# taz.de -- Der Wahn der Reichsbürger: Das Problem reicht viel weiter
       
       > Die Reichsbürger-Gruppe mag wirr und skurril erscheinen. Doch sie ist
       > eine ernsthafte Gefahr – und über ihre Pläne hinaus als Symptom zu
       > betrachten.
       
 (IMG) Bild: Operettenhafte Vorstellungen von einem Staatsstreich: Razzia bei Heinrich XIII. Prinz Reuß
       
       Es ist keine Übertreibung, wenn man sagt: Die „Reichsbürger-Gruppe“, die so
       zweifelhafte Bekanntheit erlangt hat, ist trotz ihrer scheinbaren
       Lächerlichkeit eine ernsthafte Gefahr. Diese rechtsextreme Zelle, die in
       einer großen Polizeiaktion ausgehoben wurde, ist in ganz Deutschland und
       Österreich aktiv. Ihr wird die Planung eines gewaltsamen Staatsstreichs
       vorgeworfen. Sie ist über ihr unmittelbares Tun, über ihre Pläne hinaus
       auch als Symptom zu betrachten.
       
       Dafür ist einerseits das spezifische Milieu relevant. Wer da verhaftet
       wurde, das waren ja bekanntlich nicht die typischen Neonazis – sondern
       Sicherheitskräfte, Ärzte, eine AfD-nahe Richterin, ein Promi-Koch sowie –
       als Krönung – ein „Prinz“. Ein bürgerliches Netzwerk also (mit einer
       adeligen Kopfnote) – alles „Querdenker“ und Verschwörungstheoretiker. Was
       hier somit sichtbar wurde, ist [1][„eine Radikalisierung von Teilen des
       bürgerlichen Milieus“], wie Barbara Junge schrieb.
       
       Dazu gehört auch die seltsame Mischung aus Skurrilität und realer Gewalt:
       ein wirrer Prinz – sein Hauptquartier im Schloss „Waidmannsheil“ – das
       verpeilte Weltbild – operettenhafte Vorstellungen von einem Staatsstreich.
       Und zugleich: ein militärischer Arm mit technischem Knowhow für
       Terroranschläge.
       
       Der Erfolg eines solchen Umsturzes mag eine Fantasie gewesen sein, nicht
       aber der Plan eines bewaffneten Angriffs auf den Deutschen Bundestag in
       Berlin. Die Skurrilität hat sich zu einer realen Bedrohung entwickelt.
       
       ## Recht auf „Widerstand“ ableiten
       
       Das Problem aber geht darüber hinaus. Denn was hier sichtbar wurde, ist nur
       die Spitze des Eisbergs. Oder anders gesagt: Was hier explizit wurde, ist
       Symptom eines weit reichenden gesellschaftlichen Phänomens. Diese „Otto
       Normalbürger“ sind getrieben von einer vehementen Ablehnung aller
       staatlichen Institutionen.
       
       Sie sehen den Staat – den deutschen ebenso wie den österreichischen – als
       usurpiert von fremden Mächten und die jeweils gewählte Regierung folglich
       als illegitim. Daraus leiten sie ihr Recht und die Legitimität ihres
       bewaffneten „Widerstands“ gegen diesen angeblich fremden Staat ab.
       
       Wenn man nun das Wahnhafte daran abzieht – die Verschwörungstheorien aller
       Art –, dann bleibt etwas Entscheidendes übrig: Diese Leute erkennen sich in
       den Institutionen des Staates nicht wieder. Sie verstehen diese nicht als
       die ihren. Und genau das ist kein Randphänomen. Diese Fremdheit zur
       staatlichen Ordnung wird hier zur metaphorischen Fantasie von fremden
       Mächten.
       
       Es ist die wahnhafte „Darstellung“, die phantasmatische Verzerrung eines
       verbreiteten Phänomens – eben des sich Nicht-Wiedererkennens im Staat.
       Dieses tiefe Misstrauen den staatlichen Institutionen gegenüber geht weit
       über das direkte Sympathisantenmilieu hinaus. Das teilen immer mehr
       Menschen. Und es hat in der Covidpandemie noch mal Aufschwung genommen.
       
       ## Extremes Gegenteil einer republikanischen Ordnung
       
       Das aber greift ein zentrales Moment des Republikanischen an: Denn dieser
       beruht eben darauf, dass sich die Bürger im Staat wiedererkennen. Dass sie
       den Staat nicht als fremden, sondern als eigenen begreifen.
       
       „Reichsbürger“ sind also das radikale Gegenbild eines Citoyens, das
       extremste Gegenteil einer republikanischen Ordnung. Aber in all ihrem Wahn
       und in all ihrer Radikalität docken sie an ein weit verbreitetes Unbehagen
       an: Sie sind der verzerrte Ausdruck, das Symptom für ein tiefes Unbehagen
       vieler Bürger am Staat. Sie sind Symptom eines zunehmenden
       Nicht-Funktionierens.
       
       Bei diesen „Reichsbürgern“ ist das Misstrauen, die Fremdheit gegen den
       Staat umgeschlagen. Ihr Ziel sei es, so die Bundesanwaltschaft in
       Karlsruhe, „die bestehende staatliche Ordnung zu überwinden und durch eine
       eigene Staatsform zu ersetzen“. Das zentrale Wort hier ist: eigene. Es geht
       um die Vorstellung eines Staates, der als „eigener“ verstanden wird – in
       dem man sich eben wiedererkennt.
       
       Jenseits skurriler Wahnhaftigkeit und jenseits vom Abdriften eines
       bürgerlichen Milieus in den nackten Terror gilt es, dieses Phänomen auch
       als Symptom ernst zu nehmen. Die Gefahr beschränkt sich nicht auf die
       Gewaltbereitschaft. Das Problem reicht viel weiter.
       
       28 Dec 2022
       
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