in der Türkei gefeiert wurde, erschienen insbesondere in
       regierungsnahen Medien zunehmend Berichte darüber, dass Alper das Drehbuch
       geändert und so das Ministerium „getäuscht“ habe, dass es sich bei dem Film
       um ein „LGBTIQ*-Projekt“ handelt, das die Türkei als homophobes Land
       darstelle.
       
       In einem Interview mit dem Magazin Variety erläuterte Alper, warum er
       Homophobie thematisiert habe: „In den letzten Jahren ist Homophobie zu
       einer Art Staatsräson geworden. Was mich eigentlich daran interessiert,
       ist, dass es sich dabei nicht um eine lokale Erscheinung handelt, sondern
       um ein globales Phänomen. Denken Sie an die Geschehnisse in Russland oder
       Ungarn. Das ist ein Teil der neopopulistischen Ära, in der wir leben.“
       
       Die Hauptrollen von „Kurak Günler“ sind mit den erfolgreichen türkischen
       Nachwuchsschauspielern Selahattin Paşalı und Ekin Koç besetzt und eine der
       Co-Produzent:innen ist Çiğdem Mater, die infolge der Gezi-Proteste im Jahr
       2013 gegen die Politik der Regierung Erdoğans zu einer Haftstrafe
       verurteilt wurde. Nach der Vorführung des Films auf den 75. Filmfestspielen
       von Cannes sagte Alper: „Ich möchte Çiğdem Mater danken. Sie kann heute
       nicht bei uns sein, weil sie aufgrund eines lächerlichen Gerichtsprozesses
       im Gefängnis sitzt. Auch wenn sie heute nicht bei uns sein kann, sind wir
       in Gedanken und im Herzen bei ihr.“
       
       Produzent und Regisseur haben das Publikum nun dazu eingeladen, „angesichts
       der Schikanen“ ein Kinoticket zu kaufen und den Film anzusehen, wenn sie
       das Filmteam unterstützen wollen. Viele türkische Cineast:innen,
       unabhängige Filmemacher:innen, Regisseur:innen und
       Drehbuchautor:innen haben sich dem Aufruf angeschlossen. Sie sind der
       Meinung, dass sei die beste Reaktion auf die Entscheidung des Ministeriums,
       die sie als offene Zensur werten.
       
       Außerhalb der Filmbranche stößt der Film aber auch auf Kritik. Für
       Konservative ist allein die Tatsache, dass der Film eine Kritik am
       politischen System der Türkei und an der Homophobie darstellt, ein Grund,
       ihn abzulehnen. Und auch in queeren Kreisen wird der Film nicht nur
       begeistert aufgenommen. Kritisiert wird, dass sich der Regisseur und das
       Filmteam dem Thema Homophobie nicht mutig genug genähert und die Belange
       von LGBTIQ* im Film nicht deutlich genug geäußert hätten. Einer der beiden
       Hauptdarsteller, Ekin Koç, steht bei dieser Kritik besonders im Fokus. Er
       hatte gesagt: „,Kurak Günler' ist keine Liebesgeschichte von Homosexuellen,
       die in ihrer Freiheit eingeschränkt sind. Wir haben keinen neuen ‚Brokeback
       Mountain‘ gedreht. Wir haben einen Film gemacht, in dem es um
       Unterdrückung, Autorität und Lynchjustiz geht.“ Besonders auf Twitter wurde
       er dafür von der queeren Community kritisiert, weil er so ausdrücklich
       betont habe, keinen schwulen Film gemacht zu haben.
       
       Für die Menschen in der Türkei gehört es zurzeit nicht zum Alltag, ein
       Kinoticket zu kaufen und den Film eines bekannten Regisseurs zu sehen.
       [3][Es ist mehr als eine gewöhnliche Beschäftigung.] Es ist gelebte
       Solidarität. Der Handlungsspielraum in der Türkei ist für viele sehr
       eingeschränkt, und einen Film anzugucken, der offiziellen Vertretern des
       Staates nicht gefällt, ist ein befriedigender und konkreter Schritt. Ganz
       neu ist auch diese Episode für die Bewohner:innen der Türkei nicht. Im
       letzten Jahr wurde der in der Türkei produzierten Netflix-Serie „Wenn ich
       das gewusst hätte“ („Şimdiki Aklım Olsaydı)“ einige Tage vor Drehstart von
       dem Ministerium keine Drehgenehmigung erteilt, da in der Serie eine
       homosexuelle Figur vorkommt.
       
       Es scheint so, als wäre der Aufruf von Alper und dem Produktionsteam, der
       viel Unterstützung erfuhr, auf Resonanz gestoßen. Mit ungefähr 51.4000
       Zuschauer:innen hatte „Kurak Günler“ unter den Filmen, die die Türkei
       bei den Filmfestspielen von Cannes vertraten, die höchste Zuschauerzahl in
       der ersten Woche überhaupt. Es bleibt spannend, wie groß der Kinoerfolg von
       „Kurak Günler“ am Ende sein wird und was die nächsten Taten des Regisseurs
       Alper sein werden.
       
       Aus dem Türkischen von Julia Lauenstein
       
       16 Jan 2023
       
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 (DIR) [1] https://www.youtube.com/watch?v=5zUFY3sYa1M
 (DIR) [2] https://www.youtube.com/watch?v=aOHw_Lijqt0
 (DIR) [3] /Der-lange-Weg-zum-tuerkischen-Publikum/!1301893/
       
       ## AUTOREN
       
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