# taz.de -- Rückkehr des Königs
       
       > Melbourne 2022: Novak Đoković, einer der besten Tennisspieler der Welt,
       > sitzt im Abschiebeknast wegen Impfgegnerschaft. 2023 ist alles wieder so,
       > als ob nie etwas gewesen wäre
       
       Aus Melbourne Klaus Bellstedt
       
       Es war ja nicht ganz klar, wie die Fans in Australien Novak
       Đokovićempfangen würden – nach all dem, was im vergangenen Jahr passiert
       war. 2022 hatte der Serbe wegen seiner fehlenden Impfung gegen das
       Coronavirus noch vor seinem ersten Match bei den Australian Open das Land
       verlassen müssen. Zuvor war sein Visum annulliert und eine Einreisesperre
       von drei Jahren verhängt worden. In Melbourne spielten sich deshalb
       unglaubliche Szenen ab. Vor Đoković’ Hotel versammelten sich täglich einige
       Hundert Fans, um für ihr Idol zu demonstrieren. Das Ganze nahm politische
       Ausmaße an. Aber es half alles nichts: Der mächtigste Tennis-Spieler der
       Welt musste das Land verlassen.
       
       Im November nun wurde das Einreiseverbot von den Behörden aufgehoben. Und
       jetzt ist alles wieder so, als wäre nie etwas gewesen. Der vergangene
       Freitag dient dafür besonders gut als Beleg. Đoković, der das erste
       Grand-Slam-Turnier des Jahres schon neun Mal gewinnen konnte, spielte am
       Abend in der Rod-Laver-Arena ein kleines Show-Match gegen den Local Hero
       Nick Kyrgios. Binnen einer halben Stunde war das Trainingsspielchen
       ausverkauft. Umgerechnet 30 Euro kostete ein Ticket für diese sportlich
       kaum ernst zu nehmende Veranstaltung. 15.000 Fans kamen dafür in das größte
       Tennisstadion auf der Anlage im Melbourne Park.
       
       Sie alle wollten vor allem Đoković sehen. Der Champion hat durch die
       Geschichte aus dem vergangenen Jahr insbesondere in Spielerkreisen
       Sympathien verspielt. Aber auf das Publikum kann er sich weiter verlassen.
       Der Empfang des 35-Jährigen aus Belgrad fiel warm und herzlich aus.
       Hinterher hielt Đoković noch voller Pathos und auch mit etwas Demut eine
       kleine Rede.
       
       Er beherrscht diese Kunst wie kein zweiter Profi auf der Tour. Vor einer
       Woche gewann Đoković ein wichtiges Vorbereitungsturnier in Adelaide. „Hier
       zu stehen ist ein Geschenk“, sagte Đoković unten auf dem Platz nach seinem
       Dreisatzsieg über den Amerikaner Sebastian Korda. „Die Unterstützung, die
       ich die letzten Tage erhalten habe, habe ich noch nicht oft in meiner
       Karriere bekommen. Es hat sich angefühlt, wie zu Hause zu spielen.“
       
       Es läuft einfach im Moment für den 21-fachen Grand-Slam-Sieger. Und zwar so
       gut, dass er sich in den letzten Tagen vor dem Start des Turniers gezielt
       noch schnell ein paar Journalisten einlud, um ausführlich über das
       vergangene Jahr zu sprechen – und sich zum Opfer zu stilisieren. „Ich habe
       schwierige Momente in Australien und danach erlebt: Von allen Seiten
       angegriffen zu werden, im Grunde von der ganzen Welt. Aber so etwas habe
       ich erwartet, auch wenn man bedenkt, wie die Gesellschaft heutzutage
       funktioniert – es muss immer einen Einzelnen geben, der an etwas Schuld
       ist“, sagte Đoković mit einer Mischung aus Dreistheit und Cleverness.
       
       Er beklagte auch noch eine verzerrte Darstellung der Dinge in den Medien:
       „Viele Leute haben immer noch eine falsche Vorstellung von dem, was
       passiert ist.“
       
       Der Serbe kann so sprechen und handeln, weil er der Herrscher des Tennis
       ist. Man muss sich das mal vorstellen: Der Turnierchef der Australian Open,
       Craig Tiley, hat in einem Interview Tennisfans davor gewarnt, Đoković bei
       seinen Matches in Melbourne in irgendeiner Weise anzufeinden. „Wenn sie
       die Freude eines anderen stören – boom, dann sind sie raus“, sagte er. „Sie
       können wegbleiben, oder wir schmeißen sie raus.“ Viel mehr Gekusche geht im
       Grunde nicht.
       
       So geht der Serbe also in vielerlei Hinsicht gestärkt und geschützt in
       dieses erste große Highlight der neuen Tennis-Saison. Der nächste Triumph
       von Đoković scheint fast logisch. Zumal die Konkurrenz schwächelt oder gar
       nicht in Australien dabei ist.
       
       Zwei Beispiele: Alexander Zverev wäre eigentlich auch ein ernsthafter
       Anwärter auf den Titel in Melbourne. Der Deutsche ist zwar wieder zurück
       auf dem Platz, nach einer Fußoperation fehlt ihm aber noch ein Stück zu
       seiner besten Form.
       
       Auch die verletzungsbedingte Absage des Weltranglistenersten Carlos
       Alcaraz kommt Đoković zugute. Der Spanier wird gerade zum neuen Gesicht
       des Tennissports. Ihm gehört die Zukunft. Novak Đoković aber ist der
       König der Gegenwart.
       
       16 Jan 2023
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Bellstedt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA