# taz.de -- Anti-Corona-Maßnahmen in China: Das Ende der „Null Covid“-Strategie
       
       > Protestwelle und ökonomische Misere bringen Chinas Führung zum Umdenken:
       > Zwangseinweisungen und Lockdowns sind Vergangenheit.
       
 (IMG) Bild: Flächendeckende Lockdowns sind ab jetzt verboten, Straßenszene in Peking am 7. Dezember
       
       Peking taz | Chinas pandemischer Paradigmenwechsel ließ sich bereits seit
       Tagen erahnen, doch am Mittwoch hat die Staatsführung das landesweite Ende
       von „[1][Null Covid]“ besiegelt: In einem neuen Zehn-Punkte-Plan werden
       nahezu sämtliche der drakonischen Corona-Maßnahmen entweder deutlich
       aufgeweicht oder ganz über Bord geworfen.
       
       Die Öffnung ist beachtlich: Infizierte, die bisher unter Zwang in
       Quarantänespitäler transferiert wurden, dürfen sich nun in den eigenen vier
       Wänden auskurieren. Flächendeckende [2][Lockdowns], die oft über Nacht
       ganze Stadtviertel lahmlegten, sind fortan verboten. Und auch die
       stadtweiten Massentests sind aufgehoben: Nur bestimmte Einrichtungen wie
       Pflegeheime, Schulen oder große Firmen können noch den Nachweis eines
       aktuellen PCR-Tests verlangen.
       
       Bei etlichen Chinesen dürften die neuen Maßnahmen für ein tiefes Durchatmen
       sorgen, macht das neue Regelwerk doch wieder eine zuverlässige
       Alltagsplanung möglich. Doch gleichzeitig ist auch nach knapp drei Jahren
       „Null Covid“ die Unsicherheit darüber zu spüren, wie das „Leben mit dem
       Virus“ konkret ausschauen wird.
       
       Ausgerechnet in Peking, dem politischen Machtzentrum, ist der Wind des
       Wandels besonders deutlich zu spüren: Viele der PCR-Teststationen sind
       bereits aus dem Stadtbild verschwunden, während die Restaurants und Bars
       wieder ihren Betrieb geöffnet haben. Gleichzeitig ist das Virus, das
       während der gesamten Pandemie stets eine weit entfernte, geradezu abstrakte
       Gefahr darstellte, nun im Alltag der Leute angekommen: Unzählige Menschen
       kurieren derzeit in den eigenen vier Wänden ihre Symptome aus, ohne ihre
       Ansteckung den Behörden zu melden. Noch vor wenigen Wochen kannten nur die
       wenigsten Chinesen in ihrem entfernten Bekanntenkreis überhaupt jemanden,
       der sich mit dem Virus angesteckt hat.
       
       ## Impfkampagne für Senioren soll Millionen Tote vermeiden
       
       Längst jedoch sind die offiziellen Zahlen kein zuverlässiger Indikator mehr
       für das tatsächliche Infektionsgeschehen: Denn während die registrierten
       Fälle der Gesundheitskommission auf niedrigem Niveau stagnieren –
       landesweit liegen sie bei derzeit lediglich 25.000 –, gibt es zweifelsohne
       in der Hauptstadt so viele Covid-Infizierte wie noch nie. Nur tauchen sie
       nicht mehr in den Statistiken auf.
       
       Bald jedoch werden sich die Fälle allerdings sehr wohl in den
       Krankenhäusern bemerkbar machen. Um eine Überlastung des Gesundheitssystems
       zu vermeiden, forcieren die Behörden nun eine gezielte Impfkampagne unter
       den Senioren. Nur 40 Prozent der Über-80-Jährigen haben bislang eine
       Booster-Dosis erhalten, bis Ende Januar sollen es bereits 90 Prozent sein.
       Sollte das ambitionierte Ziel nicht erreicht werden, dürfte China auf eine
       gesundheitspolitische Tragödie zusteuern: Sämtliche der aktuell
       publizierten Prognosen gehen von mindestens einer Million Virustoten aus,
       im schlimmstmöglichen Szenario rechnet das in London ansässige Unternehmen
       „Airfinity“ gar mit 2,1 Millionen Toten.
       
       Um einer möglichen Panik innerhalb der Bevölkerung vorzubeugen, haben die
       Staatsmedien in wenigen Tagen eine Propagandakehrtwende von 180 Grad
       hingelegt. „Eine Omikron-Infektion ist den Symptomen einer Grippe sehr
       ähnlich“, lautet etwa ein Beitrag des Fernsehsenders CCTV. Darin wird ein
       Gesundheitsexperte zitiert, der behauptet: „Viele Symptome sind milder als
       eine schwere Influenza“. Dass sämtliche Medien des Landes „Null Covid“ noch
       bis letzte Woche als „alternativlos“ und Beleg für die Überlegenheit des
       chinesischen Systems proklamierten, davon ist nun keine Rede mehr.
       
       Ganz offensichtlich ist die pandemische Strategie Xi Jinpings vorzeitiger
       gescheitert, als es sich die Staatsführung noch vor Kurzem einzugestehen
       bereit war. Anders lässt sich nicht erklären, warum diese nun ausgerechnet
       zum pandemisch ungünstigen Winterbeginn öffnet. Zudem fängt in etwas mehr
       als einem Monat bereits das chinesische Neujahrsfest an, während der
       mehrere hundert Millionen Chinesen in ihre Heimatorte reisen – und auch das
       Virus in die westlichen Hinterlandprovinzen schleppen werden, wo die
       medizinische Versorgung nur höchst rudimentär ist.
       
       ## Ökonomische Misere als Ergebnis von „Null Covid“
       
       Doch der zuletzt überkochende Volkszorn ließ der Parteiführung keine Wahl
       mehr. Ende November gipfelte der Frust der Leute in der wohl größten
       [3][Protestwelle] seit Jahrzehnten: In dutzenden Städten sind die Menschen
       gegen die ausufernden Lockdowns auf die Straße gezogen. Die jetzigen
       Lockerungen sind vor allem als Versuch zu verstehen, die öffentliche
       Meinung wieder zu besänftigen.
       
       Gleichzeitig hat auch der wirtschaftliche Druck eine entscheidende Rolle
       gespielt. Erst am Mittwochmorgen lieferte das Pekinger Zollamt desaströse
       Zahlen: Im Vormonat ist Chinas Außenhandel um satte 9,5 Prozent
       zurückgegangen – und damit noch stärker eingebrochen als zu Beginn der
       Pandemie. Auch die Exporte, der bislang zuverlässigste Grundpfeiler der
       chinesischen Volkswirtschaft, gingen um 8,7 Prozent zurück.
       
       Die ökonomische Misere ist zu weiten Teilen der rigiden „Null
       Covid“-Strategie geschuldet, doch manche Gründe liegen tiefer: Auch die
       anhaltende Immobilienkrise sowie die global schwache Nachfrage haben Chinas
       Wirtschaftsmotor ins Stocken geraten lassen. Die Weltbank erwartet nur mehr
       ein Wachstum von 2,8 Prozent für das laufende Jahr, was gemessen am
       chinesischen Entwicklungsstadium bei Weitem nicht genug ist. Am Mittwoch
       hat das Politbüro in Peking in einer Stellungnahme deutlich gemacht, dass
       man für 2023 den Fokus wieder verstärkt auf die Wirtschaft und das stark
       angeschlagene Vertrauen der Märkte legen möchte. Von „Null Covid“ war
       hingegen keine Rede mehr.
       
       7 Dec 2022
       
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       ## AUTOREN
       
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